Harry goß kochendes Wasser in eine ganze Batterie mit löslichem Kaffee gefüllter Becher und ging dann mit einer Tüte Milch in der einen und einer Flasche Brandy in der anderen Hand herum, um jedem seiner Gäste etwas zur Verfeinerung anzubieten. Alle außer Ingrid entschieden sich für Brandy, und Harrys Vorstellung von einem ordentlichen Schuß kühlte das Gebräu soweit ab, daß man es ohne weiteres trinken konnte.
Obwohl der Alkohol draußen in der Kälte keine besonders gute Idee gewesen wäre, verscheuchte er hier drinnen fürs erste die schlimmste Kälte aus unseren zitternden Gliedern. Bob Watson nahm seine Kappe ab und sah plötzlich viel jünger aus, ein etwas untersetzter Mann mit drahtigem, braunem Haar und einer Aura von wiederbelebter Unabhängigkeit. Man konnte noch gut erkennen, wie er als Schuljunge ausgesehen haben mußte, mit runden Wangen und einer gehörigen Portion Unverschämtheit, gerade so knapp unter der Oberfläche, daß er sie stets unter Kontrolle und sich selbst aus allem Ärger heraushalten konnte. Er hatte Harry einen Lügner genannt, aber nur so leise, daß dieser ihn nicht gehört hatte. Das sagt so einiges über Bob Watson aus, dachte ich im stillen.
Ingrid, die sich in meinem Skianzug beinahe verlor, schaute aus einem schmalen, hübschen Gesicht in die Welt hinein und schniefte in regelmäßigen Abständen. Sie saß neben ihrem Mann am Tisch, ohne etwas zu sagen und ganz auf ihn fixiert.
Den Rücken an den Ofen gelehnt, hielt Harry seine heiße Kaffeetasse mit beiden Händen fest umklammert und betrachtete mich mit der schelmischen Heiterkeit, die wohl normalerweise sein Wesen bestimmte, wenn er nicht wie aus gegebenem Anlaß unter Streß stand.
«Herzlich willkommen in Berkshire«, sagte er.
«Vielen Dank.«
«Ich wäre ja beim Jeep geblieben und hätte gewartet, bis jemand kommt.«
«Ich hatte schon vermutet, daß jemand auf diese Idee kommen würde«, stimmte ich ihm zu.
Mackie sagte:»Ich hoffe, dem Pferd ist nichts passiert«, als hätte sie sich total in diese Gedankenschleife verstrickt. Außer ihr, so kam es mir vor, scherte sich niemand auch nur im geringsten um den Verursacher unserer Qualen, und ich vermutete außerdem, vielleicht zu Unrecht, daß Mackie so an dem Pferd festhielt, weil sie uns beständig daran erinnern wollte, daß der Unfall nicht ihre Schuld gewesen war.
Allmählich kehrte die Wärme auch in das Innere unserer Körper zurück, und alle sahen so aus, als wären sie inzwischen auf Zimmertemperatur wie Wein. Ingrid streifte die Kapuze meines Skianzuges zurück und enthüllte ihr weiches, haselnußbraunes Haar, das dringend nach einer Bürste verlangte.
Niemand schien groß an einer Unterhaltung interessiert zu sein. Im Gegenteil, die alte Verstimmung von vor dem Unfall schlich sich wieder ein, und so war es geradezu eine Erlösung, als knirschende Reifen, Türenknallen und näherkommende Schritte Perkins Ankunft verkündeten. Er war nicht allein gekommen. Als erster stürmte Tremayne Vickers in die Küche und mischte die matte Truppe, die dort vor ihren Kaffeetassen saß, mit seiner lauten Stimme und seiner dominanten Persönlichkeit auf.
«Da habt ihr euch ja schön in die Scheiße geritten«, polterte er mit nicht ganz unfreundlich gemeintem Spott.»Die Straße war zuviel für dich, was?«
Mackie spulte zur Verteidigung ihre Pferdenummer ab, als hätte sie vorher nur dafür geprobt.
Der Mann, der hinter Tremayne durch die Tür kam, sah wie dessen blasse Blaupause aus: gleiche Größe, gleiche Statur, prinzipiell die gleichen Gesichtszüge, aber nichts von Tremaynes Bulligkeit. Wenn das Perkin war, dachte ich, dann mußte er Tremaynes Sohn sein.
Die Blaupause fuhr Mackie schroff an:»Warum bist du nicht hinten herum gefahren? Hat dir dein Verstand nicht gesagt, daß man unmöglich die Abkürzung nehmen kann?«
«Heute morgen ging es noch einwandfrei«, sagte Mac-kie.
«Außerdem fahre ich immer dort entlang. Aber das Pferd.«
Tremaynes Blick blieb an mir haften.»Sie haben es also geschafft. Sehr schön. Haben Sie sich inzwischen bekannt gemacht? Mein Sohn, Perkin. Mackie, seine Frau.«
Wie mir jetzt erst auffiel, hatte ich vermutet, Mackie sei Tremaynes Ehefrau oder doch zumindest seine Tochter; Schwiegertochter war mir nicht in den Sinn gekommen.
«Weshalb um alles in der Welt tragen Sie einen Smoking?«fragte Tremayne und starrte mich an.
«Wir haben uns im Wassergraben naß gemacht«, antwortete Harry knapp.»Ihr Freund, der Schriftsteller, hat uns mit trockener Kleidung ausgeholfen. Er selbst nahm mit dem Smoking vorlieb. Mir wollte er ihn nicht anvertrauen, ein schlauer Kopf. Was ich hier anhabe, ist sein Bademantel. Ingrid steckt in seinem Skianzug. Fiona gehört ihm von Kopf bis Fuß.«
Tremayne sah leicht verwirrt aus, unternahm jedoch vorläufig keinen Versuch, sich alles näher erklären zu lassen. Statt dessen fragte er Fiona, ob sie sich bei dem Unfall verletzt habe:»Fiona, meine Liebe.«
Fiona, seine Liebe, konnte ihn in dieser Hinsicht beruhigen. Er benahm sich ihr gegenüber mit einem Anflug von Schalkhaftigkeit, die sie auf spielerische Art und Weise parierte. Ich vermutete, daß sie bei jedem Mann das Verlangen weckte, mit ihr zu flirten.
Mit gelinder Verspätung erkundigte sich Perkin bei Mackie nach ihrem Kopf, wobei er nach seiner unwirschen Kritik nun eine äußerst linkische Besorgtheit an den Tag legte. Mackie lächelte ihn müde, aber verständnisvoll an, und ich gewann den Eindruck, daß in dieser Ehe sie diejenige war, die nachzugeben gelernt hatte, die sich um alles kümmerte, die für ihr gutaussehendes Ehemann-Kind die Rolle des Erwachsenen spielte.
«Trotzdem«, sagte er,»war es dumm von dir, dort entlang zu fahren. «Er reagierte immer noch mit Schuldzuweisungen auf ihre Verletzung, doch ich fragte mich, ob diese Überreaktion in Wirklichkeit nicht aus der nackten Angst resultierte; wie bei den Eltern, die ihren verschwunden geglaubten Kindern als erstes eine saftige Ohrfeige verpassen.»Außerdem müßte dort an der Kreuzung ein Schild von der Polizei sein, auf dem steht, daß die Straße gesperrt ist. Sie ist schon seit heute mittag gesperrt, nachdem die beiden Autos aufeinander geknallt sind.«
«Da stand kein Polizeischild«, sagte Mackie.
«Muß aber. Du hast es wohl übersehen.«
«Da war weit und breit kein Polizeischild«, sagte Harry, und wir alle bestätigten seine Aussage.
«Und trotzdem. «Perkin wollte nicht klein beigeben.
«Sieh mal«, sagte Mackie,»wenn ich noch mal zurück könnte und alles neu entscheiden, dann würde ich nicht mehr dort entlang fahren, aber es sah ganz gut aus, ich bin heute früh anstandslos raufgekommen, also habe ich mich so entschieden, und damit Schluß.«
«Das Pferd hingegen haben wir alle gesehen«, räsonierte Harry. Der trockene Humor in seiner Stimme ließ ahnen, was er insgeheim von Perkins Benehmen hielt.
Perkin warf ihm einen verwirrten Blick zu und hackte nicht weiter auf Mackie herum.
«Was geschehen ist, ist geschehen«, sagte Tremayne, als verkünde er damit seine Lebensphilosophie, und fügte hinzu, daß er» mal bei der Polizei durchklingeln «würde, sobald er wieder zu Hause sei, was jetzt auch nicht mehr lange dauern solle.
«Wegen Ihrer Kleider«, sagte Fiona zu mir,»soll ich sie zusammen mit unseren nassen Sachen zur Reinigung geben?«
«Nein, machen Sie sich darüber keine Gedanken«, ent-gegnete ich.»Ich komme morgen vorbei und hole sie ab.«
«In Ordnung. «Sie lächelte sanft.»Ich weiß, daß wir Ihnen zu Dank verpflichtet sind. Glauben Sie nicht, wir wüßten das nicht.«
«Wissen was nicht?«mischte sich Perkin ein.
Harry sagte auf seine Art:»Der Knabe hier hat uns vor der Eisverzapfung gerettet.«