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»Darf ich mich umdrehen?« fragte er deshalb höflich.

»Von mir aus. Aber wenn Sie dabei zu schnell sind oder eine ungeschickte Bewegung machen, ist es das letzte, was Sie tun!«

»Ich werde brav sein«, versprach Marquand und drehte sich ganz langsam um.

Er staunte nicht wenig, als er sich einer Frau in den Vierzigern gegenübersah. Ihr faltiges Gesicht verriet, daß sie ein hartes Leben geführt hatte. Ihr hinten zu einem Knoten zusammengebundenes Haar war einmal dunkel gewesen, ging jetzt aber immer mehr ins Graue über.

Ihre Stimme hatte so rauh und tief geklungen, daß Marquand an einen Mann gedacht hatte. Allerdings erschien ihm die Situation jetzt nicht weniger gefährlich, denn die Frau hielt eine doppelläufige Schrotflinte auf ihn gerichtet. Sie stand nur fünf Yards von ihm entfernt; eine Distanz, auf der die Schrotladung ihn zerfetzen würde. Und die Art, wie sie die Waffe hielt, verriet, daß sie mit ihr umzugehen verstand.

»Sie können Ihren Schießprügel wegstellen, Ma'am. Ich bin ein Freund.«

»Ein Freund? Von wem?«

»Von Mr. McMillan. Ich habe eine geschäftliche Besprechung mit ihm. Könnten Sie mich zu ihm bringen?«

»Sicher«, antwortete die Frau, ohne die Position ihrer Waffe zu verändern. »Besuch von Freunden hat Mr. McMillan immer gern. Gehen Sie voran! Dorthin, auf den kleinen Hügel!«

Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung eines Hügels, auf dem einsam eine riesige Eiche mit breiter Krone stand. Marquand konnte dort weit und breit keinen Menschen entdecken. Aber er tat der Frau den Gefallen, in die bewußte Richtung zu gehen. Die doppelläufige Schrotflinte war ein überzeugendes Argument.

Als er auf den Hügel zuschritt, machte sich ein flaues Gefühl in seinem Magen breit. Als würde er zu seiner Hinrichtung gehen. Er rechnete jeden Augenblick damit, einen heftigen Schlag im Rücken zu spüren und das Krachen des großen Schießprügels zu hören. Aber nichts davon geschah. Unbehelligt erreichte er den Hügel, auf dem es außer dem Baum nichts gab als ein schlichtes Holzkreuz.

»Was soll ich hier?« fragte er.

»Lesen Sie, was auf dem Kreuz steht, Mr. Freund!«

Marquand las die ins Holz geritzte, von der Sonne ausgebleichte Inschrift: >Edwin Horace McMillan 1815 - 1860. Ermordet von einer Bande Sklavereigegner.<

»Er. ist schon drei Jahre tot?« fragte Marquand ungläubig.

Die Frau nickte. »Sagen Sie also, was Sie ihm zu sagen haben!«

»Ich hatte gehört, er würde mit seinen Söhnen die Farm bewirtschaften.«

»Deshalb sind Sie hergekommen?«

»Nein, weil ich seine Hilfe brauche.«

»Wobei?«

»Bei einer wichtigen Angelegenheit.«

»Wichtig? Für wen? Für Sie?«

»Nein, nicht für mich. Für den Süden.«

Marquand beobachtete genau das Gesicht der Frau, um ihre Reaktion auf das letzte Wort abzulesen. Aber sie wäre eine hervorragende Pokerspielerin gewesen. Ihre Züge blieben unbewegt.

»Was haben Sie mit dem Süden zu tun?« fragte sie nur.

Marquand beschloß, alles auf eine Karte zu setzen. Er benötigte dringend Hilfe und etwas Ruhe. Er fühlte sich nicht in der Lage, lange um den heißen Brei herumzureden.

»Ich hatte eine Plantage, die abgebrannt ist, als die Yankees meine Sklaven befreiten. Mein kleiner Sohn kam in den Flammen um. Vor kurzem starb meine Frau. Auch sie wurde von den Yankees ermordet.«

Die Frau ließ das Gewehr ein paar Zoll sinken, und in ihre bisher so wachsamen Augen trat ein verklärter Ausdruck. »Ähnlich war es bei uns. Eines Tages kamen Sklavereigegner auf unsere Farm und forderten von meinem Mann, auf einer Liste für die Abschaffung der Sklaverei zu unterschreiben. Als Edwin erwiderte, er habe weder etwas für noch gegen die Sklaverei, haben sie ihn über den Haufen geknallt. Einfach so, wie einen Hasen oder einen tollen Hund. Uns ist die Sklavenfrage immer noch egal. Aber wir hassen die Yankees,

die mit Gewalt für die Abschaffung der Sklaverei eintreten.«

»Man muß mich falsch informiert haben, Mrs. McMillan. Ich hörte, Mr. McMillan und seine Söhne setzten sich für die Sache des Südens ein. Deshalb suchte ich seine Hilfe.«

»Meine Kinder und ich unterstützen den Süden. Was wollen Sie von uns?«

»Sie müssen mir helfen, Abraham Lincoln gefangenzunehmen.«

Mrs. McMillans Mund klappte auf und blieb eine halbe Minute in dieser Stellung. Die Farmerin starrte ihr Gegenüber an wie ein Gespenst.

»Was. sollen. wir?« fragte sie schließlich zögernd.

Marquand erklärte ihr in kurzen Worten, worum es ging. »Quantrill soll mit seinen Männern in der Nähe sein, um Lincoln zu erwischen. Aber ich weiß nicht, wo ich ihn suchen soll. Deshalb brauche ich Ihre Unterstützung bei der Sache. Ihre vier Jungs müssen mir helfen, Lincoln zu überwältigen. Da nur noch drei gesunde Männer bei ihm sind, müßte uns das gelingen. Dann schaffen wir ihn hierher und benachrichtigen Quantrill. Der wird sich doppelt freuen, denn in Lincolns Begleitung ist Allan Pinkerton.«

»Der Yankee-Spion?«

Marquand nickte. »Da bin ich mir ziemlich sicher. Ich habe einmal sein Bild in einer Zeitung gesehen. Die Konföderierten schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe.«

Die Farmerin nagte an ihrer Unterlippe und meinte dann: »Ihre Geschichte klingt ziemlich verrückt, Mister. Vielleicht hätte ich Ihnen nicht geglaubt. Aber die Anwesenheit von Quantrills Trupp in dieser Gegend verleiht Ihnen Glaubwürdigkeit.«

»Sie wissen von Quantrills Anwesenheit?«

Die Frau lächelte zum erstenmal. Es war ein dünnes Lächeln. »Wir haben seinem Trupp das Versteck besorgt, drüben im Redrock Canyon.«

»Wie weit ist das?«

»Es ist unwegsames Gelände. Wenn es schnell geht, eine Reitstunde von hier.«

Marquand schüttelte enttäuscht den Kopf. »Zu weit. Lincoln rechnet mit Hilfe aus der nächsten Stadt. Er wird nicht so lange warten. Wir müssen es mit Ihren Söhnen versuchen.«

»Ja«, stimmte ihm die Frau zu. »Ziehen Sie Ihren Revolver.«

»Was?«

»Ziehen Sie Ihre Waffe und schießen Sie zweimal in die Luft. Das Zeichen für meine Kinder, sofort mit der Feldarbeit aufzuhören und heimzukommen.«

»Ich verstehe«, sagte Marquand und tat, wie ihm geheißen.

Er steckte den Remington wieder ein und setzte sich im Schatten der Eiche auf den Boden. Vorsichtig befühlte er seine Wunde. Sie schmerzte bei der kleinsten Berührung.

»Sind Sie beim Zusammentreffen mit Lincoln verletzt worden?«

»Nein, von einem Pinkerton-Mann vor einigen Tagen.«

»Hat er Sie enttarnt?«

»Dazu war er nicht schnell genug. Meine Kugel hat ihn auch getroffen. Er liegt jetzt im Ohio.«

Er dachte an Vivian, die Ross Bowmans Leiche im Fluß versenkt hatte. Vivian, die selbst vom Fluß verschluckt worden war. Das schürte seinen Haß und half ihm, die Schmerzen auszuhalten.

Mrs. McMillan ging zum Brunnen und kehrte mit einer großen Kelle Wasser zurück, die ihr Besucher begierig leerte. Kaum war er damit fertig, als er sich auch schon von vier jungen Männern umringt sah, die ihre Waffen auf ihn richteten.

»Mr. Marquand ist ein Freund«, beschwichtige die Farmerin ihre Kinder. »Er hat einen Auftrag für uns. Einen sehr wichtigen Auftrag.«

Sie stellte ihm die vier vor: Clem, Stoker, Angus und Tate.

»Tate?« fragte Marquand und beäugte skeptisch das noch sehr junge Gesicht unter dem breitrandigen, verbogenen Hut. »Er sieht fast noch aus wie ein Kind.«

»Erstens bin ich kein Kind und zweitens kein Er«, sagte Tate, nahm den Hut vom Kopf und schüttelte schulterlanges, korngelbes Haar. »Gütiger Vater, ein Mädchen!« »Mit richtigem Namen Tatum«, erklärte die Mutter. »Na und?« fragte Tate mit vorgerecktem Kinn, den alten Revolver mit beiden Händen wieder auf den Mann richtend. »Haben Sie etwas gegen Frauen, Mister?«