Meine Chancen, Martin einen gesunden Sohn zu liefern, stehen ungefähr eins zu hundert, sagte Verwoerd sich. Da ist sogar die Wahrscheinlichkeit größer, dass ich vorher sterbe.
Sie schauderte, aber sie wusste, dass sie es durchziehen würde. Um die Mutter von Martin Humphries’ Sohn zu werden, würde sie jedes Risiko eingehen. Das wird mir einen Sitz im Vorstand verschaffen. Und wer weiß, wie weit ich es mit Dorik als meinem Beschützer noch bringen werde.
Humphries wachte an diesem Morgen mit einem Lächeln auf. Es fügt sich alles prächtig, sagte er sich, als er aus dem Bett stieg und ins Bad schlurfte. Amanda ist ohne Fuchs hier. Wenn die Konferenz zu Ende ist, wird er von ihr und allen anderen Menschen abgeschnitten sein. Dann habe ich die Chance, ihr zu zeigen, was für ein Leben sie mit mir führen kann.
Im Spiegel überm Waschbecken sah er sein aufgedunsenes, verschlafenes und unrasiertes Spiegelbild. Aber ob sie mich überhaupt will, fragte er sich. Ich vermag ihr alles zu bieten, was eine Frau sich nur wünschen kann. Aber wird sie mich wieder zurückweisen? Wird sie bei Fuchs bleiben?
Nicht, wenn der Mann tot ist, sagte er sich. Dann hat sie keine Wahl. Wenn der Konkurrent aus dem Weg geräumt ist.
Mit zitternden Händen griff er nach der elektrischen Zahnbürste. Humphries runzelte die Stirn über seine Schwäche, öffnete den Medizinschrank und ließ den Blick über die Ampullen schweifen, die dort in alphabetischer Reihenfolge angeordnet waren. Ein Mittel gegen jedes Leiden, sagte er sich. Hauptsächlich waren es Designerdrogen, die von einem der brillanten Forscher zusammengemixt worden waren, die auf seiner Gehaltsliste standen. Ich brauche etwas zur Beruhigung, sagte Humphries sich. Etwas, womit ich diese Konferenz überstehe, ohne auszurasten. Amanda darf keine Angst vor mir bekommen.
Während er den Medizinschrank durchsuchte, blitzte das Bild von Diane Verwoerds bekümmertem, ängstlichem Gesicht in seinem Bewusstsein auf. Das überhebliche Grinsen ist ihr vergangen, sagte er sich und genoss die Erinnerung an ihre Überraschung und Furcht. Er wusste gar nicht mehr, wie viele Frauen schon Klone von ihm auszutragen versucht hatten. Ein paar waren gestorben, und eine hatte ein Monster zur Welt gebracht, das den ersten Tag nicht überlebt hatte. Diane ist stark, sagte er sich. Sie wird das für mich erledigen. Und wenn nicht … er zuckte die Achseln. Es gibt noch genug andere Frauen für den Job.
Er fand das blaue Fläschchen, nach dem er suchte.
Nur eins, sagte er sich; nur so viel, um die Konferenz zu meistern. Später werde ich etwas anderes brauchen, etwas zur Stimulation. Aber noch nicht. Nicht heute Morgen. Später, wenn Amanda hier bei mir ist.
Pancho hatte ihre Garderobe für die Konferenz sorgfältig ausgewählt: Sie trug eine orangefarbene Seidenbluse, eine Hose und eine schöne Patchwork-Jacke mit Strassbesatz. Dies ist eine wichtige Konferenz, und ich vertrete die Astro Corporation, sagte sie sich. Also muss ich auch entsprechend auftreten. Sie glaubte, dass sie die Erste sei, die auf der Konferenz erschien, doch als sie eintraf, stand Doug Stavenger schon am großen Fenster, das eine ganze Wand des Raums einnahm. Er war mit einer saloppen blauen Strickjacke bekleidet und machte einen entspannten Eindruck.
»Hallo«, rief er fröhlich. Er zeigte auf die mit Kaffeekannen und kleinen Gerichten beladende Anrichte und fragte: »Haben Sie schon gefrühstückt?«
»Ich könnte einen Kaffee vertragen«, sagte Pancho und ging zum Tisch.
Der Konferenzraum war Teil des Bürokomplexes, den Selene in einem der Zwillingstürme eingerichtet hatte, die die große Kuppel der Grand Plaza trugen. Pancho schaute aus dem Fenster auf die Plaza und sah den liebevoll gepflegten Rasen, die blühenden Sträucher und Laubbäume, die die Landschaft verzierten. Da waren das große Schwimmbad, das als Touristenattraktion galt, und das Freilichttheater mit der elegant geschwungenen Konzertmuschel aus Mondbeton. Sie sah, dass so früh am Morgen nur wenige Leute unterwegs waren. Im Schwimmbad war überhaupt niemand.
Stavenger lächelte sie an. »Pancho, sind Sie wirklich ernsthaft interessiert, Ihre Differenzen mit Humphries beizulegen, oder ist die Konferenz nur Zeitverschwendung?«
Pancho erwiderte das Grinsen, während sie eine Kaffeetasse nahm und sie mit dem dampfenden schwarzen Gebräu füllte. »Astro ist durchaus bereit, einer vernünftigen Aufteilung des Gürtels zuzustimmen. Wir haben nie einen Kampf gewollt; es war Humphries, der die Eskalation verursacht hat.«
Stavenger schürzte die Lippen. »Das hängt wohl davon ab, wie man das Wort ›vernünftig‹ definiert.«
»Schauen Sie«, sagte Pancho. »Es gibt genug Rohstoffe im Gürtel, um jeden zufrieden zu stellen. Es ist genug für uns alle da. Er ist Humphries, der alles will.«
»Reden Sie über mich, Pancho?«
Sie drehten sich um und sahen Humphries durch die Tür kommen. Er trug einen marineblauen Geschäftsanzug und machte einen entspannten und zuversichtlichen Eindruck.
»Nichts, was ich Ihnen nicht schon ins Gesicht gesagt hätte, Humpy, alter Kumpel«, erwiderte Pancho.
Humphries hob eine Augenbraue. »Ich würde es vorziehen, wenn Sie mich in Anwesenheit der anderen Delegierten mit Mr. Humphries anredeten.«
»So empfindlich?«
»Ja. Ihre Rücksichtnahme würde ich damit honorieren, indem ich mich solcher Begriffe wie ›Gassenmädchen‹ oder ›Schraubfix‹ zu enthalten versuche.«
Stavenger griff sich an den Kopf. »Das verspricht ja ein wunderschöner Morgen zu werden«, stöhnte er.
Aber die Konferenz verlief viel ruhiger, als Stavenger befürchtet hatte. Die anderen Delegierten erschienen, und Humphries richtete seine Aufmerksamkeit auf Amanda, die ihm zwar höflich zulächelte, doch kein Wort mit ihm wechselte. Er schien fast ein anderer Mensch zu sein, wenn Fuchs’ Frau in der Nähe war: höflich, rücksichtsvoll und sehr darauf bedacht, ihre Bewunderung zu erringen oder zumindest ihre Achtung.
Stavenger eröffnete die Konferenz, und alle nahmen am polierten rechteckigen Konferenztisch Platz. Pancho wahrte die Etikette eines Vorstandsmitglieds, und Humphries war freundlich und kooperativ. Jeder legte in einem Eingangsstatement dar, dass er sich nichts mehr als Frieden und Eintracht im Asteroidengürtel wünschte. Willi Dieterling führte kurz aus, wie wichtig die Ressourcen des Gürtels für die Menschen auf der Erde seien.
»Wo so viele Millionen Menschen heimatlos sind und Hunger leiden, wo ein Großteil der globalen industriellen Kapazitäten vernichtet ist, sind wir dringend auf die Ressourcen des Gürtels angewiesen«, sagte er. »Die Kämpfe beeinträchtigen die Versorgung mit Rohstoffen, die wir für die Überwindung der Klimakatastrophe benötigen. Die Zivilisation hat einen schweren Rückschlag erlitten.«
»Die Bevölkerung von Selene ist bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen«, sagte Stavenger. »Wir haben hier auf dem Mond auch industrielle Kapazitäten, und wir können Ihnen beim Bau von Fabriken und Kraftwerken im Erdorbit helfen.«
Es war George, der schließlich Klartext redete.
»Wir alle wollen Frieden und gute Beziehungen«, hob er an, »aber die schmerzliche Wahrheit ist doch, dass draußen im Gürtel Menschen sich gegenseitig umbringen.«
»Die Weltregierung ist gern bereit, Friedenstruppen zu entsenden, um Sie bei der Aufrechterhaltung der Ordnung im Gürtel zu unterstützen«, sagte Dieterling sofort.
»Nein danke!«, sagte George etwas unwirsch. »Wir sind selbst in der Lage, die Ordnung wieder herzustellen …« — er drehte sich um und schaute Humphries an —»wenn die Konzerne endlich aufhören, uns Killer auf den Hals zu hetzen.«
»Konzerne im Plural?«, fragte Pancho. »Astro hat nie Killer in den Gürtel geschickt.«