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Jacob stand wie angewurzelt auf dem schwankenden Kesseldeck und konnte es noch gar nicht glauben, daß Slydes Rettung geglückt war. Die Arme des jungen Zimmermannes zitterten noch immer, obwohl die Last von ihnen genommen war; die Anstrengung war einfach zu groß gewesen.

Da brach die RAVAGER vollends auseinander, und das Heck ragte immer steiler in die Höhe. Jacobs Gehirn wurde nur von einem Gedanken beherrscht: Er mußte sich und Slyde in Sicherheit bringen, - bevor das Schiff unterging und sie mit in die Tiefe zog.

Slydes Beine waren von dem herunterfallenden Beiboot zertrümmert worden. Jacob griff unter seine Schultern und schleppte ihn mit sich zu dem Geländer, welches das Kesseldeck ursprünglich umschlossen hatte, jetzt aber durch den umgestürzten Davit durchbrochen war. Er warf den Offizier ins Wasser und sprang hinterher.

Im Wasser schwamm er zwischen Matrosen und Wrackteilen auf Slyde zu, der große Mühe hatte, sich über Wasser zu halten. Da der Lieutenant seine Beine nicht gebrauchen konnte, war dies kein Wunder.

Jacob umfaßte den Schiffskommandanten und schwamm mit ihm durch das aufgewühlte Wasser in Richtung Ufer. Es war ein sehr mühevolles Unterfangen, und immer wieder schluckte der junge Deutsche Wasser. Vor seinen Augen wurde das auseinandergebrochene Kanonenboot immer mehr ein Opfer des breiten Stromes.

Als er endlich Boden unter den Füßen fühlte, glaubte er sich und Slyde gerettet. Aber allmählich drangen die vielen Detonationen und Schreie in sein Bewußtsein. Das kam nicht von dem sinkenden Schiff, sondern war ganz nah.

Er drehte sich um und achtete darauf, daß Slyde nicht unter Wasser rutschte. Was Jacob dann sah, schien eine Szene aus einem Alptraum zu sein.

Die Matrosen, denen es gelungen war, sich an Land zu retten, und die sich endlich in Sicherheit glaubten, erwartete ein schreckliches Schicksal. Am Ufer stand eine lange Kette von Männern, die mit Karabinern und Revolvern auf die an Land wankenden Männer von der RAVAGER schossen. Die wehrlosen Seeleute, die nicht bewaffnet waren, da sich ihr Schiff nicht im Alarmzustand befunden hatte, wurden abgeknallt wie die Hasen. Kein einziger von ihnen erreichte das vermeintlich rettende Ufer. Ihr Blut färbte das flache Wasser rot.

Das schlimmste an der Sache war, für Jacob unbegreiflich, daß die Mordschützen die blauen Uniformen der Unionsarmee trugen. Die Soldaten der Nordstaaten schossen auf ihre eigenen Leute, obwohl die Matrosen ebenfalls das Blau der US-Truppen trugen. Aber das störte die Männer am Ufer nicht. Gnadenlos sandten sie eine tödliche Kugel nach der anderen aus ihren heißgeschossenen Läufen.

Jacob wurde ganz flau im Magen, als er an Irene, Jamie und Martin dachte. Waren sie ebenfalls den uniformierten Mördern in die Hände gefallen? Was war mit ihnen geschehen?

*

Der Ohio war ein brodelnder Hexenkessel voller schreiender Menschen und umhertreibender Trümmer. Als Martin nach seinem Hechtsprung vom Kesseldeck aus den Fluten auftauchte, waren Irene und das Kind verschwunden, wie vom Fluß verschluckt.

Dann sah er das Beiboot, das die junge Frau mit sich ins Wasser gerissen hatte. Es trieb mit dem Kiel nach unten im Wasser und wurde gerade von mehreren über Bord gegangenen Matrosen geentert. Irene und Jamie konnte er unter ihnen jedoch nicht entdecken.

Mit kräftigen Schwimmstößen hielt er auf das Boot zu, als er hörte, wie jemand seinen Namen rief. Ganz schwach nur drang der Ruf an sein Ohr, wurde von der tosenden Geräuschkulisse des Schiffsunterganges fast verschluckt.

Martin sah sich nach allen Seiten um und entdeckte schließlich Irenes blonde Locken etwa fünfzehn Yards vom Ruderboot entfernt. Ihr nasses Haar klebte wirr am Kopf und war teilweise mehr rot als blond; das mußte die Stelle sein, wo sie vom herabstürzenden Boot getroffen worden war. Verzweifelt hielt sie den kleinen Jamie über Wasser und rief nach Martin.

Der kräftige junge Deutsche schwamm zu ihr hin und hakte sie bei sich ein. »Geht es so, Irene? Kannst du Jamie halten?«

Sie nickte und keuchte ein schwaches »Ja«.

Er zog Mutter und Kind zum Beiboot, in dem mittlerweile vier Matrosen saßen. Sie streckten den Auswanderern ihre Hände entgegen, hoben erst den kleinen Jungen ins Boot und zogen dann seine Mutter hinein. Zuletzt kletterte Martin über die Reling und ließ sich schweratmend auf die Planken fallen.

Irene drückte erleichtert ihren Sohn an sich, sah sich aber plötzlich erschrocken nach allen Seiten um. »Wo ist Jacob?«

Auch Martin blickte in die Runde. »Ich weiß es nicht. Er stand noch auf dem Kesseldeck, als ich ins Wasser sprang. Ich dachte, er würde mir folgen.«

Zwei Matrosen hatten die Ruder aus ihrer Verankerung gelöst, sie in die Dollen gelegt und begannen jetzt, das Boot von der untergehenden RAVAGER wegzubringen.

Martin dachte an Jacob und die anderen Männer, die noch im Wasser trieben. »Wir sollten nach weiteren Schiffbrüchigen Ausschau halten. Im Boot ist noch viel Platz.«

»Zu gefährlich«, brummte einer der rudernden Matrosen und machte eine Kopfbewegung zum Vorschiff der RAVAGER, das jetzt ein einziges Flammenmeer war.

Wie zum Beweis seiner Worte explodierte in diesem Augenblick mit lautem Donnerhall einer der Dampfkessel und spuckte seinen glühenden Inhalt ins Wasser. Wie aus dem Weltall fallende Meteoriten ging die Glut rings um das Beiboot nieder und versank zischend im Ohio.

Die Matrosen brachten das Boot mit noch schnelleren Ruderschlägen aus der Gefahrenzone, was ihnen nicht schwerfiel, da die Strömung stärker wurde, je weiter sie sich von dem Kanonenboot entfernten.

Wie gebannt hingen Martins Augen an dem sinkenden Schiff, eben noch stolzer Beweis menschlicher Erfindergabe, jetzt nur noch ein brennender Trümmerhaufen. Erst als der Matrose, mit dem er eben gesprochen hatte, vornüber sank und ihm fast in den Schoß fiel, nahm der junge Bauernsohn seinen Blick von dem tödlichen Inferno.

Aber auch in das Beiboot war der Tod eingekehrt. Der Hinterkopf des Matrosen war eine einzige blutende Wunde. Als der zweite Ruderer mit einem Einschußloch im Rücken ebenfalls umkippte und die Menschen im Boot eine Detonation hörten, bemerkten sie erst das Floß, auf das sie zutrieben.

Es war wie eine Flußfähre an einem starken Seil befestigt, das ein Abtreiben verhinderte. Nur führte das Seil nicht über den ganzen Fluß, sondern endete an einem Pfahl, der in eine Sandbank getrieben war. Das Floß versperrte die Fahrrinne durch die Bedford-Bänke. Hinter der niedrigen Umfassung kauerten Männer in blauen Uniformen und schossen aus ihren Karabinern auf die Schiffbrüchigen im Beiboot.

Martin dachte an die Kette von Explosionen, die das Kanonenboot erschüttert und in ein brennendes Wrack verwandelt hatte. Die Männer auf dem Floß vor ihnen mußten Sprengladungen gezündet haben. Und jetzt wollten sie verhindern, daß jemand dem Untergang entkam.

Der dritte Matrose wurde in den Hals getroffen, stieß einen gurgelnden Laut aus und sackte mit dem Oberkörper über die Reling.

Martin zog Irene und das Kind nach unten. »Bleib hier, Irene. Schau nicht auf!«

Er stieß sich ab und sprang über Bord, während um ihn herum das Holz des jetzt quer im Wasser treibenden Ruderbootes unter den Bleikugeln zersplitterte. Im Wasser tauchte er unter und schwamm auf das Floß zu, dessen dunkler Schatten bald über ihm auftauchte. Die Männer auf dem Floß schienen nicht zu wissen, wo er sich befand; er erreichte das aus grob behauenen Baumstämmen zusammengesetzte Gefährt unbehelligt.

An der Sandbank, in die der Pfahl gerammt war, tauchte er auf und versuchte den schweren, mehr als schenkeldicken Holzpfahl herauszuziehen. Da klatschten dicht neben ihm Kugeln ins Wasser. Er war entdeckt worden, und ein Teil der Uniformierten nahm ihn unter Feuer.