Im Gegensatz zu den anderen sah Amanda die Ironie der ganzen Sache. Sie war die Tochter eines kleinen Krämers in Birmingham und hatte das Mittelklassemilieu und die Unterklassenarbeiter gehasst, mit denen ihr Vater Geschäfte machte. Die Jungs waren im besten Fall nur rüpelhaft und zudringlich, konnten aber genauso schnell gewalttätig werden. Und die Mädchen waren richtige Biester. Amanda entdeckte früh, dass Schönheit Fluch und Segen zugleich war. Sie fiel auf, wohin auch immer sie kam; ihre schiere Präsenz sorgte jedes Mal für Aufsehen. Und wenn sie erst einmal Aufmerksamkeit erregt hatte, musste sie nur noch erreichen, dass die Leute auch den hochintelligenten Menschen hinter dieser attraktiven Fassade wahrnahmen.
Schon als Teenager hatte sie gelernt, ihr gutes Aussehen einzusetzen, um Jungen nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, während sie zugleich ihren scharfen Intellekt nutzte, um ihnen immer einen Schritt voraus zu sein. Dann verließ sie ihr Elternhaus und ging nach London, wo sie sich einer Sprachschulung unterzog, um mit einem Oxford-Akzent zu sprechen und fand — zu ihrem ungläubigen Erstaunen — heraus, dass sie die Intelligenz und Fähigkeit besaß, eine erstklassige Astronautin zu werden. Sie wurde von der Astro Manufacturing Corporation eingestellt, um Missionen zwischen Erde und Mond zu fliegen. Mit dem atemberaubenden Äußeren und der scheinbaren Naivität vermutete fast jeder, dass sie sich nach oben gevögelt hatte. Doch das genaue Gegenteil war der Fall; Amanda hatte ihre liebe Not, sich der Männer — und Frauen — zu erwehren, die sie ins Bett ziehen wollten.
Und in Selene war sie dann Martin Humphries begegnet. Er hatte die bisher größte Gefahr für sie dargestellt: Er wollte Amanda, und er hatte die Macht, sich zu nehmen, was er wollte. Amanda hatte Lars Fuchs auch deshalb geheiratet, um Humphries zu entfliehen, und Lars wusste das.
Und nun stand sie kurz davor, hier an der Grenze der menschlichen Expansion ins Sonnensystem selbst eine Geschäftsfrau zu werden. Vater würde jubeln, sagte sie sich. Die Rache des Vaters: Das Kind trat schließlich doch in die Fußstapfen der Eltern.
»Humphries wird die Konkurrenz aber nicht schätzen«, gab Cardenas zu bedenken.
»Umso besser!«, rief Fuchs.
»Die Konkurrenz wird aber gut für die Prospektoren sein«, sagte Amanda, nachdem sie aus ihren Träumen erwacht war. »Und für die Bergleute. Dadurch werden nämlich die Preise sinken, die sie für Gebrauchsgüter zahlen müssen.«
»Der Ansicht bin ich auch«, sagte Cardenas. »Humphries wird das freilich nicht gefallen. Er wird überhaupt nicht erfreut sein.«
Fuchs lachte laut. »Umso besser«, wiederholte er.
Kapitel 5
Als er die Oberfläche von Ceres betrat, wurde Fuchs sich bewusst, dass er zum ersten Mal seit ein paar Monaten wieder einen Raumanzug trug. Der Anzug roch immer noch neu; er hatte ihn bisher erst ein- oder zweimal benutzt. Mein Gott, sagte er sich, ich bin ein richtiger Bourgeois geworden. Außerdem saß der Anzug nicht richtig; die Arme und Beine waren etwas zu lang, sodass er sich unbehaglich fühlte.
Den ersten Ausflug ins Weltall hatte er vor fünf Jahren mit der Starpower 1 unternommen. Ihr Jungfernflug hatte allerdings unter einem schlechten Stern gestanden. Er war damals ein frisch graduierter Student gewesen und strebte eine Promotion in Planeten-Geochemie an. Er kehrte nie mehr an die Universität zurück. Stattdessen heiratete er Amanda und wurde eine Felsenratte — ein Prospektor, der sein Glück zwischen den Asteroiden des Gürtels suchte. Vor fast zwei Jahren hatte er auch das aufgegeben, um ein Depot auf Ceres zu leiten und das Habitatprojekt zu überwachen.
Helvetia GmbH war der Name, den Fuchs seinem aufstrebenden Geschäft gegeben hatte, das er gemäß den Statuten der Internationalen Astronautenbehörde gegründet hatte. Er war der Präsident von Helvetia, Amanda die Schatzmeisterin, und Pancho Lane war Vizepräsidentin, die sich aber nicht in die Unternehmensführung einmischte; sie machte sich auch nur selten die Mühe, das Hauptquartier auf Ceres aufzusuchen. Helvetia kaufte den größten Teil der Vorräte von der Astro Corporation und verkaufte sie dann mit der geringsten Marge, die Amanda zuließ, an die Felsenratten weiter. Humphries Space Systems konkurrierte in diesem Geschäftsbereich mit ihnen, und Fuchs hielt die Preise so niedrig wie möglich, wodurch Humphries gezwungen wurde, auch mit den Preisen herunterzugehen, um nicht aus dem Geschäft gedrängt zu werden. Der Wettbewerb wurde ruinös — es war ein Rennen, bei dem der eine den anderen aus dem Feld zu schlagen versuchte.
Die Felsenratten kauften offensichtlich lieber bei Fuchs als bei HSS. Fuchs war angenehm überrascht, dass die Helvetia GmbH florierte, obwohl er sich selbst nur als mittelmäßigen Geschäftsmann betrachtete. Er war allzu schnell bereit, einer Felsenratte einen Kredit nur auf das Versprechen zu gewähren, dass sie es zurückzahlen würde, wenn sie einmal reich war. Er zog ein Händeschütteln dem Kleingedruckten eines Vertrages vor. Amanda machte ihm deswegen Vorhaltungen, doch wurden genug von diesen vagen Versprechen eingelöst, um Helvetia profitabel zu machen. Wir werden reich, sagte Fuchs sich vergnügt, während sein Bankkonto in Selene immer dicker wurde. Trotz Humphries’ Tricks kommen wir zu Reichtum.
Als er nun den Blick über die zerschundene Oberfläche von Ceres schweifen ließ, wurde er sich wieder einmal bewusst, was für ein einsamer und desolater Ort das war — fernab jeglicher Zivilisation. Der Himmel war mit Sternen übersät: in einer solchen Fülle, dass die alten vertrauten Sternbilder völlig untergingen. Es gab keinen freundlichen alten Mond oder eine blau glühende Erde, die in der Nähe hing; selbst die Sonne wirkte klein und schwach, durch die große Entfernung zu einem Zwerg geschrumpft. Es war ein seltsamer, fremdartiger Himmeclass="underline" hart und gnadenlos. Ceres’ rauhe und unebene Oberfläche war pechschwarz, kalt und mit Tausenden von kleinen Kratern übersät; überall waren Felsbrocken und kleine Steine verstreut. Der Horizont war so nah, dass man den Eindruck hatte, auf einer kleinen Plattform zu stehen, anstatt auf einem massiven Körper. Für einen Moment wurde Fuchs schwindlig, und er glaubte nach oben zu fallen, von dieser kleinen Welt in die Wildnis der Sterne.
Fast wie in Trance fiel sein Blick auf das unfertige Habitat, das über dem Horizont aufstieg. Es funkelte sogar im schwachen Sonnenlicht und vermittelte ihm ein Gefühl der Stabilität. Es war zwar nur ein Ensemble alter, ausrangierter und ausgeschlachteter Raumschiffe, aber es war immerhin das Werk von Menschen hier draußen in dieser weiten, dunklen Leere.
Er sah einen Lichtblitz — das war das kleine Raumboot, das Pancho und Ripley zum Asteroiden zurückbrachte. Fuchs wartete an der kompakten Luftschleuse, die zu den unterirdischen Wohnquartieren führte.
Das Raumboot verschwand hinterm Horizont, doch nach ein paar Minuten stieg es an der anderen Seite hoch — nah genug, dass er die insektenartigen Beine und die bauchige Kanzel des Besatzungsmoduls erkannte. Pancho hatte darauf bestanden, den Vogel selbst zu fliegen, um ihre alten Astronautenreflexe zu trainieren. Nun legte sie ungefähr hundert Meter von der Luftschleuse entfernt auf dem geröllübersäten Boden eine sanfte Landung hin.
Als die beiden mit Raumanzügen bekleideten Gestalten aus dem Boot stiegen, erkannte Fuchs trotz des Helms und Anzugs sofort Pancho Lanes lange, sehnige Gestalt. Es war das erste Mal seit fast einem Jahr, dass Pancho in ihrer Doppelfunktion als Astro-Vorstand und Vizepräsidentin von Helvetia nach Ceres gekommen war.
Fuchs tippte auf die Kommunikationstastatur am linken Handgelenk und hörte sie mit Ripley sprechen, dem leitenden Ingenieur des Bauprojekts.