Sie gab mir auf einem Meerrettichblatt einen Klumpen selbstgekochter Salbe aus Ringelblumen und Schweineschmalz, zum Einreiben, damit die wunde Haut nicht platzt. Die Feldscherin sagte, ich sei zu anfällig für die PEK-Wanne, sie werde mich für drei Tage krankschreiben und vielleicht mit Tur Prikulitsch sprechen.
Ich blieb drei Tage im Bett. Halb schlafend, halb wach schwemmten mich die Fieberwellen nach Hause, in die Sommerfrische auf die Wench. Hinter den Tannen geht die Sonne ganz früh wie ein roter Ballon auf. Ich schaue durch den Türspalt, die Eltern schlafen noch. Ich komme in die Küche, auf dem Küchentisch lehnt ein Rasierspiegel an der Milchkanne. Meine Fini-Tante, dünn wie ein Nussknacker gebaut, geht mit der Brennschere zwischen Gasherd und Spiegel hin und her. In ihrem weißen Organzakleid onduliert sie sich die Haare. Dann kämmt sie mich mit den Fingern und bändigt meine Haare, wo sie immer noch abstehen, mit Spucke. Sie nimmt mich an der Hand, wir gehen Margareten pflücken für den Frühstückstisch.
Taufeuchtes Gras reicht mir bis in die Achseln, es knistert und summt, die Wiese ist voll mit weißfransigen Margareten und blauen Glockenblumen. Ich pflücke nur Spitzwegerich, der heißt Schießkraut, weil man aus seinem Stiel eine Schlinge machen und den Samenkolben weit wegschießen kann. Ich schieße auf das grellweiße Organzakleid. Aber dann sitzt auf einmal zwischen dem Organza und genauso weißen Unterkleid um den Unterleib der Fini-Tante ein brauner Schlauch aus festgekrallten Heuschrecken. Sie lässt ihren Margaretenstrauß fallen, streckt die Arme von sich und erstarrt. Und ich schlüpfe unter ihr Kleid und schaufle die Heuschrecken mit den Händen weg, immer schneller. Sie sind kalt und schwer wie nasse Schrauben. Sie zwicken, es gruselt mich. Über mir ist keine Fini-Tante mit ondulierten Haaren, sondern ein Koloss aus Heuschrecken auf zwei mageren Beinen.
Unterm Organzakleid war es das erste Mal, dass ich verzweifelt schaufeln musste. Jetzt lag ich in einer Baracke und rieb mich drei Tage mit Ringelblumensalbe ein. Alle anderen gingen weiter ins PEK-Bassin. Nur ich wurde, weil ich zu anfällig war, ab nun von Tur Prikulitsch in den Schlackekeller geschickt.
Dort blieb ich.
Jede Schicht ist ein Kunstwerk
Wir sind zu zweit, der Albert Gion und ich, zwei Kellerleute unter den Dampfkesseln der Fabrik. In der Baracke ist der Albert Gion aufbrausend. Im dunklen Keller ist er bedächtig, aber bestimmend, wie Melancholiker sind. Vielleicht war er nicht immer so und ist im Keller so geworden, wie der Keller ist. Er arbeitet schon lange hier. Wir reden nicht viel, nur was sein muss.
Der Albert Gion sagt: Ich kipp drei Wagen, dann kippst du drei.
Ich sage: Dann putze ich den Berg.
Er sagt: Ja, danach gehst du stoßen.
Zwischen Kippen und Stoßen geht die Schicht hin und her, bis die Hälfte um ist, bis der Albert Gion sagt:
Wir werden eine halbe Stunde schlafen unter dem Brett, unterm Siebener, dort ist es ruhig.
Und dann kommt die zweite Hälfte.
Der Albert Gion sagt: Ich kipp drei Wagen, dann kippst du drei.
Ich sage: Dann putze ich den Berg.
Er sagt: Ja, danach gehst du stoßen.
Ich sage: Wenn nun der Neuner voll ist, werd ich gehen und stoßen.
Er sagt: Nein, du kippst jetzt, ich gehe stoßen, auch der Bunker ist voll.
Nach Schichtende sagt entweder er oder ich: Komm putzen, wir wollen den Keller rein übergeben.
Nach einer Woche im Keller stand Tur Prikulitsch wieder in der Rasierstube hinter mir im Spiegel. Ich war zur Hälfte rasiert, und er hob den öligen Blick und die sauberen Finger und fragte:
Wie ist es denn bei euch im Keller.
Gemütlich, sagte ich, jede Schicht ist ein Kunstwerk.
Er lächelte über die Schulter des Rasierers, hatte aber keine Ahnung, dass es stimmte. Man hörte den dünnen Hass in seinem Ton, seine Nasenflügel schimmerten rosa, in seinen Schläfen Marmoradern.
Wie dreckig gestern dein Gesicht war, sagte er, und wie aus allen Löchern deiner Kappe die Därme hingen.
Macht ja nichts, sagte ich, Kohlestaub ist pelzig und fingerdick. Aber nach jeder Schicht ist der Keller rein, denn jede Schicht ist ein Kunstwerk.
Wenn ein Schwan singt
Nach meinem ersten Tag im Keller, sagte die Trudi in der Kantine: Jetzt hast du kein Pech mehr, ist es nicht schöner unter der Erde.
Dann erzählte sie, wie oft sie im ersten Lagerjahr auf der Baustelle beim Ziehen des Kalkwagens die Augen zugemacht und geträumt hat. Und wie sie jetzt die nackigen Toten aus dem Sterbezimmer in den Hinterhof auf die Erde legt, wie frischgeschältes Holz. Sie sagte, dass sie auch jetzt, wenn sie die Toten zur Tür hinausträgt, oft die Augen zumacht und dasselbe träumt wie damals am Kalkwagen im Pferdegeschirr.
Was, fragte ich.
Dass ein reicher, schöner, junger — schön und jung muss er nicht sein — sagte sie, amerikanischer Schweinefleischkonservenfabrikant sich in mich verliebt — verliebt muss er nicht sein — sagte sie, aber so reich, dass er mich freikaufen und von hier herausheiraten kann. Das wäre wirklich Glück, sagte sie. Und wenn er dann noch für dich eine Schwester hätte.
Schön und jung muss sie nicht sein, verliebt muss sie nicht sein, wiederholte ich. Und dann lachte die Trudi Pelikan überspannt. Und ihr rechter Mundwinkel kam ins Flattern und verließ ihr Gesicht, als sei dort, wo das Lachen an die Haut gebunden ist, der Faden abgerissen.
Darum erzählte ich der Trudi Pelikan meinen wiederkehrenden Traum vom Nachhausereiten auf dem weißen Schwein nur kurz. Nur in einem Satz und ohne das weiße Schwein:
Stell dir vor, sagte ich, ich träume oft, dass ich auf einem grauen Hund durch den Himmel nach Hause reite.
Sie fragte: Ist es einer von den Wachhunden.
Nein, ein Dorfhund, sagte ich.
Die Trudi sagte: Warum musst du reiten, fliegen geht schneller. Ich träume nur, wenn ich wach bin. Wenn ich die Leichen in den Hinterhof lege, möchte ich von hier wegfliegen können, wie ein Schwan bis nach Amerika.
Kannte auch sie vielleicht den Schwan auf dem ovalen Schild vom Neptunbad. Ich fragte sie nicht, aber ich sagte:
Wenn ein Schwan singt, ist er immer heiser, man hört sein geschwollenes Gaumenzäpfchen.
Von den Schlacken
Im Sommer habe ich mitten in der Steppe einen Damm aus weißer Schlacke gesehen und an die Schneespitzen der Karpaten gedacht. Kobelian sagte, der Damm sollte einmal eine Straße werden. Die weiße Schlacke war festgebacken, hatte eine körnige Struktur, wie Kalkblasen und Muschelsand. In verstreuten Flecken färbte sich das Weiße rosa, oft so stark, dass es grau wurde am Rand. Ich weiß nicht, warum Rosa ins Graue gealtert so schmeichelnd und besitzergreifend schön ist, nicht mehr mineralisch, sondern traurigmüde wie Menschen. Ob das Heimweh eine Farbe hat.
Die andere weiße Schlacke lag in mannshohen Haufen als Hügelkette neben der Jama. Sie war nicht festgebacken, an den Rändern wuchs Gras. Wenn es beim Kohleschaufeln stark regnete, suchten wir darin Unterschlupf. Wir höhlten uns Löcher in die weiße Schlacke. Sie rieselte nach und packte uns ein. Und im Winter dampfte auf ihr der Schnee, und wir wärmten uns in den Löchern und waren dreimal versteckt, in der Schneedecke, in der Schlacke und in der Pufoaika-Montur. Es roch anheimelnd nach Schwefel, der Dampf quoll durch alles. Wir saßen bis über den Hals in den Löchern, mit der Nase wie voreilig gekeimte Blumenzwiebeln über der Erde und der schmelzenden Schneeschicht am Mund. Wenn wir aus der Schlacke herauskrochen, waren unsere Kleider löchrig von den Glutstückchen, überall hing die Watte heraus.
Vom Auf- und Abladen kenne ich die dunkelrote gemahlene Hochofenschlacke. Sie hat nichts mit der weißen Schlacke zu tun, ist aus rotbraunem Staub, der bei jedem Schaufelschwung durch die Luft geistert und sich langsam herabsenkt wie ein Faltenwurf. Da sie trocken wie der heiße Sommer und durch und durch aseptisch ist, spricht die dunkelrote Hochofenschlacke das Heimweh nicht an.