Es war wieder George. Er schaute düster.
Fuchs erhob sich vom Stuhl. »Was verschafft mir diese Ehre?«
»Zeit zu gehen«, sagte George.
Obwohl er gewusst hatte, dass der Moment unausweichlich kommen würde, war Fuchs schockiert. Ihm rutschte das Herz in die Hose.
»Jetzt schon?«
»Jetzt«, sagte George.
Es standen zwei bewaffnete Männer draußen vor der Tür, die Fuchs beide unbekannt waren. Schicksalsergeben ging er neben George durch den staubigen Tunnel und versuchte die Reizung in Lunge und Kehle zu unterdrücken. Es gelang ihm aber nicht, und er bekam einen Hustenanfall.
»Hätte Masken mitbringen sollen«, nuschelte George.
»Das spielt jetzt auch keine Rolle mehr«, sagte Fuchs und versuchte, den Husten unter Kontrolle zu bringen.
George hüstelte auch leicht, als sie durch den Tunnel gingen. Fuchs wurde sich bewusst, dass sie nach oben in Richtung Luftschleuse marschierten, die auf die Oberfläche mündete. Vielleicht wollen sie mich auf diese Weise exekutieren, sagte er sich: mich ohne Raumanzug nach draußen schicken.
Doch sie hielten kurz vor der Luftschleuse an. George führte Fuchs in eine geräumige Kammer, während die beiden Wachen draußen im Staub zurückblieben.
Fuchs sah, dass seine alte Besatzung komplett versammelt war. Sie alle drehten sich zu ihm um.
»Nodon … Sanja … Seid ihr in Ordnung?«
Die sechs nickten und lächelten sogar. »Es geht uns ganz gut, Captain, Sir«, sagte Nodon.
»Sie werden Ceres verlassen«, sagte George. »Dein Schiff ist repariert und aufgetankt worden. Sie fliegen in den Gürtel.«
»Gut«, sagte Fuchs. »Das freut mich.«
»Und du wirst mit ihnen gehen«, fügte George hinzu. Sein bärtiges Gesicht wurde von Kummerfalten zerfurcht.
»Ich? Wie meinst du das?«
George atmete tief durch und erklärte es ihm dann: »Wir werden dich nicht hinrichten, Lars. Du wirst ins Exil geschickt. Lebenslänglich. Verschwinde und komm nicht mehr zurück. Nie wieder.«
»Ins Exil? Ich verstehe nicht.«
»Wir haben uns darauf geeinigt, ich und der Rat. Wir haben beschlossen, dich ins Exil zu schicken. Das ist alles.«
»Exil«, wiederholte Fuchs perplex. Er wollte es nicht glauben.
»Das ist schon in Ordnung. Ein paar Leuten wird das sicher nicht gefallen, aber es ist unsere abgefuckte Entscheidung.«
»Du hast mir das Leben gerettet, George.«
»Wenn du es als Lebensrettung bezeichnest, wie ein verdammter Fliegender Holländer im Gürtel umherzuirren, dann — ja, dann haben wir dir wohl das Leben gerettet. Du darfst nur nicht wieder hierher zurückkommen, das ist alles.«
Wochenlang hatte Fuchs sich innerlich auf die Hinrichtung vorbereitet. Nun wurde er sich bewusst, dass er sich für nichts und wieder nichts selbst gequält hatte. Eine Woge der Dankbarkeit brandete gegen ihn an. Er bekam weiche Knie, und Tränen traten ihm in die Augen.
»George … ich … was soll ich nur sagen?«
»Sag einfach Lebewohl, Lars.«
»Also Lebewohl. Und vielen Dank!«
George wirkte ausgesprochen unglücklich: Wie jemand, der gezwungen war, zwischen Pest und Cholera zu wählen.
Fuchs ging mit seiner Besatzung zur Luftschleuse, und sie legten die Anzüge an. Dann stiegen sie in den Zubringer, der schon darauf wartete, sie zur Nautilus zu bringen, die im Orbit über Ceres stand.
Eine halbe Stunde später, als er auf der Brücke der Nautilus auf dem Kommandantensitz saß, sendete Fuchs eine letzte Botschaft an George:
»Stellt das Habitat fertig, George. Schafft euch ein schönes Zuhause.«
»Das werden wir«, antwortete George. Sein rotbärtiges Gesicht schien schon klein und fern auf dem Bildschirm des Schiffes. »Und du gehst Schwierigkeiten aus dem Weg, Lars. Sei eine gute Felsenratte! Halte dich an die Regeln!«
Erst in diesem Moment begriff Fuchs, was Exil wirklich bedeutete.
Kapitel 60
Es war das größte gesellschaftliche Ereignis in der Geschichte von Selene. Fast zweihundert Hochzeitsgäste versammelten sich im Garten von Humphries’ Anwesen.
Pancho Lane trug ein lavendelfarbenes wadenlanges Kleid, das ihre schlanke, athletische Figur gut zur Geltung brachte. Saphire funkelten an ihren Ohren, Handgelenken und am schlanken Hals. Ihre Ringellöckchen waren mit Saphirstaub gepudert.
»Du siehst aus wie eine abgefuckte Million Dollar auf zwei Beinen«, sagte Big George zu ihr.
Pancho grinste den Australier an. Er schien sich höchst unbehaglich zu fühlen in einem korrekten schwarzen Anzug mit einer altmodischen Fliege.
»Wenn ich schon die Rolle eines großen Tiers in einem Konzern spielen muss«, sagte sie, »dann sollte ich auch so aussehen.«
»Du siehst verdammt gut aus«, sagte George.
»Du kannst dich aber auch sehen lassen«, sagte Pancho.
»Komm«, sagte George. »Wir sollten zu unseren Plätzen gehen.«
Jedes Detail der Hochzeit war von Humphries’ Leuten sorgfältig choreografiert worden. Auf jedem der weißen Klappstühle, die auf dem Rasen aufgestellt waren, war der Name eines Gastes eingraviert, und jeder Gast hatte sogar eine Nummer für das Defilee nach der Hochzeitszeremonie bekommen.
Sie wollten sich gerade setzen, als Kris Cardenas zu Pancho und George stieß. Sie wirkte richtig jung in einem butterblumengelben Kleid, das gut zu ihrem goldenen Haar passte.
»Amanda will das wirklich durchziehen«, sagte Cardenas, als ob sie sich das Gegenteil wünschte.
»Sieht so aus«, erwiderte George und beugte sich auf dem Stuhl vor. »Ihr glaubt doch nicht, sie wäre erst so weit gegangen und würde jetzt noch einen Rückzieher machen, oder?«, fragte er mit leiser Stimme.
»Nicht Mandy«, sagte Pancho, die zwischen George und Cardenas saß. »Sie wird es durchziehen.«
»Ich mache mir Sorgen um Lars«, sagte Cardenas.
Pancho nickte. »Deshalb heiratet Mandy Humphries auch — um Lars das Leben zu retten.«
»Wenigstens ist er noch am Leben«, sagte George. »Er ist mit seiner Besatzung irgendwo draußen im Gürtel.«
»Als Prospektor?«
»Was bleibt ihm anderes übrig? Wenn er es wagt, hier in Selene oder irgendwo auf der Erde aufzutauchen, wird man ihn verhaften.«
Cardenas schüttelte den Kopf. »Das ist nicht fair, ihn einfach zu verbannen.«
»Immer noch besser, als ihn zu töten«, sagte George.
»Ja schon, aber …«
»Die Sache ist erledigt«, sagte George dezidiert. »Nun müssen wir nach vorn in die Zukunft schauen.«
Pancho nickte zustimmend.
»Ich möchte«, sagte George zu Cardenas, »dass du dir überlegst, wie wir Nanos im Bergbau einsetzen können.«
Cardenas versteifte sich etwas. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich das für keine gute Idee halte.«
»Quatsch«, sagte George unwirsch. »Das ist eine großartige Idee, und du weißt es. Nur weil …«
Das Orchester, das Humphries eigens zu diesem Anlass hatte einfliegen lassen, intonierte den Hochzeitsmarsch. Alle Anwesenden standen auf und drehten sich zu Amanda um, die in einem weißen bodenlangen Kleid ein paar Schritte vor den aquamarinfarben gewandeten Brautjungfern den Gang entlangschritt. Amanda umklammerte mit beiden Händen ein Bouquet aus weißen Orchideen und zartrosa Zwergröschen.
So ein schlechtes Leben wird das gar nicht, sagte Amanda sich, als sie langsam im Takt des Hochzeitsmarschs den Gang entlangschritt. Martin ist kein Ungeheuer; er kann sogar ausgesprochen liebenswürdig sein, wenn er will. Ich muss nur meine Position vertreten und Herrin der Lage bleiben.
Doch dann dachte sie an Lars, und sie wollte schier verzagen. Ihr war zum Weinen zumute, doch sie wusste, dass sie das nicht durfte. Eine Braut muss lächeln, sagte sie sich. Eine Braut muss vor Glück strahlen.