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Mit Bestürzung wurde Jacob bewußt, daß außer ihm und Slyde niemand das furchtbare Massaker überlebt zu haben schien. In Ufernähe trieben die Leichen der Ermordeten im Wasser. Einige der Uniformierten schossen auf sie, wohl um ihres Todes sicher zu sein. Vielleicht aber auch aus Spaß.

Jacob wandte sich von der ekelerregenden Szene ab und griff unter Slydes Schulter, um ihn weiter an Land zu ziehen. Im Schatten eines großen Felsblockes legte er den Marineoffizier nieder. Jacob selbst war am Ende seiner Kräfte, setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an den Felsen und atmete tief durch.

Sein Blick war auf die toten Matrosen gerichtet. Obwohl er sich davor fürchtete, versuchte er, Irene und Martin zwischen den Leichen zu entdecken.

Blaue Uniformen versperrten ihm die Sicht, als weitere Männer zu ihnen traten. Einer von ihnen trug die Schulterstücke eines Captains, war aber bestimmt noch keine dreißig Jahre alt. Er machte äußerlich einen eher schwächlichen Eindruck und hatte die weichen, fast weiblichen Züge einer Frau. Aber alle schienen großen Respekt vor ihm zu empfinden.

»Wen habt ihr da, Frank?« fragte er den großen, eine unpassende Ruhe ausstrahlenden Mann, der Jacob und Slyde vor dem Tod bewahrt hatte.

»Einen Offizier und einen Yankee in Zivil. Jesse und Cole haben sie aus dem Wasser gefischt.«

Mit keiner Silbe erwähnte Frank, was sein Bruder und der andere ursprünglich mit den Gefangenen vorgehabt hatten.

Der Captain sah Jesse und Cole an und nickte leicht. »Gut gemacht. Ihr zwei habt euch schon bei eurem ersten Einsatz bewährt.« Er wandte sich an die Gefangenen und schnarrte: »Ihre Namen?«

»Wer will das wissen?« fragte Slyde schwach. »Sie tragen die Uniform der Union und versenken ein US-Kanonenboot. Wie paßt das zusammen?«

»In einer Schafherde fällt ein Wolf am wenigsten auf, wenn er einen Schafspelz trägt«, antwortete der Captain. »Wenn Sie auf einer förmlichen Vorstellung bestehen, bitte sehr. Ich bin Captain William Clarke Quantrill.«

»Quantrill von den Partisanen?« fragte Slyde ungläubig. »Ich dachte, Sie treiben drüben in Kansas und Missouri Ihr Unwesen.«

»Meine Einheit ist groß. Ich bin nur mit einem Teil meiner Leute hinter Ihre Linien vorgestoßen. Wo immer meine tapferen Reiter auftauchen, sehen die Leute auch mich.« Quantrill lachte heiser. »Mir soll's nur recht sein. Und jetzt beantworten Sie meine Frage!«

»Lieutenant Leonard Slyde«, stellte sich der Offizier vor. »Kommandant der USS RAVAGER - oder was von ihr übrig ist.«

Captain Quantrill sah Jacob an, und er nannte seinen Namen.

»Was war Ihre Funktion an Bord?«

»Ich war nur Passagier.«

Quantrills Stiefel schnellte hoch und traf Jacobs Kinn, ließ seinen Kopf gegen den Felsen hinter ihm krachen. Blut rann aus Jacobs Mund und tropfte auf den Boden.

»Keine Ausflüchte, Mann! Gehören Sie zum Begleitschutz?«

»Was für ein Begleitschutz?« fragte Jacob und wischte sich das Blut vom Kinn.

Kaum war er damit fertig, fing er sich einen neuen Stiefeltritt ein, der ihn zu Boden schleuderte. Danach fühlte sich seine Mundpartie völlig taub an.

»Was für ein Begleitschutz?« echote Quantrill, dessen Geduld sichtlich erschöpft war. »Der Geleitschutz von Lincoln natürlich, Mann!«

»Lincoln?« wiederholte Jacob undeutlich, weil ihm das Sprechen Mühe bereitete.

»Yeah, Bursche. Ich spreche von Abraham Lincoln, eurem Yankee-Präsidenten. Ist er mit dem Schiff untergegangen?«

Jacob sah Quantrill verständnislos an. In Slydes Augen glomm dagegen Verstehen auf, aber er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.

»Ich kenne Präsident Lincoln nicht«, sagte Jacob. »Ich bin erst seit ein paar Wochen in Amerika.«

Bevor Quantrill erneut zutreten konnte, meinte der Mann namens Frank: »Das könnte stimmen, Captain. Der Kerl spricht unsere Sprache so schauderhaft, wie selbst der schlimmste Yankee-Akzent nicht klingen kann. Scheint ein deutscher Akzent zu sein.«

Der Captain wandte sich wieder an Slyde, der die Zähne zusammenbiß, um die fast unerträglichen Schmerzen nicht zu zeigen, die von seinen Beinen aus durch seinen ganzen Körper strömten. »He, Lieutenant, was sagen Sie dazu? Kennen Sie auch keinen Mr. Lincoln?«

»Ich beantworte keine Fragen mehr. Als Kriegsgefangener habe ich das Recht dazu.«

Quantrill spuckte ihm ins Gesicht. »Meine Gefangenen haben keine Rechte!«

Er trat heftig gegen Slydes verletzte Beine. Der Schmerz steigerte sich zu einer riesigen Welle, die den Marineoffizier überrollte und ihm das Bewußtsein raubte.

»Weggetreten«, stellte Frank fest, der neben Slyde in die Knie gegangen war.

»Dann mußt du unsere Fragen beantworten, Adler!« sagte Quantrill und zog beide Revolver, die er auf Jacob richtete.

»Wo steckt Abraham Lincoln?«

*

Die zweispännige, geschlossene Kutsche rumpelte über eine holprige Straße in der Nähe des Ohio, in derselben Richtung, in die auch der breite Strom floß. Der bärtige Kutscher auf dem Bock trieb die Tiere an und achtete gleichzeitig darauf, mit den Rädern die tiefsten Löcher zu umfahren. Was nicht einfach war bei einer Straße, die fast nur aus tiefen Löchern bestand. Neben ihm hockte ein junger Mann, auf dessen Knien schußbereit ein modernes Henry-Repetiergewehr lag.

In der Kutsche saßen vier männliche Passagiere, von denen zwei, die sich gegenübersaßen, in eine angeregte Unterhaltung vertieft waren.

»Ich halte dieses Gehopse über Stock und Stein noch immer für großen Unsinn«, sagte der größere von ihnen, dessen markantes Gesicht von einem dunklen Kinnbart umrahmt wurde. »Wir hätten, wie ursprünglich geplant, mit dem Schiff fahren sollen.«

»Das war zu unsicher«, antwortete sein vollbärtiges Gegenüber, viel kleiner als der andere. »Daß Sie mit dem Schiff nach Cairo unterwegs sind, ist leider durchgesickert, Mr. President.«

Der Präsident der Vereinigten Staaten seufzte tief und fuhr mit der Hand über seinen Bart. »Erklären Sie mir eines, Allan. Wie kann etwas bis zu den Konföderierten durchsickern, von dem kaum in Washington jemand weiß? Meine Zusammenkunft mit General Grant ist streng geheim. Deshalb bin ich ja inkognito unterwegs.«

»Ja, leider«, seufzte Allan Pinkerton und sah besorgt aus dem Fenster, als rechnete er jeden Moment mit einem Überfall. »Mir wäre wohler, wenn wir eine Abteilung Kavallerie als Begleitung hätten.«

»Viel zu auffällig«, winkte Abraham Lincoln ab. »Außerdem finde ich das ständige Hufgetrappel und Säbelgerassel nervtötend. Man kann sich dabei nicht ungestört unterhalten.«

»Aber dann würde eine Unterhaltung vielleicht nicht so leicht gehört werden«, sagte der Gründer der Pinkerton-Detektivagentur und Kopf der US-Spionageabwehr.

Lincoln legte seinen Kopf schief. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Auch wenn Sie nur wenige Leuten in Washington über Ihre Reise unterrichtet haben, ist es vermutlich einem zuviel zu Ohren gekommen. Jemandem, der Ihr Vertrauen zu Unrecht genießt.«

Lincoln sah nachdenklich aus dem Fenster und meinte dann: »Schätze, Sie haben recht, Allan. Und Sie haben durch Ihr Agentennetz erfahren, daß ein Anschlag auf die RAVAGER geplant ist?«

»Es sind nur Gerüchte. Aber Vorsicht ist in solchen Fällen stets geboten. Denken Sie nur an die Sache mit dem Zug vor zwei Jahren, Sir.«

Damals, im Februar 1861, hatten Pinkertons Agenten herausgebracht, daß ein Attentat auf den Zug verübt werden sollte, mit dem Lincoln von Baltimore zu seiner Amtseinführung nach Washington fahren wollte. Auf Pinkertons Rat hatte Lincoln einfach einen früheren Zug genommen und war dadurch dem Anschlag entgangen.