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Quantrill setzte die Maske des Lächelns ab. »Der Dutch meint es ernst, Männer. Also haltet eure Zeigefinger steif.« Er sah wieder Jacob an. »Was verlangst du?«

»Zwei Pferde und freien Abzug für Lieutenant Slyde und mich.«

»Einverstanden. Männer, bringt den tapferen Seemann her. Und zwei Pferde für die Yankees.«

Ein paar Freischärler machten sich davon. Pferde wurden nicht geholt, aber Slyde, der kaum aufrecht stehen konnte. Jesse James und Cole Younger hielten ihn in ihrer Mitte. Der Lauf von James' Revolver war auf den Kopf des Offiziers gerichtet.

»Was soll das?« fragte Jacob.

»Im Schach nennt man das ein Remis«, sagte Quantrill. »Keiner von uns kann den nächsten Zug tun. Schießen meine Männer auf dich, erschießt du mich. Aber erschießt du mich, erschießen meine Männer deinen Freund. Jetzt kommt es darauf an, wer die stärkeren Nerven hat.«

Er schien die Situation tatsächlich zu genießen, stand seelenruhig da und wartete, was Jacob tun würde. Letzterer wußte, daß er im Zugzwang war. Er konnte die vier Dutzend Männer um sich herum nicht ständig im Auge behalten. Über kurz oder lang mußten sie ihn überwältigen. Das war es, worauf sich Quantrill verließ.

Aber Lieutenant Slyde machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Vielleicht hatte er die Situation erkannt. Jedenfalls erwachten die Lebensgeister in ihm noch einmal. Er bäumte sich auf und wollte sich von seinen Bewachern lösen.

In dem Gerangel krachte der Schuß aus Jesse James' Waffe. Mit einem Loch in der Stirn sackte der Marineoffizier zu Boden. Er war tot.

Die Ereignisse überstürzten sich. Das Krachen des Schusses schien die Erstarrung von allen genommen zu haben. Vierzig Hände griffen nach ihren Waffen, auch die von Quantrill. Der Guerillaführer wollte seine beiden schweren Revolver gleichzeitig ziehen.

Jacob zog den Stecher durch. Seine Kugel traf Quantrills Brust. Der Getroffene ließ seine Waffen los und fiel rücklings zu Boden.

Der Deutsche nutzte die Verwirrung und schwang sich auf Tate McMillans Pferd, trieb es an, durch die Uniformierten hindurch auf den Ausgang des Canyons zu. Nachdem sich die Freischärler von ihrer Überraschung erholt hatten, schickten sie ihm einen wütenden Kugelhagel hinterher.

Zu spät. Der flüchtende Reiter war hinter einer Biegung verschwunden, und die Kugeln klatschten wirkungslos gegen die rötlichen Felsen.

Jacob besaß nicht viel Erfahrung mit Pferden, hatte sich auf seiner dreijährigen Wanderschaft als Zimmermannsgeselle zumeist auf Schusters Rappen fortbewegt. Er konnte sich gerade mal im Sattel halten, aber das tat er mit aller Kraft. Er stieß dem Tier, wie er es bei anderen Reitern gesehen hatte, die Hacken in die Flanken und trieb es mit wilden Schreien zu noch größerer Schnelligkeit an. Obwohl der schlanke Falbe durch den Ritt zum Redrock Canyon ziemlich erschöpft war, gab er sein Bestes und trug seinen Reiter in Windeseile dem schmalen Durchgang entgegen.

Als die beiden turmartigen Felsen vor ihm in die Höhe wuchsen, dachte Jacob mit Erschrecken an die beiden Wächter.

Während er mit der linken Hand die Zügel festhielt, zog er mit der rechten Andersons Revolver aus seiner Jackentasche.

Da bellte auch schon ein Schuß auf. Mit rauchendem Karabiner stand ein Guerilla auf dem rechten Felsen. Jacob bot auf dem dahinrasenden Pferd ein schlechtes Ziel, und der Schuß mußte daher fehlgegangen sein.

Der Mann auf dem linken Felsen ließ sich mehr Zeit, ging in die Knie, legte den Karabiner auf einer kegelförmigen Erhöhung auf und zielte in Ruhe.

Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, gab Jacob zwei Schüsse auf den Freischärler ab. Er hatte fast keine Erfahrung mit Schußwaffen und gab sich keinen großen Hoffnungen hin, einen Treffer zu erzielen. Aber der Mann auf dem linken Felsen kippte zur Seite. Der Schuß aus seiner Waffe löste sich, doch die Kugel verschwand im Himmel.

Jacob konnte kaum glauben, den Mann getroffen zu haben. Vielleicht war er, was Schußwaffen betraf, tatsächlich ein Naturtalent, wie schon Ansbert von Waiden nach Jacobs Duell mit Bertram Arning zu ihm gesagt hatte.

Der junge Deutsche wußte allerdings nicht, ob er sich darüber freuen sollte. Er hatte Schußwaffen immer verabscheut und sich lieber auf seinen Verstand und im Notfall auf seine Fäuste verlassen. Doch in diesem Land schien man ohne Revolver oder Karabiner aufgeschmissen zu sein. Deshalb verstaute Jacob die Waffe wieder in seiner Jackentasche, als ihn der Falbe zwischen den Felsen hindurchtrug.

Noch einmal krachte ein Schuß. Offenbar hatte der Wächter auf dem rechten Felsen nachgeladen. Dicht neben Jacob fuhr die Kugel splitternd in einen Baumstamm.

Dann wurde der Reiter durch das dichte Unterholz den Blicken der Guerillas entzogen.

*

Als ihr flüchtender Gefangener hinter der nächsten Biegung verschwunden war, standen die Freischärler für Sekunden unschlüssig da. Dann steckten Frank James und Cole Younger ihre Revolver ein und knieten sich neben ihren niedergeschossenen Anführer.

»Stellt einen Verfolgertrupp zusammen und schnappt euch den Kerl!« rief der ältere James-Bruder den Männern zu.

Eine zehn Mann starke Gruppe lief zur aus Seilen errichteten Pferdekoppel, um die Verfolgung aufzunehmen.

William Quantrill lag reglos im Gras und sah aus, als ob er schliefe. Auf seiner Brust nahe seinem Herzen waren Jacke und Hemd zerfetzt, aber seltsamerweise trat kein Blut aus. Frank James beugte sich dicht über ihn und glaubte, schwachen Atem aus Quantrills halboffenem. Mund zu spüren.

»Ich glaube, er lebt!« rief er zur allgemeinen Überraschung aus und begann seinem Captain Jacke und Hemd auszuziehen.

Gerade knöpfte er das Uniformhemd auf, als Quantrill die Augen aufschlug und sich irritiert umsah.

»Was... was ist... passiert?« krächzte er.

»Dieser Dutch, Jacob Adler, hat auf dich geschossen und deine linke Brust erwischt«, erklärte Frank, über Quantrills verhältnismäßig gute Verfassung staunend. »Wir dachten, du wärest hinüber.«

Der Captain tastete nach seiner Brust, knöpfte eine Hemdtasche auf und zog ein dünnes, silbern glänzendes Etui heraus, das stark verbeult war. Er öffnete es, nahm eine der schlanken Zigarren heraus und steckte sie zwischen seine Lippen, ohne sie anzuzünden.

»Ich habe mal einen Arzt gekannt, der allen Ernstes behauptet hat, Rauchen sei ungesund.« Er lachte rauh. »Der heutige Tag hat das Gegenteil bewiesen.«

Er klappte seinen silbernen Lebensretter wieder zu. »Wo ist der Dutch?«

»Auf dem Pferd des Mädchens weggeritten«, antwortete Frank James, als sie auch schon die Schüsse vom Canyon-Eingang hörten. »Klingt so, als hätten Luke und Elam ihn erwischt.«

»Wir sollten ihn umlegen, wenn er nicht schon tot ist«, preßte Franks kleiner Bruder hervor. »Diese verdammten Yankees machen nichts als Ärger!«

Erst jetzt fiel Frank James auf, daß Jesse ein blutdurchtränktes Taschentuch um seine linke Hand gewickelt hatte.

»Was ist passiert, Dingus?«

»Dingus« war Jesses Spitzname aus Kindertagen, so wie Frank von seinem Bruder zuweilen »Buck« genannt wurde.

»Als dieser verfluchte Seemann störrisch wurde, löste sich im Handgemenge der Schuß aus meiner Waffe.«

»Das wissen wir. Du hast dem Yankee das Gehirn weggepustet.«

»Und meine halbe Hand auch.«

»Zeig mal her, Dingus«, verlangte Frank und ging auf seinen Bruder zu.

Vorsichtig wickelte Jesse das Taschentuch von seiner Hand, deren Mittelfinger in einem blutigen Etwas mit blankliegendem Knochen endete.

»Die Hand ist ja noch dran«, meinte Frank. »Es ist nur das letzte Fingerglied, das du mit dem Yankee beerdigen kannst. Das heißt, falls du es findest, Dingus.«

Die rauhen Kerle um sie herum lachten. Mit einem Fluch, den man von dem Sohn eines Baptistenpredigers niemals erwartet hätte, wickelte Jesse das Tuch wieder um den Finger.