Humphries ließ Dieterling und die anderen einfach stehen und eilte zu Amanda.
Er hatte plötzlich einen trockenen Mund und musste erst mal kräftig schlucken, bevor er ein »Hallo« hervorbrachte.
»Hallo, Martin«, sagte Amanda ernst.
Er kam sich vor wie ein schüchterner Schuljunge und wusste nicht, was er sagen sollte.
Es war ausgerechnet Pancho, die ihn rettete. »Hallo, Mandy!«, rief sie fröhlich und ging auf sie zu. »Schön, dich zu sehen.«
Humphries war Pancho fast dankbar, dass sie es übernahm, Amanda, Cardenas und Big George Dieterling und seinen Neffen vorzustellen. Dann traf Doug Stavenger mit seiner Frau ein, und die Gesellschaft war vollzählig.
Während die Gäste Champagner süffelten und parlierten, rief Humphries einen der Kellner herbei und wies ihn an, die Sitzordnung im Esszimmer zu ändern. Er wollte, dass Amanda zu seiner Rechten saß.
Zwei Minuten später kam sein Butler zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Sir, Doktor Dieterling müsste eigentlich zu Ihrer Rechten sitzen. Diplomatisches Protokoll …«
»Zum Teufel mit dem Protokoll!«, zischte Humphries. »Ändern Sie die Sitzordnung. Sofort!«
Der Butler wirkte überaus besorgt. Da schaltete Verwoerd sich ein und sagte: »Ich werde mich darum kümmern.«
Humphries nickte ihr zu. Sie und der Butler verschwanden im Esszimmer. Humphries wandte sich wieder Amanda zu. Sie schien geradezu wie eine Göttin zu strahlen inmitten der plappernden Normalsterblichen, in deren Mittelpunkt sie stand.
Das Dinner war lang und ausgiebig. Humphries war sicher, dass die Konversation anspruchsvoll und tiefschürfend war; so hatten die Teilnehmer an der morgigen Konferenz die Möglichkeit, sich schon einmal kennen zu lernen. Das sporadische Gelächter zeigte, dass auch der Humor nicht zu kurz kam. Humphries hörte aber gar nicht zu. Er hatte nur Augen für Amanda. Sie lächelte hin und wieder, aber ihm schenkte sie kein Lächeln. Sie unterhielt sich mit Dieterling, der auf der anderen Seite von ihr Platz genommen hatte und mit Stavenger, der ihr am Tisch gegenübersaß. Sie sprach aber kaum ein Wort mit Humphries, und ihm fiel es auch schwer, mit ihr ins Gespräch zu kommen — vor allem in Gegenwart der vielen anderen Leute. Nach dem Dinner wurden Drinks in der Bibliothek serviert. Als die antike Standuhr in der Ecke Mitternacht schlug, verabschiedeten die Gäste sich. Amanda ging mit Cardenas und Big George. Pancho blieb, bis alle anderen gegangen waren.
»Zuerst rein, zuletzt raus«, sagte sie und stellte schließlich ihr Glas auf die Bar. »Ich möchte nämlich nichts verpassen.«
Humphries überließ es Verwoerd, Pancho zur Tür zu bringen. Er ging hinter die Bar und goss sich einen ordentlichen Whisky ein.
Als Verwoerd zurückkehrte, hatten ihre vollen Lippen sich zu einem sybillinischen Lächeln gekräuselt. »In natura ist sie noch schöner als auf dem Bildschirm.«
»Ich werde sie heiraten«, sagte Humphries.
Nun musste Verwoerd lachen. »Dazu müssten Sie überhaupt erst einmal die Nerven haben, mit ihr zu sprechen, möchte ich meinen.«
Zorn flammte in ihm auf. »Es waren zu viele Leute um uns herum. Unter solchen Umständen kann ich doch nichts von Belang sagen.«
»Sie hatte Ihnen aber auch nicht gerade viel zu sagen«, sagte Verwoerd noch immer grinsend.
»Das wird sie noch. Dafür werde ich schon sorgen.«
Verwoerd nahm ihr halb volles Glas von der Bar und sagte: »Mir ist aufgefallen, dass die andere Frau auch kaum ein Wort mit Ihnen gewechselt hat.«
»Doktor Cardenas?«
»Ja.«
»Wir hatten in der Vergangenheit unsere … Differenzen. Als sie noch hier in Selene lebte.«
»Sie hatte das Nanotech-Labor geleitet, nicht wahr?«
»Ja.« Kris Cardenas hatte ihr Labor nämlich wegen Humphries schließen müssen. Er war sicher, dass Verwoerd das auch wusste; das katzenhafte Lächeln in ihrem Gesicht sagte ihm, dass sie es wusste und sich über sein Unbehagen freute. Und über seine Unfähigkeit, mehr als nur ein paar Worte mit Amanda zu wechseln. Sie genießt den Anblick, wie ich mich bei der Frau, die ich liebe, verkrampfe und zum Trottel mache, sagte er sich wütend.
»Es würde mich interessieren, was Sie morgen zu sagen haben«, sinnierte Verwoerd. »Falls Sie überhaupt etwas zu sagen haben.«
»Morgen?«
»Auf der Konferenz.«
»Ach so. Die Konferenz.«
»Ich freue mich schon darauf«, sagte Verwoerd.
»Sie werden nicht dabei sein.«
Sie riss perplex die Augen auf, doch dann erlangte sie die Fassung zurück.
»Ich werde bei der Konferenz nicht dabei sein? Wieso denn nicht?«
»Weil Sie im medizinischen Labor sein werden. Es wird Zeit, dass Ihnen mein Klon implantiert wird.«
Nun verlor Verwoerd doch die Beherrschung. »Jetzt schon? Sie wollen das ausgerechnet jetzt tun, wo die Konferenz …«
Er hatte diesen Entschluss eben erst gefasst. Diese selbstgefällige Überheblichkeit in ihrem Gesicht hatte ihn zu diesem Schritt veranlasst. Es wird Zeit, dass ich ihr zeige, wer hier das Sagen hat; ich muss ihr klar machen, dass sie meine Anweisungen zu befolgen hat.
»Wie gesagt«, sagte Humphiies und genoss dabei ihren Schreck und ihre Verwirrung. »Ich werde Amanda heiraten, und Sie werden mein Baby austragen.«
Kapitel 50
Dann läuft es also darauf hinaus, sagte Dorik Harbin sich, als er die Nachricht auf dem Bildschirm las. Die enormen Anstrengungen und schwierigen Manöver, die vielen Schiffe, Mord und Totschlag — und wofür? Für einen lausigen Verrat.
Er saß in seiner Kabine und starrte auf den Monitor. Ein Typ, der mal bei Fuchs angestellt gewesen war, hatte ihn verraten. Für ein lächerliches Bestechungsgeld hatte er die Dateien im Computer von Fuchs’ Frau gehackt und herausgefunden, wo Fuchs’ Kommunikations-Transceiver aufgestellt waren. Diese kleinen elektrooptischen Kästen waren Fuchs’ Lebensader, sein Zugang zu Informationen, wo und wann er die Schiffe finden konnte, denen er auflauerte.
Harbin lächelte, doch es drückte keine Freude aus. Er öffnete einen Kommunikationskanal zu seinen Schiffen und beorderte sie zu den Asteroiden, wo Fuchs’ Transceiver standen. Früher oder später würde er bei einem dieser Asteroiden aufkreuzen, um die neuesten Informationen von seiner Frau abzurufen. Und dann würden ein paar von Harbins Schiffen auf ihn warten.
Harbin hoffte, dass Fuchs zu dem Asteroiden käme, wo er sich selbst auf die Lauer legen wollte.
Es wird am besten sein, diesen Kampf Mann zu Mann zu entscheiden, sagte er sich. Und wenn er endlich vorbei ist, werde ich reich genug sein, um mich in den Ruhestand zurückzuziehen. Mit Diane.
Diane Verwoerd verbrachte eine schlaflose Nacht und grämte sich wegen der Qual, die ihr bevorstand. Ich werde Martins Kind austragen, ohne wirklich von ihm schwanger zu sein. Es wird fast auf eine Jungfrauengeburt hinauslaufen.
Die Ironie der Situation vermochte ihre Ängste auch nicht zu lindern. Weil sie keinen Schlaf fand, setzte sie sich an den Computer und suchte nach allen Informationen, die sie über das Klonen fand: Schafe, Schweine, Affen — und Menschen. In den meisten Ländern auf der Erde war das Klonen von Menschen verboten. Die ultrakonservativen religiösen Organisationen wie die Neue Moralität und das Schwert des Islam inhaftierten und exekutierten sogar Wissenschaftler nur wegen der Forschung auf dem Feld des Klonens. Trotzdem gab es Labors, private Einrichtungen — die von den Superreichen geschützt wurden —, wo solche Experimente durchgeführt wurden. Die meisten Klon-Versuche misslangen jedoch. Und in den Fällen, wo sie ›gelangen‹, kamen Missgeburten dabei heraus. Manche Frauen hatten auch das Pech, im Kindbett zu sterben oder eine Totgeburt.