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Ich sah auch, dass ganze Frauenbrigaden die Katzenhochzeiten deckten. Während drei, vier Frauen ins Unkraut gingen, verwickelten die anderen den Natschalnik in Gespräche. Wenn er dann doch nach den Weggegangenen fragte, erklärten sie ihm, dass die Frauen wegen Magenkrämpfen und Durchfall ins Unkraut mussten. Das stimmte auch für einige, für wie viele konnte er ja nicht feststellen. Der Nataschalnik kaute auf den Lippen, hörte eine Zeitlang zu, drehte dann aber den Kopf immer häufiger in Richtung Zeppelin. Ab dem Punkt bemerkte ich, dass die Frauen eingreifen mussten, dass sie mit unserer Sängerin Loni Mich flüsterten, und die Loni glassirrend zu pfeifen begann, lauter als der ganze Krach beim Schaufeln:

Abendstille überall

Nur im Tal die Nachtigall

Und dann waren die Verschwundenen gleich da. Sie drängten sich zwischen uns und schaufelten, als wäre nichts gewesen.

Mir gefiel der Name Zeppelin, er stand im Einklang mit dem silbrigen Vergessen unseres Elends, mit der katzeneiligen Paarung. Ich verstand, dass diese fremden Deutschen alles hatten, was unseren Männern fehlte. Sie waren vom Führer in die Welt geschickt als Soldaten, und sie waren im richtigen Alter, nicht so kindjung und nicht so überreif wie unsere Männer. Armselig und degradiert waren auch sie, hatten aber vorher im Krieg gekämpft. Für unsere Frauen waren sie Helden, etwas Besseres als die Abendliebe mit einem Zwangsarbeiter im Barackenbett hinter der Decke. Die Abendliebe blieb weiterhin unverzichtbar. Aber sie roch für unsere Frauen nach ihrer eigenen Mühsal, nach derselben Kohle und demselben Heimweh. Und sie führte immer ins alltägliche Geben und Nehmen. Der Mann hatte fürs Essen zu sorgen, die Frau für Wäsche und Trost. Im Zeppelin hatte die Liebe außer dem Hissen und Einholen des weißen Fähnchens keinerlei Sorgen.

Das traute mir der Kowatsch Anton nicht zu, dass ich den Frauen den Zeppelin gönnte. Dass ich im Kopf dieselbe Fährte trug, als Eingeweihter die Erregung in verrutschten Kleidern kannte, die streunende Lust und ihr schnappendes Glück im Erlenpark und im Neptunbad. Dass ich die Rendezvous jetzt öfter durchging, das traute mir niemand zu. Schwalbe, Tanne, Ohr, Faden, Pirol, Mütze, Hase, Katze, Möwe. Dann Perle. Dass ich diese Decknamen im Kopf und im Nacken soviel Schweigen trug, traute mir hier niemand zu.

Auch im Zeppelin hatte die Liebe ihre Jahreszeiten. Im zweiten Jahr machte der Winter dem Zeppelin ein Ende. Danach der Hunger. Als der Hungerengel hysterisch mit uns herumlief, als die Hautundknochenzeit da war, als Männlein und Weiblein nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren, wurde auf der Jama weiter Kohle abgeladen. Nur die Trampelpfade im Unkraut wuchsen zu. Und die Vogelwicke kletterte lila zwischen weißer Schafgarbe und rotem Meldekraut, die blauen Kletten blühten und die Disteln auch. Der Zeppelin schlief und gehörte dem Rost, so wie die Kohle dem Lager, die Gräser der Steppe und wir dem Hunger gehörten.

Von den Phantomschmerzen der Kuckucksuhr

Überm Blecheimer mit dem Trinkwasser, gleich neben der Tür, hing eines Abends im Sommer im zweiten Jahr eine Kuckucksuhr an der Wand. Es war nicht herauszukriegen, wie sie hierherkam. So gehörte sie der Baracke und dem Nagel, an dem sie hing, sonst niemandem. Doch sie belästigte uns alle zusammen und jeden einzeln. Im leeren Nachmittag horchte das Ticken, ob man kam, ging, in seinem Bett schlief. Oder nur dalag, in sich selbst gekehrt oder abwartend, weil man zu hungrig zum Einschlafen und zum Aufstehen zu matt war. Aber nach dem Abwarten kam nichts, außer dem Ticken im Gaumenzäpfchen verdoppelt vom Ticken der Uhr.

Wozu brauchten wir hier eine Kuckucksuhr. Um die Zeit zu messen, brauchten wir keine. Wir hatten nichts zu messen, aus dem Hoflautsprecher weckte uns die Hymne morgens. Und abends schickte sie uns ins Bett. Wann immer man uns brauchte, holte man uns, aus dem Hof, aus der Kantine, aus dem Schlaf. Auch die Sirenen der Fabrik waren eine Uhr, auch die weiße Kühlturmwolke und die Glöckchen der Koksbatterien.

Vermutlich hatte der Trommler, der Kowatsch Anton, die Kuckucksuhr angeschleppt. Obwohl er schwor, dass er nichts mit ihr zu tun hat, zog er sie jeden Tag auf. Wenn sie da hängt, soll sie auch gehen, sagte er.

Es war eine ganz normale Kuckucksuhr, aber der Kuckuck war nicht normal. Er kam um Dreiviertel heraus und rief die halbe Stunde, um Viertel die volle Stunde. Um Punkt vergaß er alles oder rief die falschen Stunden, verdoppelte die Uhrzeit oder halbierte sie. Der Kowatsch Anton behauptete, der Kuckuck rufe, bezogen auf die Uhrzeit aus anderen Weltgegenden, richtig. Der Kowatsch Anton war in die ganze Uhr vernarrt, in den Kuckuck, ihre zwei schweren Gewichte aus eisernen Tannenzapfen und in das flinke Pendel. Er hätte den Kuckuck am liebsten die ganze Nacht seine anderen Weltgegenden verkünden lassen. Aber alle anderen in der Baracke wollten weder in den Weltgegenden des Kuckucks wachliegen noch schlafen.

Der Kowatsch Anton war Dreher in der Fabrik, und im Lagerorchester war er Schlagzeuger und Trommler der plissiert getanzten Paloma. Seine Instrumente hatte er sich an der Drehbank in der Schlosserei gemacht, er war ein Tüftler. Er wollte den weltgewandten Kuckuck auf russische Tages- und Nachtdisziplin regulieren. Durch eine Verengung der Stimmritze im Kuckucksmechanismus wollte er dem Kuckuck eine kurze dumpfe, um eine Oktave tiefere Nachtstimme einbauen sowie einen längeren hellen Tagesgesang. Aber bevor er die Gewohnheiten des Kuckucks in den Griff bekam, hatte jemand den Kuckuck aus der Uhr gerissen. Das Türchen des Kuckucks hing schief im Scharnier. Und wenn das Uhrwerk den Vogel zum Singen animieren wollte, ging das Türchen zwar halbwegs auf, aber es trat statt des Kuckucks ein Stückchen Gummi wie ein Regenwurm aus dem Gehäuse. Das Gummistück vibrierte, und es war ein klägliches Scheppern zu hören, das sich dem Husten, Räuspern, Schnarchen, Furzen, Seufzen im Schlaf anglich. So hat der Gummiwurm unsere Nachtruhe beschützt.

Der Kowatsch Anton war von dem Regenwurm genauso begeistert wie vom Kuckuck. Er war nicht nur ein Tüftler, er litt auch darunter, dass er im Lagerorchester keinen Swingpartner hatte, wie früher in Karansebesch, in seiner Big Band. Abends, wenn die Lautsprecherhymne uns in die Baracke trieb, stellte der Kowatsch Anton das Gummistückchen mit einem gebogenen Draht aufs Nachtscheppern um. Jedesmal blieb er noch eine Weile bei der Uhr, schaute sein Gesicht im Wassereimer an und wartete wie ein Hypnotisierter aufs erste Scheppern. Wenn das Türchen aufging, machte er sich ein bisschen bucklig, und sein linkes Auge, das etwas kleiner als das rechte war, funkelte ganz präzise. Einmal hat er nach dem Scheppern mehr zu sich als zu mir gesagt: Hejeh, der Wurm hat gute Phantomschmerzen vom Kuckuck geerbt.

Ich mochte die Uhr.

Den verrückten Kuckuck mochte ich nicht, den Wurm nicht, das flinke Pendel nicht. Ich mochte aber die beiden Gewichte, die Tannenzapfen. Sie waren träges schweres Eisen, und doch sah ich die Tannenwälder im Gebirge zu Hause. Hoch überm Kopf dicht beieinander die schwarzgrünen Nadelmäntel. Darunter streng ausgerichtet, so weit der Blick reicht, die Holzbeine der Stämme, die stehen, wenn du stehst, gehen, wenn du gehst, und laufen, wenn du läufst. Nur ganz anders als du, wie ein Heer. Wenn dir vom Fürchten dann das Herz unter der Zunge klopft, merkst du unter deinen Füßen das glänzende Nadelfell, diese helle Ruhe mit verstreuten Tannenzapfen. Und du bückst dich und greifst dir zwei, steckst den einen in die Hosentasche. Den anderen behältst du in der Hand, und schon bist du nicht mehr allein. Er bringt dich zu Verstand, dass das Heer nichts als ein Wald ist und die Verlorenheit darin bloß ein Spaziergang.