Er ist von einer geradezu brutalen Offenheit, sagte sie sich. »Mr. Harbin, ich möchte Ihnen versichern, dass wir durchaus nicht die Absicht haben, Ihnen etwas anzutun.«
Bei diesen Worten lächelte er, und sie sah kräftige weiße Zähne hinter dem dichten schwarzen Bart.
»Vielmehr hat Mr. Humphries mir gesagt, dass ich Ihnen einen Bonus für die Arbeit geben soll, die Sie geleistet haben.«
Er schaute sie für eine Weile finster an und sagte dann: »Was soll diese Scharade? Sie wollten, dass ich Fuchs töte, und ich habe versagt. Nun ist er hier in Selene und bereit auszusagen, dass Sie hinter den Angriffen auf die Prospektorenschiffe stehen. Wieso sollten Sie mir dafür einen Bonus zahlen wollen?«
»Wir wollen für Ihr Schweigen zahlen, Mr. Harbin.«
»Weil Sie genau wissen, dass das Logbuch des Schiffs an die Medien geht, wenn Sie mich töten.«
»Wir haben nicht die Absicht, Sie zu töten.« Verwoerd nickte in Richtung seines unberührten Glases. »Sie können den Wein unbesorgt trinken.«
Er stellte das Glas auf den dünnen Teppichboden. »Mrs. Verwoerd …«
»Diane«, bot sie ihm spontan an.
Er neigte leicht den Kopf. »Also Diane. Lassen Sie mich erklären, wie das in meinen Augen aussieht.«
»Bitteschön.« Sie wurde sich bewusst, dass er ihr nicht anbot, ihn mit dem Vornamen anzureden.
»Ihre Firma hat mich angestellt, um die unabhängigen Prospektoren aus dem Gürtel zu vertreiben. Ich habe ein paar ihrer Schiffe außer Gefecht gesetzt, doch dann ist dieser Fuchs mir in die Quere gekommen. Und dann haben Sie mich beauftragt, Fuchs zu beseitigen, und das ist nicht gelungen.«
»Wir sind zwar enttäuscht, Mr. Harbin, aber das bedeutet doch nicht, dass Sie einen Grund haben, um Ihre Sicherheit zu fürchten.«
»Wirklich nicht?«
»Diese Anhörung ist kein Problem für uns. Sie bietet uns sogar die Gelegenheit, Fuchs auf eine andere Art und Weise beizukommen. Sie haben Ihren Part in dieser Operation gespielt. Nun möchten wir Sie nur noch auszahlen und Ihnen für Ihre Arbeit danken. Ich weiß, dass es nicht leicht für Sie war.«
»Leute wie Sie wenden sich auch nicht mit leichten Aufträgen an Leute wie mich«, sagte Harbin.
Er hat gar keine Angst, erkannte Verwoerd. Er ist weder ängstlich noch enttäuscht oder zornig. Er ist wie ein Eisblock. Keine sichtbaren Emotionen. Nein, korrigierte sie sich. Er ist eher wie ein Panther, ein geschmeidiger, tödlicher Räuber. Er hat jeden Muskel im Körper unter Kontrolle und ist jederzeit zum Sprung bereit. Er könnte mich im Handumdrehen töten, wenn er wollte.
Sie verspürte ein seltsames Verlangen. Ich frage mich, wie er wohl wäre, wenn es mir gelänge, diese Kontrolle zu überwinden. Was wäre es für ein Gefühl, diese ganze aufgestaute Energie in mir zu haben? Sie spürte ein Kribbeln im Unterleib. Nicht jetzt. Später, rief sie sich zur Ordnung. Wenn die Anhörung vorbei ist. Wenn wir unbeschadet aus der Anhörung herauskommen, dann werde ich mich von ihm ficken lassen. Und wenn nicht … ich würde es hassen, damit beauftragt zu werden, ihn zu töten. Wenn es wirklich dazu kommt, werden wir ein ganzes Team für den Job brauchen. Ein Team aus Spitzenleuten.
Aber wieso sollte man überhaupt in Erwägung ziehen, ihn umzubringen, fragte sie sich. Stattdessen sollte man ihn lieber benutzen!
Ob es mir gelingt, mich seiner Loyalität zu versichern, fragte sie sich. Ob ich ihn für meine persönlichen Ziele einspannen kann? Das wäre toll, sagte sie sich mit einer innerlichen Befriedigung. Das wäre vielleicht sehr angenehm.
»Da wäre aber noch etwas, das Sie für uns erledigen könnten, bevor Sie … äh, in den Ruhestand gehen«, sagte sie laut.
»Und das wäre?«, fragte er ruhig und schaute ihr in die Augen.
»Sie müssen nach Ceres fliegen. Ich kann einen Expressflug für Sie arrangieren. Aber das muss ohne jedes Aufsehen stattfinden; niemand darf davon erfahren. Nicht einmal Grigor.«
Er schaute sie für eine Weile durchdringend an. »Nicht einmal Grigor?«, murmelte er.
»Nein. Sie werden direkt mir berichten.«
Harbin lächelte wieder, und sie fragte sich erneut, wie er wohl ohne diesen Bart aussehen würde.
»Rasieren Sie sich eigentlich nie?«, fragte sie.
»Das hatte ich gerade vor, als Sie anklopften.«
Ein paar Stunden später lag Diane schweißgebadet neben ihm im Bett. Wow! Sie grinste triumphierend. Delilah zu sein war ein Hochgenuss.
Harbin drehte sich zu ihr um und streichelte ihr die Taille. »Diese Angelegenheit auf Ceres«, sagte er zu ihrer Überraschung.
»Ja?«
»Wen soll ich umbringen?«
Kapitel 35
Zu Hector Wilcox’ Verdruss schaltete Douglas Stavenger sich persönlich in die Anhörung ein. Zwei Tage vor dem Beginn der Anhörung lud Stavenger Wilcox zum Abendessen ins Restaurant ›Erdblick‹ ein. Wilcox wusste, dass es sich nicht um einen rein gesellschaftlichen Anlass handelte.
Wenn der jugendliche Gründer von Selene bei der Anhörung anwesend sein wollte, vermochte der IAA-Chef ihm das nicht abzuschlagen, ohne ihn zu brüskieren.
Stavenger gab sich natürlich sehr diplomatisch. Er bot ihm einen Konferenzraum in Selenes Büros an, oben in einem der Türme, die die Kuppel der Grand Plaza trugen. Und der Preis der Gastfreundschaft bestand darin, ihn der Anhörung beiwohnen zu lassen.
»Es wird aber ziemlich langweilig werden«, gab Wilcox beim Essen zu bedenken. Es war dies sein zweiter Abend auf dem Mond.
»Ach wo, das glaube ich nicht«, sagte Stavenger mit jugendlicher Begeisterung. »Alles, was Martin Humphries betrifft, verspricht interessant zu werden.«
Darum geht es also, sagte Wilcox sich und stocherte im Obstsalat. Er verfolgt Martins Fährte.
»Mr. Humphries wird bei der Anhörung nicht anwesend sein, müssen Sie wissen«, sagte er.
»Wirklich?« Stavenger schaute überrascht. »Ich dachte, dass Fuchs ihn der Piraterie bezichtigen würde.«
Wilcox legte die Stirn in schier abgrundtiefe Falten. »Piraterie«, sagte er spöttisch. »Papperlapapp.«
Stavenger lächelte fröhlich. »Darum geht es doch bei der Anhörung, nicht wahr? Es soll der Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigung geprüft werden?«
»Ach ja, natürlich«, sagte Wilcox hastig. »Genau darum geht es.«
Fuchs hatte die beiden ersten Nächte in Selene schlecht geschlafen, und in der Nacht vor der Anhörung glaubte er vor lauter Nervosität überhaupt nicht schlafen zu können. Seltsamerweise schlief er jedoch die ganze Nacht durch. Pancho war nach Selene gekommen und hatte ihn zu einem schönen Abendessen im Restaurant ›Erdblick‹ eingeladen. Vielleicht hat der Wein dem Schlaf etwas nachgeholfen, sagte er sich, als er sich an diesem Morgen die Zähne putzte.
Er wusste, dass er geträumt hatte, aber er konnte sich kaum noch an die Träume erinnern. Amanda kam darin vor, und George, und eine vage dräuende Gefahr. An die Details erinnerte er sich aber nicht mehr.
Als das Telefon läutete, glaubte er schon, es sei Pancho, die ihn abholen und zur Anhörung begleiten wollte.
Stattdessen zeigte der Wandbildschirm Amandas schönes Gesicht. Fuchs verspürte eine jähe Freude wegen ihres Anrufs. Doch dann sah er, dass sie abgespannt und besorgt wirkte.
»Lars, Liebling, ich rufe an, um dir alles Gute für die Anhörung zu wünschen und dir zu sagen, dass ich dich liebe. Hier ist soweit alles in Ordnung. Die Prospektoren erteilen uns mehr Aufträge, als wir bewältigen können, und die HSS-Leute haben bisher überhaupt keine Schwierigkeiten gemacht.«
Natürlich, sagte Fuchs sich. Sie wollen keinen Verdacht erregen, während diese Anhörung läuft.
»Viel Glück bei der Anhörung, Liebling. Ruf mich an und sag mir, wie es ausgegangen ist. Ich vermisse dich. Ich liebe dich!«
Ihr Bild verblasste, und der Wandbildschirm wurde wieder dunkel. Fuchs warf einen Blick auf die Nachttischuhr und wies den Computer an, ihre Nachricht zu beantworten.