Fuchs hatte sich vor diesem Moment gefürchtet. Aber er hatte gewusst, dass er kommen würde. Es führte kein Weg daran vorbei. Der IAA-Vertreter würde schon in wenigen Stunden auf Ceres eintreffen.
Er schickte sich an, die Reisetasche für den Flug nach Selene zu packen. Als Amanda ihre Tasche aus dem Schrank holte und sie neben seiner aufs Bett legte, sagte er ihr, dass er ohne sie fliegen würde.
»Wie meinst du das?«, fragte Amanda. Sein Entschluss schockierte sie offensichtlich.
»Genauso, wie ich es sage. George, Nodon und ich werden gehen. Ich möchte, dass du hier bleibst.«
Sie schaute verwirrt und verletzt. »Aber, Lars, ich …«
»Du wirst nicht mit mir gehen!«, sagte Fuchs scharf.
Amanda war schockiert angesichts seiner Schroffheit. Sie starrte ihn mit offenem Mund an, als ob er ihr ins Gesicht geschlagen hätte.
»Das ist endgültig«, sagte er barsch.
»Aber,Lars …«
»Kein ›aber‹ und keine Diskussion mehr«, sagte er. »Du bleibst hier und leitest das, was vom Geschäft noch übrig ist, während ich in Selene bin.«
»Lars, du kannst nicht ohne mich gehen. Ich werde dich nicht gehen lassen!«
Er versuchte sie mit seinem Blick zur Räson zu bringen. Das ist der härteste Teil, wurde er sich bewusst. Ich muss sie so verletzen, weil es einfach keine andere Möglichkeit gibt.
»Amanda«, sagte er und versuchte streng zu klingen, versuchte seine Zweifel und Schmerzen aus der Stimme, aus dem Gesicht zu verdrängen. »Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich brauche dich hier. Ich bin kein kleiner Junge mehr, der ständig am Schürzenzipfel seiner Mutter hängt.«
»Deine Mutter!«
»Was auch immer«, sagte er. »Ich werde jedenfalls ohne dich fliegen.«
»Aber wieso?«
»Weil ich es so will«, sagte er mit erhobener Stimme. »Ich weiß, du glaubst, dass ich in deiner Gegenwart sicher wäre und dass Humphries mich nicht angreifen würde, weil er glaubt, dann auch dich zu treffen. Papperlapapp! Ich brauche deinen Schutz nicht. Ich will ihn nicht.«
Sie brach in Tränen aus und floh auf die Toilette; er blieb voller Seelenqualen neben dem Bett stehen.
Wenn er mich wirklich töten will, wird es ihm egal sein, ob Amanda bei mir ist oder nicht. Je mehr ich ihm zusetze, desto verzweifelter wird er. Sie wird hier sicherer sein — unter Freunden und Menschen, die ihr vertraut sind. Er hat es schließlich auf mich abgesehen, nicht auf sie. Ich werde ihm ohne sie gegenübertreten. Das ist besser so.
Er war sich sicher, dass er Recht hatte. Wenn er sie nur nicht hinter der Tür hätte weinen hören.
Hector Wilcox fühlte sich äußerst unbehaglich auf dem Flug zum Mond. Schon der Transfer vom Münchner Raumhafen war ihm trotz allen guten Zuredens der Mitarbeiter der Astro Corporation ein Graus gewesen. Der kompakte, kleine Raumclipper mutete ihn noch robust genug an, als er ihn bestieg. Der Flugbegleiter, der ihn zu seinem Platz führte, schwadronierte über die diamantene Hülle des Schiffs und die mittlerweile sprichwörtliche Zuverlässigkeit der Raumclipper. Alles schön und gut, sagte Wilcox sich. Er schnallte sich auf seinem Platz an — für den Flug gerüstet mit ein paar Whiskys vor sich und einem Medikamentenpflaster in der Armbeuge, um ihn von der Raumkrankheit zu schützen. Dann umklammerte er die Armlehnen des Sitzes und lauschte mit zunehmender Besorgnis dem Countdown.
Der Start war die reinste Qual für ihn. Es war wie eine Explosion, die ihn bis in die Grundfesten erschütterte. Er wurde auf dem Sitz zusammengestaucht, und ehe ihm noch eine Unmutsbekundung über die Lippen kam, war er schon schwerelos und zerrte am Sicherheitsgurt. Der Magen drohte ihm trotz des Pflasters in die Kehle hinaufzusteigen. Er schluckte Galle und griff nach den Papiertüten, die in der Tasche an der Rückenlehne des Vordersitzes steckten.
Als der Raumclipper an der Raumstation angelegt hatte, wünschte Wilcox sich, dass er darauf bestanden hätte, die verdammte Anhörung auf der Erde abzuhalten. Es waren viele lächelnde uniformierte Astro-Stewards zugange, um ihm aus dem Raumclipper in den Zubringer zu helfen, mit dem er den Rest der Strecke zum Mond zurücklegen würde. Wilcox stöhnte in der Schwerelosigkeit; er ließ sich von ihnen wie ein hilfloser Invalide abführen und im Zubringer — der wesentlich unkomfortabler war als der Raumclipper — auf einem Sitz platzieren.
Wenigstens stellte sich ein leichtes Gefühl der Schwere ein, als der Zubringer den Hochgeschwindigkeitsflug zum Mond startete. Jedoch ließ dieses Gefühl allzu schnell wieder nach, und für die nächsten paar Stunden fragte Wilcox sich, ob er diese Reise überhaupt überleben würde.
Allmählich fühlte er sich jedoch besser. Das flaue Gefühl im Magen legte sich, und der Druck hinter den Augen wurde gelindert. Wenn er nicht den Kopf drehte und abrupte Bewegungen machte, war die Schwerelosigkeit sogar fast angenehm.
Nachdem sie auf dem Raumhafen Armstrong in Selene gelandet waren, vermittelte die leichte Mondschwerkraft Wilcox ein erneutes Gefühl für ›oben‹ und ›unten‹. Er vermochte ohne fremde Hilfe den Sicherheitsgurt zu lösen und sich vom Sitz zu erheben. Anfangs stolperte er zwar, doch nachdem er durch den Zoll gegangen war und ein paar Stiefel mit Bleibeschwerung ausgeliehen hatte, fühlte er sich fast normal.
Die beruhigende Eleganz der Lobby des Hotels Luna vermittelte Wilcox sogar noch stärker das Gefühl, zu Hause zu sein. Er hatte ein Faible für stillen Luxus, und obwohl die Lobby stellenweise etwas heruntergekommen wirkte, vermittelte die Atmosphäre dieses Orts ihm trotzdem ein Gefühl der Sicherheit. Die örtlichen IAA-Fritzen hatten die beste Suite im Hotel von Selene für ihn reserviert. Ein Hotelangestellter brachte ihn zur Suite, packte das Gepäck für ihn aus und verweigerte sogar höflich die Annahme des Trinkgelds, das Wilcox ihm geben wollte. Das Hotelpersonal hatte alles für ihn vorbereitet, einschließlich einer gut bestückten Bar. Ein ordentlicher Schluck Whisky, und Wilcox fühlte sich fast wieder wie ein Mensch. Es werden keine Kosten gescheut, sagte er sich und ließ den Blick durch das gediegene Wohnzimmer schweifen, solange der Steuerzahler die Brieftasche öffnen muss und nicht ich.
Plötzlich klopfte es, und bevor Wilcox noch etwas zu sagen vermochte, glitt die Tür auf, und ein livrierter Kellner schob einen mit abgedeckten Speisen und einem halben Dutzend Flaschen Wein beladenen Servierwagen herein.
»Das habe ich doch gar nicht bestellt …«, sagte Wilcox verwirrt.
Und dann kam Martin Humphries mit einem strahlenden Lächeln hereinspaziert.
»Ich sagte mir, dass Sie ein gutes Mahl wohl zu schätzen wüssten«, sagte Humphries. »Das Essen kommt aus meiner eigenen Küche und nicht aus der Hotelküche.« Er wies auf die Flaschen und fügte hinzu: »Und die sind aus meinem Weinkeller.«
»Na so was, Martin«, sagte Wilcox mit einem erfreuten Lächeln. »Das ist wirklich nett von Ihnen.«
»Man sollte uns besser nicht in einem öffentlichen Restaurant zusammen sehen«, erklärte Humphries, während der Kellner stumm den Tisch deckte. »Und ich hätte Sie auch nicht in mein Haus einladen können, ohne einen falschen Eindruck zu erwecken …«
»Das stimmt wohl«, pflichtete Wilcox ihm bei. »Es gibt zu viele verdammte Schnüffler, die einem immer gleich das Schlimmste unterstellen.«
»Also habe ich beschlossen, mit dem Essen zu Ihnen zu kommen. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«
»Überhaupt nicht! Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Wie lang ist es eigentlich schon her?«
»Ich lebe nun schon seit über sechs Jahren in Selene.«
»Ist es wirklich schon so lange her?« Wilcox fuhr sich mit dem Finger über den Bart. »Aber, äh … gehen wir nicht trotzdem das Risiko ein, einen falschen Eindruck zu erwecken? Schließlich steht die Anhörung kurz bevor …«