Aber der Deutsche sprang geistesgegenwärtig zur Seite und schleuderte seinem Gegner den Dreck ins Gesicht, den er mit der Rechten vom Boden gekratzt hatte.
Andersen heulte vor Wut und Verwirrung auf, als er von der
Dreckladung geblendet wurde. Er drehte sich wild im Kreis und fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum, um den Gegner, den er nicht sehen konnte, von sich fernzuhalten. Mit der linken Hand fuhr er gleichzeitig über seine Augen, um sie vom gröbsten Schmutz zu befreien.
Jacob wartete nicht, bis er damit fertig war. Er packte mit beiden Händen Andersens Rechte und schmetterte sie gegen sein hochgerissenes Knie. Der Partisan stieß einen Schmerzenslaut aus und ließ das Messer zu Boden fallen.
Bloody Bill riß sich von Jacob los und taumelte ein paar Schritte zurück, um sich zu orientieren. Er konnte wieder sehen, zwinkerte dabei aber heftiger mit den Augen, als es Jesse James für gewöhnlich tat.
»Du hinterhältiger Bastard«, keuchte er. »Gleich wirst du die größte Tracht Prügel deines Lebens beziehen.«
»Tu dir keinen Zwang an«, antwortete Jacob äußerlich ruhig, innerlich aber bis zum Zerreißen gespannt. »Ich stehe hier und warte auf dich.«
Diesmal gelang es ihm nicht, Anderson zu einem unbedachten Angriff herauszufordern. Vorsichtig umkreisten sich die Kontrahenten, und nicht alle der Zuschauer gaben ihrem Unterführer die größeren Chancen. Gewiß, sie kannten seine Härte und Roheit, und mit seinem zotteligen Bart und dem langen Haar erweckte er den wilderen Eindruck. Aber Jacob war fast noch größer und breitschultriger als er, und die Ruhe des Deutschen verfehlte ihre Wirkung nicht.
Als zwei Minuten verstrichen waren und keiner der beiden einen Angriff startete, mußte sich Anderson die ersten höhnischen Kommentare seiner Kameraden gefallen lassen. Er sah wohl ein, daß er dabei war, seinen Ruf zu verlieren. Deshalb stieß er ein urzeitliches Gebrüll aus und stürmte auf Jacob zu.
Wieder wollte der Deutsche dem Angriff durch einen Schritt zur Seite ausweichen. Aber er stolperte über einen Stein, taumelte auf der Suche nach Gleichgewicht und wurde von dem Angreifer zu Boden gerissen. Die Luft wurde Jacob aus den Lungen gepreßt, als er auf den Rücken fiel.
Als er wieder zu Atem kam, war das nur von kurzer Dauer. Dann drückte ihm Anderson die Luft mit beiden schraubstockartig um Jacobs Hals gelegten Händen ab. Der junge Deutsche röchelte, rang nach Atem, versuchte den rittlings auf ihm sitzenden Anderson von sich abzuschütteln -alles vergeblich. Der Guerilla schien um keinen Preis der Welt von ihm ablassen zu wollen.
»Na, Dutch, wie fühlst du dich jetzt?« fragte Bloody Bill und setzte wieder sein gemeines Grinsen auf. »Schämst du dich etwa, daß du diesen Kampf verlierst? Du läufst nämlich ganz rot an.« Er lachte laut.
In diesem Moment hörte Jacob zu atmen auf. Sein Kopf fiel zur Seite, und seine Augen blickten glasig ins Leere.
*
Die doppelte Wärme, von außen und von innen, tat Irene gut. Die äußere Wärme kam von dem Feuer, an dem sie saß und über dem eine Kaffeekanne hing. Die innere Wärme kam von dem heißen Kaffee, der belebend durch ihre Kehle rann.
Irene trug einen Verband um den Kopf. Ihre Kleider lagen auf einigen Büschen, um in der Sonne zu trocknen. Die junge Frau war in eine große Decke gehüllt, unter der sich auch Jamie von Kälte und Nässe des unfreiwilligen Flußbades erholte. Sie genoß es, seine nackte Haut auf der ihren zu spüren. Mit der freien Hand führte sie ab und zu den blechernen Kaffeebecher zum Mund.
Das Lager der vier Deserteure befand sich in einer kleinen, von Buschwerk umstandenen Senke. Cord Hamker und Fred Glaser hatten sich aus Angst vor Entdeckung erst gegen das Anzünden des Feuers gesträubt. Aber Chris Rodenberg und der andere Mann, der Irene und Jamie aus dem Wasser gezogen hatte, ein dunkelhaariger Junge namens Henry Eimers, hatten darauf bestanden. Murrend hatten sich Hamker und Glaser gefügt.
Irene hatte gerade vom Untergang der RAVAGER berichtet, und die vier Männer sahen sie staunend an. Immer wieder stellten sie Fragen und schienen es nicht glauben zu können, daß ein Kriegsschiff der Union von Männern in blauen Uniformen angegriffen worden war. Irene vermochte das alles selbst kaum zu glauben, aber sie konnte nichts anderes tun, als ihren Rettern die Tatsachen zu berichten. Erklärungen hatte sie nicht.
»Wollen Sie mir auch erzählen, wie Sie hierhergekommen sind?« fragte sie zögernd. »Oder möchten Sie lieber nicht darüber sprechen?«
»Warum nicht«, meinte Rodenberg schulterzuckend. »Sie wissen ja bereits, daß wir Deserteure sind.«
»Und daß Sie gesucht werden.«
»Ja. Deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein. Wenn Hauptmann Gerber uns erwischt, steht es mehr als schlecht um uns.«
Hauptmann Gerber!
Der Name brachte schlagartig Irenes Erinnerung zurück, und sie wußte, wo sie das Emblem mit den Buchstaben >GRV< gesehen hatte: New York, Castle Garden.
»Etwa Hauptmann Gerber von den German Rifle Volunteers?«
Die vier Männer sahen sie überrascht an.
»Sie kennen Gerber?« erkundigte sich Hamker mißtrauisch.
»Aus New York«, antwortete Irene und erzählte die Geschichte. »Ich hätte allerdings nicht vermutet, daß sich sein Regiment schon im Feld befindet.«
»Tut es ja auch nicht, jedenfalls nicht so richtig«, meinte Rodenberg. »Es hat in der Nähe zwar ein Feldlager aufgeschlagen, aber jetzt findet erst mal der Drill unter Gefechtsbedingungen statt. Ein sehr harter Drill. Unsere Offiziere sind ehrgeizig und benutzen uns, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen. Wir haben das nicht mehr ausgehalten und haben uns deshalb abgesetzt.«
»Nicht mehr ausgehalten?« fragte Irene ungläubig. »Ist das ein Grund, Fahnenflucht zu begehen?«
»Das nicht«, sagte der blonde Jüngling, stand auf und legte die Decke ab, in die er gehüllt gewesen war. Auch er und Henry Eimers hatten ihre nasse Kleidung zum Trocknen ausgelegt. »Aber vielleicht das.«
Er drehte sich um und zeigte Irene seinen von einer Unzahl langer, blutiger Narben übersäten Rücken. Die Frau zuckte zusammen und fühlte sich an den schwarzen Matrosen Sam erinnert, der auf dem Flußdampfer ONTARIO von seiner Sklavenzeit erzählt hatte. Er hatte ähnliche Narben auf dem Rücken gehabt.
»Wie sind Sie dazu gekommen?« fragte Irene und war froh, als Rodenberg seinen Oberkörper wieder mit der Decke verhüllte.
»Weil ich zu spät vom Frühstück kam, hat Gerber mir für drei Tage das Essen verboten. Am dritten Tag hielt ich es nicht mehr aus und habe mir heimlich einen Kanten Brot besorgt. Ein Sergeant hat mich beim Essen erwischt, und der Hauptmann hat mir zur Strafe zwanzig Peitschenhiebe verabreichen lassen.«
Rodenberg zeigte auf Eimers. »Auch Henry könnte Ihnen solche Narben zeigen. Er hat die Peitsche bekommen, weil er sein Bajonett verloren hat.«
»Und was ist mit Ihnen?« fragte Irene, während sie Hamker und Glaser ansah.
Fast zeitgleich schoben die beiden Männer ihre Käppis aus der Stirn und enthüllten jeder ein großes, in die Haut gebranntes >A<.
»A wie Aufrührer«, erklärte Hamker. »Gerber hat uns brandmarken lassen, weil wir uns über ihn beim Oberst beschwert haben.«
»Und was hat der Oberst getan?«
»Ihm recht gegeben. Gerber ist ein wohlhabender Mann und war mit seinem Geld maßgeblich an der Aufstellung des Regiments beteiligt. Der Oberst wird sich hüten, sich mit ihm anzulegen. Das hatten wir leider nicht bedacht.«
»Können Sie uns jetzt verstehen?« fragte Rodenberg.
Irene nickte. »Ja, jetzt schon.«
Sie dachte wieder an den Matrosen Sam und erschrak bei dem Gedanken, daß es kaum einen Unterschied gab zwischen den Menschen, die sich Sklaven hielten, und denen, die angetreten waren, die Sklaven zu befreien. Jacob und Martin hatten in New York schon gewußt, weshalb sie sich nicht von Hauptmann Gerber anwerben ließen. Männer wie der Hauptmann führten keinen Krieg für eine gute Sache, sondern nur für sich selbst.