»Sie beziehen sich auf den Mord an Niles Ripley, nicht wahr?«, fragte Wilcox.
»Ja. Ein vorsätzlicher Mord, um den Bau des Habitats zu stoppen, an dem wir arbeiten …«
Verwoerd meldete sich zu Wort. »Wir räumen ein, dass Mr. Ripley von einem Mitarbeiter von Humphries Space Systems getötet wurde. Aber es war eine Privatangelegenheit; der Angriff auf die genannte Person wurde von HSS weder befohlen noch gebilligt. Zumal Mr. Fuchs selbst den Mörder in einem Akt von Selbstjustiz hingerichtet hat.«
Wilcox musterte Fuchs mit stiengem Blick. »LynchJustiz, was? Zu dumm, dass Sie ihn exekutiert haben. Seine Aussage hätte Ihre Position vielleicht gestützt.«
»Wer sonst sollte von all diesen kriminellen Handlungen profitieren?«, echauffierte Fuchs sich.
»Ich hatte gehofft, dass Sie mir das sagen könnten, Mr. Fuchs«, sagte Wilcox mit einem listigen Lächeln. »Deshalb haben wir schließlich die ganzen Kosten und Mühen auf uns genommen, um diese Anhörung durchzuführen. Also Butter bei die Fische.«
Fuchs schloss kurz die Augen. Ich will aber Amanda nicht da hineinziehen. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass es sich hier um eine persönliche Auseinandersetzung zwischen Humphries und mir handelt.
Bevor er zu antworten vermochte, stand George wieder auf und sagte in aller Ruhe: »Jeder auf Ceres weiß doch, dass Humphries versucht, Fuchs aus dem Gürtel zu vertreiben. Da können Sie jeden fragen.«
»Mr ….« Wilcox sah auf den Computerbildschirm. »Ambrose, nicht wahr? Mr. Ambrose, was ›jeder weiß‹ gilt vor Gericht nicht als Beweis. Auch nicht in dieser Anhörung.«
George setzte sich wieder und nuschelte etwas in den Bart.
»Fakt ist«, sagte Fuchs, wobei er an sich halten musste, um nicht laut zu werden, »dass irgendjemand Menschen tötet, dass irgendjemand Prospektorenschiffe angreift, dass irgendjemand schreckliche Verbrechen im Asteroidengürtel begeht. Die IAA muss tätig werden und uns schützen …« Er hielt inne. Er wurde sich bewusst, dass er bettelte, fast schon winselte.
Wilcox lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Mr. Fuchs, ich gehe mit Ihnen konform, dass Ihr Gebiet ein gewalttätiger, gesetzloser Ort ist. Allerdings hat die Internationale Astronautenbehörde weder die Macht noch die gesetzliche Befugnis, als Polizei im Asteroidengürtel aufzutreten. Es obliegt den Bürgern des Gürtels selbst, für ihren Schutz Sorge zu tragen und eine Polizei zu organisieren.«
»Wir werden systematisch von Humphries Space Systems-Personal angegriffen!«, insistierte Fuchs.
»Ich konzediere Ihnen durchaus, dass Sie angegriffen werden«, erwiderte Wilcox mit einem traurigen und zugleich herablassenden Lächeln. »Sehr wahrscheinlich von Renegaten aus Ihrer gesetzlosen Bevölkerung. Mir liegen indes keine Beweise vor, die Humphries Space Systems auf irgendeine Art und Weise mit Ihren Problemen in Verbindung bringen.«
»Die wollen Sie nur nicht sehen!«, sagte Fuchs wütend.
Wilcox starrte ihn kalt an. »Die Anhörung ist beendet«, sagte er.
»Aber Sie haben doch noch gar nicht …«
»Sie ist beendet«, sagte Wilcox schroff. Er stand auf, nahm seinen Computer, klappte ihn zu und verstaute ihn in der Tasche des Jacketts. Dann machte er kehrt und verließ den Raum; Fuchs blieb frustriert und wütend zurück.
Kapitel 36
Diane Verwoerd führte die Schar der Humphries-Mit-arbeiter aus dem Anhörungsraum, wobei sie ein zufriedenes Lächeln unterdrücken musste. Fuchs und seine zwei Freunde blieben konsterniert und frustriert zurück.
Draußen im Korridor machte sie höflichen Smalltalk mit Douglas Stavenger und Pancho Lane. Sie schickten sich an zu gehen und schienen enttäuscht vom Ausgang der Anhörung. Verwoerd wusste, dass Pancho Humphries’ größte Widersacherin im Vorstand der Astro Corporation war und dass Humphries erst dann zufrieden wäre, wenn er die volle Kontrolle über Astro erlangt hatte. Was bedeutet, sagte sie sich, dass, wenn wir Fuchs endlich abserviert haben, Pancho die Nächste ist.
Sie eilte zur Rolltreppe, die zu ihrem Büro hinunterführte. Außer ihr war niemand dort. Sie setzte sofort eine Bündellaser-Nachricht an Dorik Harbin ab. Sie wusste, dass er in ungefähr einer Stunde auf Ceres eintreffen musste.
Es dauerte beinahe zwanzig Minuten, bevor sein Gesicht auf ihrem Wandbildschirm erschien: Es sah geradezu unverschämt gut aus ohne den Bart; er hatte ein festes, markantes Kinn und eisblaue, wache Augen.
»Ich weiß, dass du erst nach der Landung auf diese Nachricht reagieren kannst«, sagte sie zu Harbins Bild. »Ich wollte dir auch nur viel Glück wünschen und dir sagen … nun, ich zähle schon die Minuten, bis du wieder hier bei mir bist.«
Sie holte tief Luft und ergänzte: »Ich habe die HSS-Leute auf Ceres verständigt. Die Medikamente, die du benötigst, warten dort auf dich.«
Verwoerd brach die Verbindung ab. Der Bildschirm wurde dunkel. Und dann lächelte sie. Du musst ihn an dich binden, sagte sie sich. Nutze seine Schwächen aus — und seine Stärken. Er wird dir noch sehr nützlich sein; vor allem, falls du dich vor Martin schützen musst.
Sie drehte sich um und betrachtete ihr Bild im Spiegel an der entgegengesetzten Wand des Büros. Delilah, sagte sie sich und lachte.
»Was sollen wir nun machen?«, fragte George, als er, Fuchs und Nodon die Rolltreppe hinunterfuhren.
Fuchs schüttelte resigniert den Kopf. »Ich weiß nicht. Diese Anhörung war eine Farce. Die IAA hat Humphries freie Hand gelassen.«
»Sieht so aus«, pflichtete George ihm bei und kratzte sich den Bart.
Nodon sagte nichts.
»Amanda«, sagte Fuchs. »Ich muss ihr sagen, was passiert ist. Ich muss ihr sagen, dass wir gescheitert sind.«
Harbin ließ den Blick über die acht Männer schweifen, die seinem Kommando unterstellt worden waren. Ein zusammengewürfelter Haufen, wohlwollend ausgedrückt. Draufgänger, Schlägertypen, Kleinkriminelle. Keiner von ihnen hatte auch nur eine militärische Grundausbildung genossen oder verfügte über militärische Disziplin.
Allerdings ist das hier auch keine Militäroperation, erinnerte er sich. Es handelt sich nur um einfachen Diebstahl.
Er hatte den Hochgeschwindigkeitsflug von Selene dazu genutzt, den Plan und die Hintergrundinformationen zu studieren, die Diane ihm gegeben hatte. Er hätte schon erwartet, mit zuverlässigen Leuten zusammenzuarbeiten und nicht mit einer Horde Hooligans. Dennoch bereitete Harbin sich seelisch-moralisch auf seine Aufgabe vor und leierte stumm das Mantra herunter, wonach der Arbeiter seinem Werkzeug keinen Vorwurf machte und dass der Krieger mit dem kämpfen musste, was er gerade zur Hand hatte. Zunächst einmal musste er diesen Halbaffen beibringen, dass man auch Geld machen konnte, ohne anderen Leuten gleich den Schädel einzuschlagen.
Harbin vermutete, dass keiner der ihm zugewiesenen Schläger sich im Geringsten dafür interessierte, was dem heißblütigen Trace Buchanan zugestoßen war. Die Maxime, auf die sein alter Feldwebel ihn gedrillt hatte, lautete, dass es dem Zusammenhalt und dem Teamgeist einer Einheit förderlich war, nach Möglichkeit Solidarität in der Gruppe aufzubauen.
Also sagte er zu ihnen: »Ihr erinnert euch doch noch daran, was dieser Fuchs Trace Buchanan angetan hat?« Das war eine rein rhetorische Frage.
Sie nickten ungerührt. Buchanan war ein primitiver Schläger gewesen; er hatte keine Freunde gehabt, nur Kollegen, die ängstlich darauf bedacht waren, ihn nicht zu reizen. Keiner von ihnen trauerte dem verstorbenen Mr. Buchanan nach.