»Ich glaube nicht, dass Mandy noch einmal zurückkommen wird«, sagte Pancho.
Humphries schaute mit einem gezwungenen Lächeln zu ihr auf. »Wir werden sehen.«
»Na gut«, sagte Pancho.
Humphries schaute ihr nach, wie sie zur Tür schlenderte und ihn im Konferenzzimmer allein ließ. Dann werden wir also Frieden im Gürtel haben, sagte er sich. Und die Felsenratten werden ihn sichern. Natürlich werden sie das.
Er stand auf und ging zu dem kleinen Podium, das in eine Ecke des Raums gerollt worden war. Die audiovisuellen Bedienelemente waren ziemlich einfach. Per Tastendruck schaltete Humphries den Wandbildschirm am anderen Ende des Konferenzraums ein. Er zeigte Selenes Logo: die Konturen eines androgynen Menschen vor dem Hintergrund des vollen Mondes. Er sah sich die im Computer gespeicherten Bilder an und stoppte bei einer Karte des Asteroidengürtels: Das Gewirr von Orbits sah aus wie die überbelichtete Aufnahme einer überfüllten Autobahn bei Nacht.
Dann werden wir die Unabhängigen also in Ruhe lassen, sagte Humphries sich. Wir werden uns nicht mehr den Zorn der Felsenratten und ihrer provisorischen Regierung zuziehen. Das muss auch nicht sein. Weil alle Unabhängigen nämlich an mich oder Astro verkaufen werden; eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Sie werden alle auf Linie gebracht.
Er holte tief Luft und sagte sich, nun ist es ein Kampf zwischen Astro und HSS. Nun beginnt erst der richtige Krieg. Und wenn der vorbei ist, werde ich Astro in die Tasche gesteckt und die totale Kontrolle über den Gürtel errungen haben. Und damit die totale Kontrolle über das ganze verdammte Sonnensystem und jeden, der darin kreucht und fleucht!
Wie aufs Stichwort betrat Amanda den Konferenzraum.
Humphries starrte sie an. Irgendwie schien sie sich verändert zu haben: Sie war noch immer die schönste und begehrenswerteste Frau, die er jemals gesehen hatte. Doch strahlte sie nun etwas aus, das ihn fast nervös machte. Sie erwiderte seinen Blick. Ihr Blick war fest, die Augen trocken. Sie vergießt keine Träne wegen ihres Manns, sagte Humphries sich.
»Man lässt mich nicht mit ihm sprechen«, sagte Amanda mit so leiser Stimme, dass er die Worte kaum verstand. Sie ging am Konferenztisch entlang auf Humphries zu.
»Er ist noch zu weit entfernt für eine Zweiwege-Kommunikation«, sagte er.
»Ich habe einen Funkspruch an ihn abgesetzt, aber man hat ihn nicht einmal ans Gerät geholt. Man sagte mir, es sei ihm nicht gestattet, von irgendjemandem eine Nachricht zu empfangen.«
»Er wird in Einzelhaft gehalten.«
»Auf Ihre Anweisung.«
»Ja.«
»Sie haben vor, ihn umzubringen, nicht wahr?«
Humphries wich dem steten Blick ihrer blauen Augen aus. »Ich könnte mir vorstellen, dass man ihn auf Ceres vor Gericht stellen wird. Er hat schließlich viele Menschen getötet.«
»Aber wird er die Gerichtsverhandlung überhaupt noch erleben?«, fragte Amanda mit ruhiger Stimme. Sie klang eher resigniert als vorwurfsvoll.
Nervös trat Humphries von einem Fuß auf den andern. »Er ist ein gewalttätiger Mann, wissen Sie. Er wird vielleicht einen Ausbruch versuchen.«
»Das würde Ihnen ganz gut in den Kram passen, nicht wahr? Dann würden Sie ihn auf der Flucht erschießen lassen.«
Humphries ging ums Podium herum und näherte sich ihr mit ausgestreckten Armen.
»Amanda«, sagte er, »es ist alles vorbei. Fuchs hat sich sein eigenes Grab geschaufelt und …«
»Und Sie werden dafür sorgen, dass er auch hineingelegt wird.«
»Ich bin nicht dafür verantwortlich!« In diesem Moment glaubte er fast selbst daran.
Amanda stand regungslos da. Die Arme baumelten seitlich herunter, und sie hatte suchend den Blick auf ihn gerichtet. Er wünschte, er hätte gewusst, wonach sie suchte.
»Was wollen Sie überhaupt von mir?«, fragte er sie.
Zunächst sagte sie nichts. »Sie sollen mir versprechen, dass Sie nicht zulassen, dass ihm irgendetwas zustößt.«
»Die Felsenratten werden ihn wegen Mordes vor Gericht stellen.«
»Das ist mir klar«, sagt Amanda. »Ich will auch nur Ihr Versprechen, dass Sie ihm nichts tun werden.«
Er zögerte und fragte dann kalt: »Und womit werden Sie sich für mein Versprechen revanchieren?«
»Ich werde mit Ihnen ins Bett gehen«, sagte Amanda. »Das ist es doch, was Sie wollen, nicht wahr?«
»Nein!«, stieß er hervor. »Ich will dich heiraten, Amanda. Ich liebe dich! Ich möchte dir … alles geben, was du dir immer gewünscht hast.«
»Alles, was ich will, ist Lars’ Sicherheit«, erwiderte sie.
»Und nicht mich?«
»Das bin ich Lars schuldig. All das ist schließlich nur wegen mir passiert, nicht wahr?«
Er wollte lügen, wollte ihr sagen, dass er alles, was er getan hatte, nur für sie allein getan hatte. Aber dazu war er nicht imstande. Er brachte es nicht über sich, ihr ins Gesicht zu lügen.
»Sie waren ein Teil davon, Amanda. Aber eben nur ein Teil. So oder so ähnlich wäre es auf jeden Fall gekommen.«
»Aber Lars wäre dann nicht in diesen ganzen Schlamassel hineingeraten, oder?«
»Wahrscheinlich nicht«, pflichtete Humphries ihr bei.
»Dann werde ich Sie heiraten, wenn es das ist, was Sie wollen. Im Gegenzug für Ihr Versprechen, Lars in Ruhe zu lassen.«
Humphries Kehle war plötzlich trocken und wie ausgedörrt. Er nickte stumm.
»Nun haben Sie alles, was Sie wollen, nicht wahr?«, sagte Amanda. Es lag keine Schärfe in ihrer Stimme, keine Spur von Zorn oder Bitterkeit. Und nun erkannte Humphries auch, welche Veränderung mit ihr vorgegangen war. Sie ist nicht mehr das unschuldige, naive Mädchen, das sie einmal war. Diese blauen Augen lächeln nicht mehr, sondern sie kalkulieren.
Er fand keine Worte. Er wollte sie aufmuntern und ihr ein Lächeln entlocken. Aber er fand keine Worte.
»Nun haben Sie endlich, was Sie wollten, oder?«, fragte Amanda.
»Aber nicht so«, sagte er, nachdem er die Sprache wieder gefunden hatte. Und das war die Wahrheit. »Nicht im Rahmen einer … einer Vereinbarung.«
Amanda zuckte die Achseln. »So läuft das eben, Martin. Und wir beide können rein gar nichts daran ändern. Ich werde Sie heiraten, wenn Sie schwören, dass Sie Lars nichts tun werden.«
Er leckte sich die Lippen. »Er wird trotzdem in Ceres vor Gericht gestellt werden. Das kann ich nicht verhindern.«
»Das weiß ich«, sagte sie. »Und ich akzeptiere es.«
»Also gut.«
»Ich will hören, wie Sie es sagen, Martin. Ich will Ihr Versprechen — hier und jetzt.«
Humphries richtete sich zu seiner vollen Größe auf und sagte: »In Ordnung. Ich verspreche dir, Amanda, dass ich nichts tun werde, womit ich Lars Fuchs in irgendeiner Weise schade.«
»Sie werden auch sonst niemandem den Befehl geben, ihm etwas anzutun.«
»Ich schwöre es dir, Amanda.«
Die Luft schien aus ihr zu entweichen. »Na schön. Ich werde Sie heiraten, sobald die Scheidung durch ist.«
Oder sobald du Witwe geworden bist, sagte Humphries sich. »Und nun ist es an dir, ein Versprechen zu geben, Amanda«, sagte er.
Besorgnis blitzte in ihren Augen auf. Dann verstand sie. »Ach so. Ja, ich verspreche Ihnen, dass ich Ihre liebende Frau sein werde, Martin. Wir werden keine bloße Scheinehe führen.«
Bevor er sie an den Händen fassen konnte, machte sie kehrt und ging aus dem Konferenzraum. Er blieb allein zurück. Im ersten Moment fühlte er sich zurückgewiesen, getäuscht, beinahe zornig. Doch dann dämmerte es ihm, dass Amanda ihm die Heirat versprochen und einen Liebesschwur geleistet hatte. Das war zwar nicht die ›Siebter Himmel‹-Romantik, von der er all die Jahre phantasiert hatte, aber sie hatte versprochen, ihn zu heiraten! Gut, im Moment ist sie eingeschnappt. Ich habe sie gezwungen, und das gefällt ihr nicht. Sie fühlt sich Fuchs gegenüber verpflichtet. Aber das wird sich schon noch ändern. Mit der Zeit wird sie es akzeptieren. Sie wird mich akzeptieren. Sie wird mich lieben lernen. Ich weiß es.