»Das ist auch nichts Ungewöhnliches.«
»Zwei Wochen? Man könnte fast glauben, das Humphries-Schiff hätte nur darauf gewartet, dass die Lady of the Lake verschwindet, um den Asteroiden dann selbst zu beanspruchen.«
»Nun mach aber mal halblang, Franco«, sagte Zar. »Du beschuldigst sie der Piraterie.«
»Der Vorfall sollte zumindest untersucht werden.«
»Untersucht? Wie denn? Und von wem? Erwartest du etwa, dass wir Suchmannschaften zum Asteroidengürtel schicken? Dafür bekämen wir im ganzen Sonnensystem nicht genügend Schiffe zusammen!«
Tomasselli antwortete nicht, doch dafür sprachen seine dunklen Augen Bände.
Zar schaute seinen Kollegen stirnrunzelnd an. »Also gut, Franco. Ich sage dir, was ich tun werde. Ich werde bei Humphries anrufen und hören, was sie dazu zu sagen haben.«
»Sie werden natürlich alles abstreiten.«
»Es gibt nichts abzustreiten! Wir haben auch nicht den geringsten Beweis dafür, dass sie mit dem Verschwinden der Schiffe etwas zu tun haben!«
»Ich werde alle Ansprüche überprüfen, die im vergangenen Monat von HS S-Schiffen angemeldet worden sind«, murmelte Tomasselli.
»Und wozu?«
»Um zu sehen, ob von diesen Asteroiden sich welche in den Sektoren befinden, wo die beiden anderen Schiffe verschwunden sind.«
Zar hätte den Mann am liebsten angebrüllt. Er ist ein misstrauischer junger Italiener, sagte Zar sich, der überall nur Verschwörungen und finstere Machenschaften wittert. Stattdessen atmete er jedoch tief durch, um sich zu beruhigen und sagte dann in einem ruhigen, gemessenen Ton:
»In Ordnung, Franco. Du überprüfst die Registrierungen. Ich werde mit HSS sprechen. Am Montag. Ich werde es am Montagmorgen gleich als Erstes tun, nachdem ich aus dem Wochenende zurückgekehrt bin.«
Kapitel 11
Es gab keine Versammlungshalle in Ceres — eigentlich gar keinen Ort, der für öffentliche Zusammenkünfte vorgesehen war. Das lag hauptsächlich daran, dass bisher noch kein Bedarf an einer solchen Räumlichkeit bestanden hatte; Ceres’ zusammengewürfelte Belegschaft aus Bergleuten und Prospektoren, Wartungspersonal und Technikern, Kaufleuten und Büroangestellten hatte bisher noch nie in einer öffentlichen Versammlung zusammengefunden. Das, was einer Regierung auf Ceres am nächsten kam, waren zwei IAA-Fluglotsen: Sie überwachten die Starts und Landungen der Schiffe, die zwecks Nachschub und Wartung hier einflogen, um dann wieder in der dunklen Leere des Gürtels zu verschwinden.
Als Fuchs nun eine öffentliche Versammlung anberaumte, kostete es ihn einige Mühe, die anderen Felsenratten davon zu überzeugen, dass eine solche Versammlung überhaupt erforderlich und sinnvoll war. Zum Schluss erschienen nur knapp vierzig Männer und Frauen von den paar Hundert im Asteroiden im Pub, den Fuchs als Ort für die Zusammenkunft ausgewählt hatte. Ein paar Dutzend weiterer Leute nahmen per Videokonferenz von ihren Schiffen aus teil, die sich im Transit durch den Gürtel befanden. Zu diesen gehörte auch Big George; er hatte Ceres mit der Waltzing Matilda ein paar Tage verlassen, bevor Fuchs’ Versammlung zusammentrat.
Es war eine gut gelaunte Menge, die an jenem Nachmittag um 17:00 Uhr im Pub zusammentraf. Wie in den meisten Raumschiffen und Weltraumstationen galt auch in Ceres Universalzeit. Der Eigentümer/Barkeeper des Pubs hatte sein Etablissement nur nach Fuchs’ Zusage zur Verfügung gestellt, dass die Versammlung nicht länger als eine Stunde dauerte. Somit konnte die ›Sechs-Uhr-Sause‹ wie immer stattfinden.
»Ich bin kein begnadeter Redner«, sagte Fuchs. Er stand auf der Bar, damit jeder in der dicht gedrängten, lauten Menge ihn zu sehen vermochte. Drei große Flachbildschirme waren im hinteren Bereich des Raums aufgestellt worden; sie zeigten etliche Personen, die per Videoschaltung an der Versammlung teilnahmen. Viele Prospektoren waren jedoch nicht einmal dazu bereit. Sie begründeten das damit, dass niemand außer den regulären IAA-Kontrolleuren wissen sollte, wo sie sich aufhielten — und diese Kontrolle tolerierten sie auch nur deshalb, weil die IAA seit jeher die Vertraulichkeit des Raumfahrtbetriebs wahrte und sich nicht darin einmischte; es sei denn, es ging um wichtige Sicherheitsfragen.
»Ich bin kein begnadeter Redner«, wiederholte Fuchs — diesmal aber lauter.
»Was machst du dann da oben?«, ertönte eine respektlose Stimme aus der Menge. Alle lachten.
Fuchs grinste den Zwischenrufer an und sagte: »Es ist ein schmutziger Job …«
»… aber jemand muss ihn tun«, beendeten alle Anwesenden den Satz für ihn.
Fuchs lachte etwas verlegen und schaute auf Amanda, die an der Wand zu seiner Rechten stand. Sie lächelte ihm ermutigend zu. Die Zwillinge standen neben ihr, mit ihrem metallischen Glitzerfummel bekleidet. Doch in Fuchs’ Augen sah Amanda selbst in einem schlichten Overall noch viel besser aus als sie.
»Mal im Ernst«, sagte er, nachdem die Menge sich beruhigt hatte. »Es ist Zeit, dass wir uns über etwas unterhalten, das die meisten von uns anwidert …«
»Was’n los, Lars, ist das Klo mal wieder verstopft?«
»Der Recycler kaputt?«
»Nein«, sagte er. »Schlimmer. Es wird Zeit, dass wir darüber nachdenken, eine Art von Regierung zu bilden.«
»Scheiß drauf!«, rief jemand.
»Ich bin von der Vorstellung, dass wir uns von Regeln und Bestimmungen gängeln lassen sollten, genauso wenig begeistert wie ihr«, sagte Fuchs schnell. »Aber diese Gemeinschaft wächst ständig, und wir haben noch immer keine Gesetze und Sicherheitskräfte.«
»Die brauchen wir auch nicht«, rief eine Frau.
»Wir kommen auch ohne so was ganz gut zurecht.«
Fuchs schüttelte den Kopf. »Allein im letzten Monat haben in diesem Pub zwei Schlägereien stattgefunden. Und letzte Woche hat irgendjemand vorsätzlich Yuri Kubasovs Schiff beschädigt. Ein klarer Fall von Sabotage.«
»Das ist seine Privatsache«, ertönte eine Stimme aus dem hinteren Bereich des Lokals. »Yuri war hinter der falschen Frau her.«
Ein paar Leute kicherten wissend.
»Und dann der Einbruch in mein Lagerhaus«, ergänzte Fuchs. »Das war keine Bagatelle; wir haben Waren im Wert von über hunderttausend Dollar verloren.«
»Komm schon, Lars«, sagte eine Frau. »Es weiß doch jeder, dass du mit HSS konkurrierst. Also kämpfen sie mit harten Bandagen; das ist allerdings dein Problem, nicht unseres.«
»Ja, wenn es eine Sache zwischen dir und Humphries ist, wieso willst du uns dann in einen Kampf hineinziehen?«
Fuchs schaute wieder auf Amanda und antwortete: »Das ist nicht nur mein Kampf. Es ist auch eurer.«
»Den Teufel ist es!«, sagte einer der Männer hitzig. »Das ist eine Sache zwischen dir und Humphries. Es ist etwas Persönliches und hat nicht das Geringste mit uns zu tun.«
»Das stimmt nicht, und ihr werdet es auch bald schon merken.«
»Was soll das nun wieder heißen?«
»Das bedeutet, dass Amanda und ich Ceres in Kürze verlassen werden«, sagte er zögernd und wunderte sich darüber, wie schwer es ihm fiel, die Worte auszusprechen. »Wir werden zur Erde zurückkehren.«
»Ihr wollt uns verlassen?«
»Humphries hat uns ein Angebot gemacht, das zu gut ist, als dass wir es ausschlagen könnten«, fuhr Fuchs fort, wobei er echten Schmerz verspürte. »HSS wird Helvetias Lagerhaus und alle Serviceleistungen übernehmen.«
Für eine Weile herrschte absolute Stille im Pub.
»Das bedeutet, dass HSS unser einziger Lieferant sein wird«, ließ Big George von einem der Flachbildschirme sich vernehmen.
»Sie werden ein Monopol haben!«, sagte jemand mit kläglicher Stimme.
»Deshalb ist es wichtig, dass ihr eine Art von Regierung bildet«, sagte Fuchs mit einem bedeutungsschweren Nicken. »Eine Gruppe, die euch repräsentiert und Astro vielleicht dazu bewegt, eine weitere Anlage einzurichten …«