Выбрать главу

Schnell tauchte er wieder unter. Der Pfahl steckte fester in der Sandbank, als er gedacht hatte. Die Schüsse, mit denen er bedacht wurde, erschwerten seine Arbeit zusätzlich. Aber er mußte sich schnell etwas einfallen lassen. Das Boot trieb immer näher an das Floß heran.

Martin tastete nach dem Klappmesser in seiner Jackentasche, zog es heraus und klappte es auf. Er stieß sich von der Sandbank ab, schoß aus dem Wasser heraus, klammerte sich mit der Linken an das Halteseil des Floßes und versuchte es durchzuschneiden. Um ihn herum wurde das Wasser von den Geschossen aufgewühlt, aber er fuhr unbeirrt fort. Auch als ein stechender Schmerz durch seinen linken Arm fuhr, der sich über dem Ellbogen rot färbte.

Fast hatte er das Seil durchgetrennt, als ihn eine zweite Kugel am Kopf traf. Mit dem Gedanken, das Seil unbedingt zerreißen zu müssen, hielt er sich an ihm fest. Alles um ihn herum wurde dunkel. Er fiel ins Wasser und merkte nicht mehr, daß dabei der letzte dünne Faden, der das Seil noch straff gehalten hatte, zerriß.

Martins letzter Gedanke, bevor ihn die Dunkelheit und das Vergessen ganz umhüllten, galt dem Boot mit Irene und Jamie.

*

Irene lag mit dem Gesicht nach unten im Boot, ihren Sohn unter sich, um ihn mit ihrem Körper zu schützen. Immer wieder fuhren Kugeln ins splitternde Holz, aber wie durch ein Wunder wurde sie nicht getroffen.

Der letzte der vier Matrosen hatte weniger Glück. Er suchte neben der jungen Deutschen Deckung und lag dicht an sie gedrängt. Auf einmal ging ein Zucken durch seinen Körper; sein Kopf drehte sich auf die Seite, und ein dünner Blutfaden rann aus seinem Mund. Der Mann hatte seine Kameraden nur um zwei, drei Minuten überlebt.

Irene rechnete damit, daß es ihr jeden Moment genauso ergehen würde wie dem unglücklichen Mann neben ihr. Aber das bereitete ihr kaum Sorgen. Sie dachte mehr an ihre Freunde, Jacob und Martin, und vor allem an den kleinen Jamie. Würde ihr Tod, der ihr sicher erschien, auch sein Todesurteil sein?

Auf einmal tauchte ein Schatten in der Nähe des Ruderbootes auf. Irene wagte es, ihren Kopf ein klein wenig anzuheben. Sie konnte kaum glauben, was sie sah. Die Männer auf dem Floß hatten den Beschuß des Bootes eingestellt und waren ganz damit beschäftigt, mit langen Stangen ihr provisorisches Wasserfahrzeug aus der immer stärker werdenden Strömung an Land zu manövrieren.

Das Halteseil muß gerissen sein, überlegte Irene. Wirklich gerissen? Oder war Martin dafür verantwortlich? Doch wo steckte er jetzt?

Sie hob ihren Kopf noch höher und sah in den Fluß, konnte aber keine Spur von ihrem Freund entdecken. Dafür sah sie etwas anderes, das ihr große Sorge bereitete: Vor ihr wurde die Strömung immer reißender, und ein paar spitze Felsen ragten aus dem Wasser. Das mußten die Stromschnellen sein, von denen Lieutenant Slyde gesprochen hatte.

Als Irene bemerkte, daß ihr Boot genau auf die Felsen in der Flußmitte zugetrieben wurde, griff panischer Schrecken nach ihr. Sie sah ihren weinenden Sohn, der die Gefahr zu spüren schien, und überwand den Schrecken. Sie setzte sich auf und ergriff die Ruder, um das Boot aus der Flußmitte wegzubewegen.

Sie war die Arbeit nicht gewohnt, und anfangs prellte der reißende Fluß ihr die Ruder einfach aus der Hand. Aber allmählich gelang es ihr, das Boot Zoll für Zoll in Richtung des rechten Ufers zu lenken.

Die Felsen wuchsen rasch zu bedrohlicher Größe an, weil die Strömung das Boot in immer schnellerer, wilderer Fahrt mit sich riß. Irene fragte sich, ob ihr schwaches Rudern jetzt überhaupt noch irgend etwas ausrichtete. Aber sie wagte nicht, damit aufzuhören.

Doch bald wurde es vollkommen sinnlos, das Boot in eine bestimmte Richtung steuern zu wollen. Die Strömung spielte mit ihm, ließ es in der Gischt tanzen und warf es hin und her. Der Matrose, der mit dem Oberkörper über die Reling gehangen hatte, fiel ganz über Bord und war innerhalb weniger Sekunden aus Irenes Blickfeld verschwunden.

Sie benutzte die Ruder nur noch, um das Boot von den Klippen wegzustoßen. Das erste Ruder zerbrach an einem der Felsen, dann das zweite. Jetzt waren Mutter und Kind dem wütenden Ohio auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Irene legte sich wieder auf den Boden, um ihren Sohn erneut mit ihrem Körper zu beschützen. Das war alles, was sie noch für ihn tun konnte.

Das untergehende Kanonenboot war längst hinter einer Flußbiegung verschwunden, und nur noch eine Rauchsäule am Horizont erinnerte an das Drama, das sich bei den Bedford-Bänken abspielte.

Das Ruderboot schaukelte von einer Seite auf die andere, schrammte mit dem Rumpf an Felsen entlang und drehte sich um sich selbst. Noch immer hielt es der Urgewalt des Flusses stand. Aber es war so viel Wasser hereingeschwappt, daß Irene ihren Sohn hochnehmen mußte, sonst wäre er ertrunken.

Sie wußte nicht, wieviel Zeit so verging, hatte jedes Gefühl für Sekunden und Minuten verloren. Um sie herum war nur noch tosendes Wasser, der blaue Himmel und hin und wieder Fetzen von Grün, wenn sie einen Blick auf das bewaldete Ufer erhaschte.

Als sie immer mehr von dem Grün sah, bemerkte sie, daß ihr Boot auf das rechte Flußufer zugetrieben wurde. Neue Hoffnung machte sich in ihr breit. Hoffnung, irgendwie mit Jamie an Land zu kommen.

Das Ufer war nur noch fünfzehn Yards entfernt, als der Bootsrumpf mit einem dumpfen Krachen aufgerissen wurde. Ein spitzer Felsen war dem Boot zum Verhängnis geworden.

Irene drückte Jamie fest an sich, als sie mit ihm in den Fluß stürzte. Waren sie nach dem Sturz von der RAVAGER nur aus dem Ohio gezogen worden, um jetzt doch in seinen Fluten zu ertrinken?

*

Während hinter ihnen die brennende RAVAGER immer tiefer in den Fluß sank, schleppte Jacob den verletzten Kommandanten des Kanonenbootes ans Ufer. Gerade wollte er ihn auf das trockene Land sinken lassen, als zwei Männer in blauen Umformen auf sie zutraten und ihre großen Revolver auf sie richteten. Jacob las in ihren Augen, daß sie keine Gefangenen machen wollten. Das Feuer unendlichen Hasses und unbarmherziger Rachsucht brannte darin. Er und Slyde waren ihnen hilflos ausgeliefert, hatten keine Möglichkeit zur Flucht oder Gegenwehr.

Klickend zogen die beiden jungen Uniformierten die Hähne ihrer Waffen zurück, als ein dritter, ebenfalls recht junger Mann in Uniform auf sie zulief und ihnen das Feuern verbot.

»Was soll das, ihr Idioten?« schrie der Neuankömmling. »Seht ihr nicht, daß der eine ein Zivilist und der andere ein Offizier ist?«

Der jüngste der Männer, ein mittelgroßer, breitschultriger Bursche mit stechendem Blick in seinen stahlblauen, auf seltsame Weise zwinkernden Augen wandte sich wütend um. »Na und, was soll's, Frank? Yankee ist Yankee, ob Uniform oder nicht. Jeder Yank, den wir umbringen, ist ein Sieg für den Süden.«

»Aber der Captain hat uns verboten, auf Zivilisten und Offiziere zu schießen!«

Der Junge mit dem stechenden Blick grinste verschlagen. »Kneif einfach die Augen zu, Frank, und tu so, als hättest du nichts gesehen!«

Er hob die Waffe und zielte genau auf Jacobs Stirn.

Da stieß der Hinzugekommene seinen Revolver auf ihn. »Laß das sein, Jesse! Du wirst die Befehle beachten!«

Der Junge starrte ihn ungläubig an. »Du würdest doch nicht wirklich auf deinen Bruder schießen, Frank? Nicht, um zwei dreckige, gottverdammte Yanks vor dem Tod zu bewahren?«

»Probier es nicht aus!«

Der dritte Mann, im Gegensatz zu den beiden anderen von massigem Körperbau und mit einem flammend roten Bart, ließ seinen Revolver sinken und legte eine Hand auf Jesses Schulter. »Laß es gut sein, Jesse. Frank hat recht, wir haben unsere Befehle.«

Zweifelnd blickte Jesse von einem zum anderen.

»Hör auf Cole!« ermahnte ihn Frank.

»Also gut«, knurrte der junge Bursche und entspannte die Waffe. »Aber eines Tages gebe ich die Befehle!«

Der große schlanke Mann, der Jacob und Slyde gerettet hatte - jedenfalls für den Augenblick -, sah die beiden an und machte mit seiner Waffe eine Schwenkbewegung zum Ufer. »Kommt weiter an Land, aber hübsch langsam und vorsichtig. Sonst erlaube ich meinem Bruder doch noch, daß er euch den anderen Yanks hinterherschickt!«