Sie wanderte rastlos im Apartment umher, zerbrach sich den Kopf und starrte dabei die Wände und die Decke an, als ob sie die elektronischen Wanzen durch schiere Willenskraft enttarnen könnte. Martin schnüffelt mir hinterher, dessen war sie sich sicher. Er hat mich dabei beobachtet, wie ich es mit Dorik getrieben habe.
Mit einem entsagungsvollen Seufzer beschloss sie, sich professioneller Hilfe bei der Untersuchung des Apartments zu bedienen. Das Problem ist nur, sagte sie sich, dass alle mir bekannten Experten HSS-Mitarbeiter sind. Ob ich darauf vertrauen kann, dass sie ihre Arbeit auch richtig machen?
Dann fiel ihr eine Alternative ein. Doug Stavenger muss ein paar Experten in Selenes Stammbevölkerung haben. Ich werde Stavenger um Hilfe bitten.
Beide IAA-Fluglotsen erwarteten die Rückkehr von Fuchs in der Höhle, die als Empfangsbereich des Raumhafens von Ceres diente. Er hatte die Lubbock Lights im Orbit um den Asteroiden verlassen, das Schiff wieder seinem Kapitän übergeben und war mit einem Zubringer zur Oberfläche geflogen. Die beiden Lotsen verließen ihren Posten im engen IAA-Kontrollzentrum und gingen in den Empfangsbereich, um ihn zu stellen.
Als Fuchs aus dem mit Druck beaufschlagten Tunnel trat, der den Zubringer mit der kahlen Felsenkammer verband, räusperte die Senior-Fluglotsin, eine Mittdreißigerin mit rotem Haar und einem speziellen Ruf bei den Männern, die den Pub frequentierten, sich nervös und sagte:
»Mr. Fuchs, die IAA verlangt, dass Sie sich wegen des Vorwurfs der Piraterie den Behörden stellen.«
Fuchs ignorierte sie und ging zum Tunnel, der zu den unterirdischen Quartieren führte. Sie schaute auf ihren Partner, einen stämmigen jungen Mann mit rundem Gesicht, hoher Stirn und einem langen Pferdeschwanz, der ihm bis zur Mitte des Rückens reichte. Sie beide nahmen die Verfolgung von Fuchs auf.
»Mr. Fuchs, bitte machen Sie es uns nicht unnötig schwer«, sagte er.
»Ich will es Ihnen sogar ganz leicht machen«, sagte Fuchs und wirbelte beim Gang durch den Tunnel dunkelgraue Staubwolken auf. »Verschwinden Sie und lassen Sie mich in Ruhe.«
»Aber, Mr. Fuchs …«
»Ich habe nicht die Absicht, mich Ihnen oder sonst jemandem zu stellen. Lasst mich in Ruhe, bevor ihr noch zu Schaden kommt.«
Die beiden blieben so abrupt stehen, dass die wabernden Staubwolken sie bis zu den Knien einhüllten. Fuchs trabte derweil weiter durch den Tunnel in Richtung der Unterkunft und seiner Frau.
Er war nicht mehr die hilflose Marionette, die an Martin Humphries’ Schnüren hing und ständig von ihm hin und her gerissen wurde. Die Wut war zwar noch da, doch nun war sie eiskalt und kalkuliert. Er hatte die Zeit im Transit nach Ceres mit Berechnungen, Planungen und Vorbereitungen verbracht. Nun wusste er genau, was er zu tun hatte.
Es stand kein Posten an der Tür. Mit zitternden Händen schob Fuchs sie auf. Und da saß Amanda am Schreibtisch und machte vor Überraschung große Augen.
»Lars! Es hat mir niemand gesagt, dass du angekommen bist!« Sie sprang vom Stuhl auf und schlang ihm die Arme um den Hals.
»Geht es dir gut?«, fragte er, nachdem er sie geküsst hatte. »Hat dir auch niemand etwas getan?«
»Ich bin in Ordnung, Lars«, sagte sie. »Und du?«
»Die IAA bezichtigt mich der Piraterie. Sie werden mich wahrscheinlich festnehmen und für eine Verhandlung nach Selene zurückbringen wollen.«
Sie nickte ernst. »Ja, ich habe eine entsprechende Benachrichtigung erhalten. Lars, du hättest das Schiff nicht übernehmen dürfen. Mir ist schon nichts passiert.«
Trotz des ganzen Ärgers grinste er sie an. Wo er sie nun in den Armen hielt, lösten seine Ängste sich in Wohlgefallen auf. »Ja«, hauchte er, »du bist mehr als in Ordnung.«
Amanda erwiderte sein Lächeln. »Die Tür ist noch auf«, sagte sie zu ihm.
Er löste sich von ihr, doch anstatt die Tür zu schließen, ging er zum Schreibtisch. Der Wandbildschirm zeigte ein Formular ihrer Versicherungsgesellschaft. Fuchs überflog es bis zu der Zeile, aus der hervorging, dass man ihre Police storniert hatte und löschte den Bildschirm.
»Ich muss zum Lagerhaus«, sagte er. »Nodon wird dort schon auf mich warten.«
»Nodon?«, fragte Amanda. »Georges Partner?«
»Ja«, sagte Fuchs und rief Helvetias Personaldatei auf. »Er hat mit uns an dieser Farce von einer Anhörung in Selene teilgenommen.«
»Ich weiß.«
Er schaute zu ihr auf und fragte: »Wer von diesen Leuten war Zeuge von Ingas Ermordung?«
»Oscar Jiminez«, sagte Amanda, zog den zweiten Stuhl im Raum heran und setzte sich neben ihn.
»Ich muss mit ihm sprechen«, sagte Fuchs. Er erhob sich vom Stuhl und ging zur Tür; Amanda blieb sitzen.
Nodon wartete vor der Lagerhalle auf ihn. Unbehaglich und gereizt bestellte Fuchs Jiminez und die beiden anderen Helvetia-Mitarbeiter, beides junge Männer, zu sich. Als sie sich alle im kleinen Büro des Lagerhauses versammelt hatten, war der Ort überfüllt und erwärmte sich durch die zusammengedrängten Körper. Der schmächtige Jiminez stand mit großen Augen zwischen den beiden anderen Männern.
»In ein oder zwei Tagen«, sagte Fuchs ihnen, »werden wir zum HSS-Lagerhaus gehen und das Material zurückholen, das sie uns gestohlen haben.«
Die Männer schauten sich nervös an. »Und wir werden die Männer zur Verantwortung ziehen, die Inga ermordet haben«, fügte er hinzu.
»Sie sind verschwunden«, sagte Jiminez vor Anspannung eine Tonlage höher.
»Verschwunden?«
»Am Tag nach dem Überfall aufs Lagerhaus«, sagte einer der älteren Männer. »Neun HSS-Mitarbeiter sind auf einem ihrer Schiffe abgeflogen.«
»Mit welchem Ziel?«, wollte Fuchs wissen. »Selene?«
»Das wissen wir nicht. Vielleicht ist es zur Erde geflogen.«
»Wir werden sie nie mehr erwischen, wenn sie auf der Erde sind«, murmelte Fuchs.
»Sie haben eine neue Gruppe mit dem Schiff hergebracht, mit dem die anderen abgeflogen sind«, sagte der andere Mann, ein durchtrainiert wirkendes Weltergewicht mit einem militärischen Kurzhaarschnitt und Juwelen-Piercings in Nase, Augenbrauen und Ohrläppchen.
»Ich vermute, dass sie das HSS-Lagerhaus bewachen«, sagte Fuchs und schaute Nodon an. Der sagte nichts und hörte nur zu.
Der junge Mann nickte.
»Also gut«, sagte Fuchs und holte tief Luft. »Wir werden folgendermaßen vorgehen.«
Dossier: Joyce Takamine
»Es kommt nicht darauf an, was du weißt«, sagte er ihr immer wieder. »Es kommt darauf an, wen du kennst.«
Joyce machte eine Karriere von der Pflückerin zur leitenden Angestellten einer der großen Farmmanagement-Gesellschaflen. Bewaffnet mit ihrem Abschluss in Computerwissenschaften hatte sie den Mut aufgebracht, den jungen Mann, der das örtliche Büro der Gesellschaft leitete, um einen Job zu bitten. Er bot ihr an, die Möglichkeiten beim Abendessen in seinem Wohnmobil zu sondieren. Sie landeten an jenem Abend in seinem Bett. Sie bekam den Job und lebte die nächsten beiden Jahre mit dem jungen Mann zusammen, der sie ständig an das »große amerikanische Gewusst wer« erinnerte.
Als Joyce schließlich seinen Rat befolgte und ihn wegen eines älteren Mannes verließ, der zufällig Topmanager bei Humphries Space Systems war, war der junge Mann schockiert und desillusioniert.
»Aber ich habe doch nur das getan, was du mir die ganze Zeit geraten hast«, erinnerte Joyce ihn.