Fuchs hatte das Gerücht einer bruchstückhaften Nachricht entnommen, die er von Amanda auf Ceres empfangen hatte. HSS-Leute errichteten einen Stützpunkt auf Vesta. Noch mehr Kriegsschiffe und Söldner würden den Asteroiden als Basis benutzen, von der aus sie Lars Fuchs jagen und zur Strecke bringen wollten.
Und Fuchs beschloss, ihnen zuvorzukommen. Er wies den kooperativen Nielson an, Kontakt mit Vesta aufzunehmen und zu melden, dass die Durant in einem Gefecht mit Fuchs’ Schiff beschädigt worden sei und den Asteroiden zwecks Reparatur anfliegen müsse.
Als die beiden Männer an der Steuerkonsole auf der Brücke der Durant standen und Nielson schließlich begriff, was Fuchs vorhatte, bekam er es doch mit der Angst zu tun. Er war ein schlanker, drahtiger Rotschopf mit einem spitzen Kinn und Zähnen, die eine Nummer zu groß für den Kiefer schienen. Die übrigen Besatzungsmitglieder waren in ihren Kabinen eingesperrt.
Nodon und die anderen Asiaten hatten die Steuerung des Schiffs übernommen. Nielson war zwar ein ruhiger Typ, wie Fuchs wusste, doch als sie sich Vesta näherten, brach ihm sichtlich der Schweiß aus.
»Lass Gnade walten, Lars«, sagte er.
»Gnade?«, blaffte Fuchs. »Hat man vielleicht gegenüber Niles Ripley Gnade walten lassen? Hat man gegenüber den Leuten in den Schiffen Gnade walten lassen, die zerstört wurden? Das ist ein Krieg, Boyd, und im Krieg wird kein Pardon gegeben.«
Der Asteroid wirkte riesig auf dem Hauptbildschirm der Brücke: eine massive dunkle Kugel, die mit unzähligen Kratern übersät war. Beim Überfliegen des größten Kraters sah Fuchs eine Ansammlung von Gebäuden und Baumaschinen. Brandspuren zeigten, wo Raumschiffe gelandet und wieder gestartet waren.
»Drei Schiffe in der Umlaufbahn«, stellte Fuchs fest, wobei seine Augen sich verengten.
»Auf der anderen Seite sind vielleicht noch mehr«, sagte Nielson.
»Sie werden bewaffnet sein.«
»Das ist anzunehmen.« Nielson schien sich ausgesprochen unwohl zu fühlen. »Wir könnten alle getötet werden.«
Fuchs nickte, als ob er eine endgültige Berechnung angestellt hätte und mit dem Ergebnis zufrieden sei.
»Halte den geplanten Kurs«, sagte Fuchs zu Nodon, der auf dem Pilotensitz saß.
»Du solltest sie nach ihren Orbitalparametern fragen«, wandte er sich an Nielson.
Nielson spürte ein Zucken in der linken Wange. »Lars, das muss doch nicht sein. Du kannst noch zu deinem Schiff zurückfliegen, ohne dass jemand zu Schaden kommt.«
Fuchs schaute ihn finster an. »Du begreifst es nicht, oder? Ich will, dass jemand zu Schaden kommt.«
Nguyan Ngai Giap stand im staubverkrusteten Raumanzug auf dem Rand des namenlosen Kraters und betrachtete mit Wohlgefallen die Bauarbeiten. Ein halbes Dutzend langer, bogenförmiger Habitatmodule befand sich dort. Frontlader schaufelten sie mit Erdreich zu, um sie vor der Strahlung und Mikrometeoriteneinschlägen zu schützen.
Sie würden rechtzeitig bezugsfertig sein, und er hatte bereits ans HSS-Hauptquartier in Selene gemeldet, dass die Truppen in Marsch gesetzt werden konnten. Die Reparatureinrichtungen waren auch schon fast fertig. Alles lief wie geplant.
»Sir, wir haben einen Notfall«, ertönte die Stimme einer Frau in den Helmohrhörern.
»Einen Notfall?«
»Ein Erzfrachter, die Durant, bittet um Erlaubnis, in eine Umlaufbahn gehen zu dürfen. Das Schiff muss repariert werden.«
»Durant? Ist das ein HSS-Schiff«, fragte Giap.
»Jawohl, Sir. Ein Erzfrachter. Sie sagen, er sei von Fuchs’ Schiff angegriffen worden.«
»Erteilen Sie die Erlaubnis, in die Umlaufbahn zu gehen. Verständigen Sie auch die anderen Schiffe dort oben.«
»Jawohl, Sir.«
Erst nachdem er die Aufmerksamkeit wieder auf die Bauarbeiten gerichtet hatte, fragte Giap sich, woher die Durant überhaupt von dieser Anlage wusste. HSS-Schiff hin oder her, dieser Stützpunkt auf Vesta sollte eigentlich geheim bleiben.
»Frachter im Anflug«, rief das wachhabende Crewmitglied auf der Brücke der Shanidar.
Dorik Harbin achtete kaum darauf. Nach dem vergeblichen Versuch, Fuchs mit dem falschen Erzfrachter zu überlisten, war er zur reparierten und aufgerüsteten Shanidar zurückgekehrt, die in einem Parkorbit um Vesta auf ihn wartete. Sobald das Betanken abgeschlossen war, konnte Harbin die Jagd nach Lars Fuchs wieder aufnehmen. Die Besatzung der Shanidar war enttäuscht, dass sie auf Vesta anstatt auf Ceres bleiben musste, wo sie die Wartezeit im Pub oder im Bordell des Asteroiden hätte überbrücken können. Sollen sie sich nur ärgern, sagte Harbin sich. Je eher wir Fuchs erwischen, desto früher können wir alle endlich aus dem Gürtel verschwinden.
Er dachte an Diane Verwoerd. Keine Frau hatte bisher an seine Emotionen gerührt, doch Diane war auch ganz anders als alle Frauen, die er bisher kennen gelernt hatte. Er hatte schon mit vielen Frauen Sex gehabt, doch Diane war viel mehr als nur eine Bettgefährtin. Sie war intelligent, schnell von Begriff und war genauso wie Harbin darauf bedacht, in dieser Welt vorwärts zu kommen. Sie wusste mehr über die Tücken und Hintergründe der Geschäftswelt, als Harbin je für möglich gehalten hätte. Sie wäre eine schöne Lebensgefährtin, eine Frau, die er gern an seiner Seite gehabt hätte, um ihr einen Teil der Last abzunehmen und noch ein wenig mehr. Und der Sex mit ihr war gut, geradezu phantastisch — besser als jede Droge.
Aber liebe ich sie, fragte Harbin sich. Er wusste nicht, was wahre Liebe war. Aber er wusste, dass er Diane wollte: Sie war sein Schlüssel zu einer besseren Welt, sie vermochte ihn aus diesem perspektivlosen Dasein als Söldner und Killer herauszureißen, das sein Leben war.
Er wusste aber auch, dass er sie erst dann bekommen würde, wenn er diesen verrückten Flüchtling Fuchs gefunden und getötet hatte.
»Das Schiff transportiert eine schwere Erzladung«, stellte das Besatzungsmitglied fest.
Harbin richtete die Aufmerksamkeit auf den herannahenden Erzfrachter, der auf dem Monitor auf der Brücke abgebildet wurde. Im Gefecht mit Fuchs beschädigt, hatte der Kapitän gesagt. Aber er sah keine Anzeichen einer Beschädigung. Vielleicht werden die Schäden durch die Ladung kaschiert, sagte er sich. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Hasenfuß beim ersten Anzeichen von Gefahr die Flucht ergriffen hat und hier Schutz sucht.
Harbins Bart war in den Monaten, in denen er Fuchs durch den Gürtel gejagt hatte, wieder nachgewachsen. Er kratzte ihn, als ihm ein neuer Gedanke kam. Woher wusste dieser Erzfrachter überhaupt, dass wir hier einen Stützpunkt bauen? Das unterlag doch der Geheimhaltung. Wenn schon jeder Schrottkahn Bescheid weiß, wird Fuchs früher oder später auch davon erfahren.
Aber was soll’s, sagte Harbin sich. Selbst wenn er es weiß, was sollte er schon tun? Ein Mann in einem Schiff gegen eine immer größere Armee. Früher oder später werden wir ihn finden und vernichten. Es ist nur eine Frage der Zeit. Und dann kann ich endlich zu Diane zurückkehren.
Beim Blick auf den Bildschirm fiel ihm schließlich auf, dass der anfliegende Frachter überhaupt nicht abzubremsen schien, um in eine Umlaufbahn zu gehen. Stattdessen beschleunigte er noch und raste auf den Asteroiden zu.
»Er geht auf Kollisionskurs!«, rief Harbin.
Ein rotierendes Raumschiff mit zentimetergenauer Präzision zu steuern, überstieg die Fähigkeiten von Fuchs’ Leuten. Auch die von Nielsons Besatzung. Für den Bordcomputer war es aber ein Kinderspieclass="underline" Simple Newton’sche Mechanik auf der Grundlage des ersten Axioms.