Kapitel 58
Die Drogen machten es nur noch schlimmer. Harbin traf eine sorgfältige Auswahl aus den Narkotika, die Humphries’ Leute im Angebot hatten, aber er vermochte den Gedanken dennoch nicht auszumerzen, dass Diane ihn verraten hatte.
Vor zwei Tagen war er in Selene angekommen. Seitdem hatte er die ganze Zeit im Apartment gelegen, das Humphries ihm zur Verfügung gestellt hatte, und versuchte die Bilder auszulöschen, die ihm kaleidoskopartig durch den Kopf schossen. Die Drogen verfälschten die Erinnerungen und verursachten ihm körperlichen Schmerz, anstatt ihm den Seelenfrieden und das Vergessen zu bringen, nach dem er sich so sehnte. Ganz im Gegenteil. Sie wetzten nur die Messer, die ihm ins Fleisch stachen; sie stießen ihm die Dolche nur noch tiefer in den Leib.
Sie hat mit ihm geschlafen! Sie hat sich von ihm schwängern lassen! Die ganze Zeit, in der sie mit mir zusammen war, hat sie mich veralbert und mich für ihre Zwecke manipuliert — für ihre und Humphries’ Zwecke. Sie hat mich zum Narren gehalten und geglaubt, sie würde damit durchkommen.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Um Mitternacht schlich er sich aus dem Apartment in die Korridore, die Selene wie ein Labyrinth durchzogen. Er hatte verquollene Augen, war unrasiert und trug noch immer die Kleider, in denen er die letzten zwei Nächte geschlafen hatte. Er schlurfte durch die fast leeren Korridore in Richtung von Dianes Unterkunft.
Humphries, der allein in seinem spielwiesengroßen Bett schlief, wurde vom Summen des privaten Telefons geweckt. Missmutig setzte er sich auf und wies den Computer an, den Anrufer auf den Bildschirm zu legen.
Auf dem Wandbildschirm erschien Grigors verdrießliches schmales Gesicht.
»Er hat das Apartment verlassen«, sagte Grigor ohne Umschweife.
Humphries nickte und unterbrach die Verbindung. Er war nun hellwach, stopfte sich die Kissen in den Rücken und machte es sich bequem. Dann befahl er dem Computer, die Bilder der Picokameras zu zeigen, die in Diane Verwoerds Apartment installiert worden waren. Humphries wusste, dass sie ihre Unterkunft ein paarmal nach Wanzen hatte durchsuchen lassen. Aber niemand hatte die mikroskopisch kleinen Kameras gefunden, die in die Elektroinstallation des Apartments integriert waren.
Der Wandbildschirm in Humphries’ Schlafzimmer wurde in vier Fenster unterteilt, von denen jedes einen Raum von Dianes Apartment zeigte: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Toilette. Er schaltete in den Infrarotmodus und sah, dass sie schlafend im Bett lag. Zwei Tage hatte sie in ganz Selene nach Harbin gesucht und ihn nicht gefunden. Humphries hatte den Söldner fernab von ihren neugierigen Blicken untergebracht. Und er hatte den Mann mit Drogen versorgt, die seine ohnehin schon bedenkliche Paranoia noch verstärkten und seinen Zorn zu einer Wut steigerten, in der er fähig war, einen Mord zu begehen. Schon vor vielen Jahren hatten Chemiker halluzinogene PCP-Drogen wie ›Angel Dust‹ aus natürlichen Amphetaminen entwickelt, die eine unkontrollierte Rauschwirkung hatten. Die Substanzen, die Humphries’ Leute Harbin gaben, bewirkten jedoch einen kontrollierten Rausch in dem Sinn, dass seine Mordlust geweckt wurde. Humphries lehnte sich im Bett zurück und wartete aufs Ende des kleinen Dramas, das Diane Verwoerd selbst heraufbeschworen hatte. Du willst, dass ich nach deiner Pfeife tanze, was? Willst mich erpressen? Mich bedrohen? Nun bekommst du, was du verdienst, du kleine Schlampe.
Schließlich fand Harbin die Tür. Er zögerte für einen Moment mit zum Anklopfen erhobener Faust. Ihm drehte sich alles im Kopf. Wie — soll ich ihr etwa die Chance geben, um Hilfe zu rufen? Ihr die Chance geben, ihren aktuellen Liebhaber zu verstecken?
Er brach das Schloss an der Schiebetür mit Leichtigkeit auf und betrat ihr abgedunkeltes Wohnzimmer. Es dauerte einen Moment, bis die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann ging er lautlos zu ihrer Schlafzimmertür. Irgendetwas roch hier im Raum ranzig und stinkig, bis er sich bewusst wurde, dass es sein eigener Körpergeruch war. Sie hat mir das angetan, sagte er sich. Wegen ihr bin ich ein solches Schwein geworden.
Wie Circe, sagte er sich und versuchte in der Dunkelheit ihre schlafende Gestalt im Bett zu erkennen. Die Zauberin, die Männer in Schweine verwandelte.
Er sah, dass sie allein war. Er ging zum Nachttisch und schaltete die Lampe an.
Diane erwachte, schaute blinzelnd zu ihm auf und lächelte schließlich.
»Dorik, wo bist du denn gewesen? Ich habe überall nach dir gesucht.«
Dann sah sie den mörderischen Ausdruck in seinem unrasierten Gesicht. Sie setzte sich auf, wobei die Decke bis zur Taille hinunterrutschte.
»Was ist denn los? Stimmt etwas nicht? Du siehst ja furchtbar aus.«
Er starrte auf sie hinab. Wie oft hatte er diese Brüste schon gestreichelt? Wie viele andere Männer hatten ihren Körper schon genossen?
»Dorik, was ist denn los?«
Als er die Sprache schließlich wiederfand, war sie kaum mehr als ein Krächzen. »Bist du schwanger?«
Das Entsetzen in ihrem Gesicht genügte ihm als Antwort. »Ich wollte es dir sagen …«
»Mit Humphries’ Kind?«
»Ja, aber …«
Das waren ihre letzten Worte. Er umklammerte ihren Hals, zerrte sie aus dem Bett und drückte mit beiden Händen fest zu. Sie schlegelte hilflos mit den Armen, während er sie erwürgte. Ihre Augen wurden glasig, und die Zunge hing ihr aus dem offenen Mund. Mit einer Hand zermalmte Harbin ihr den Kehlkopf, mit der anderen packte er die Zunge, grub die Fingernägel hinein und riss sie ihr aus dem Lügenmaul. Ihr Schmerzensschrei wurde vom Blut erstickt, das aus dem Mund quoll. Harbin lockerte den Griff um den Hals gerade so weit, dass sie an ihrem eigenen Blut erstickte. Sie gurgelte, stöhnte, und ihre Hände glitten an seinen Armen herab, bis sie schlaff herunterhingen. Sie war tot.
Humphries, der die Szene vom Bett aus verfolgte, wurde schlecht. Er stand auf und wankte auf die Toilette. Dianes letztes Stöhnen ging in seinen Kotzgeräuschen unter. Als er sich das Gesicht gesäubert und wieder ins Schlafzimmer gestolpert war, zeigte der Wandbildschirm Harbin auf den Knien und Rotz und Wasser heulen. Diane lag auf neben ihm auf dem Boden. Ihr Gesicht war blutüberströmt, und die Augen starrten blind empor.
Er hat ihr die Zunge herausgerissen, sagte Humphries sich und würgte erneut. Mein Gott, er ist ein Monster! Er kroch wieder ins Bett, schaltete die Kameradarstellung aus und rief Grigor, der geduldig in seinem Büro wartete.
»Diane Verwoerd hatte einen Herzanfall«, sagte Humphries mit bemüht fester Stimme zu seinem Sicherheitschef. »Er war tödlich. Schicken Sie ein paar zuverlässige Leute in ihr Apartment, um dort sauberzumachen und die Leiche wegzuschaffen.«
Grigor nickte. »Und Harbin?«
»Stellen Sie ihn ruhig und bringen Sie ihn an einen sicheren Ort. Nehmen Sie gleich ein ganzes Team. Er wird wohl nicht so leicht zu beruhigen sein.«
»Wäre es nicht besser, ihn gleich zum Schweigen zu bringen?«
Humphries stieß ein bitteres Lachen aus. »Wo diese Sache ihm nun anhängt? Er ist doch schon zum Schweigen gebracht, glauben Sie mir. Ich werde ihn vielleicht noch einmal zur besonderen Verwendung brauchen.«
»Trotzdem …«
»Keine Sorge, ich werde ihn schon beschäftigen«, sagte Humphries. »Halten Sie ihn nur von mir fern. Ich will nie wieder im selben Raum mit ihm sein — nie wieder. Ich will nicht einmal mehr auf demselben Planeten mit ihm sein«, fügte er nach kurzer Überlegung hinzu.
Kapitel 59
Lars Fuchs schaute überrascht auf, als er das Klopfen an der Tür hörte. Er schaltete das Drama aus, das er sich gerade angeschaut hatte — Sophokles’ Antigone??und rief »Herein«.