Er redete weiter in den Hörer hinein: selbstsicher, entschlossen. Ich hängte meine Jacke weg, machte Kaffee und noch mehr Toast. Er knallte den Hörer erneut auf die Gabel und ging in die Diele hinaus.
«Dee-Dee«, rief er laut.»Kaffee.«
Dann kam er zurück, setzte sich an den Tisch und winkte mich neben sich. Ich kam seiner Aufforderung nach, und kurz darauf erschien eine braunhaarige Frau, die Jeans und einen riesenhaften grauen Pullover trug, der ihr bis an die Knie reichte.
«Dee-Dee«, sagte Tremayne zwischen zwei Bissen Toast,»das ist John Kendall, mein Schriftsteller. «Für mich fügte er hinzu:»Dee-Dee ist meine Sekretärin.«
Ich wollte mich höflich erheben, doch sie bedeutete mir ohne ein Lächeln, ich solle sitzenbleiben. Mein erster Eindruck von ihr, als sie zum Kochherd ging, um sich einen Kaffee einzuschenken, war der einer Katze: ultra-samtpfotig, mit fließenden Bewegungen und absolut unabhängig.
Tremayne beobachtete, wie ich sie ansah, und lächelte amüsiert.»Sie werden sich an Dee-Dee gewöhnen. Ich wäre ohne sie aufgeschmissen.«
Sie nahm das Kompliment kommentarlos entgegen und setzte sich auf eine Stuhlkante, als sei sie auf dem Sprung und müsse sowieso gleich wieder gehen.
«Rufen Sie einige Leute an und fragen Sie nach, ob jemand ein Pferd vermißt«, trug ihr Tremayne auf.»Falls jemand in Panik gerät, das Pferd ist hier. Unverletzt. Wir haben ihm Futter und Wasser gegeben. Sieht so aus, als hätte es sich die ganze Nacht draußen in den Downs herumgetrieben. Da wird wohl jemand einen ordentlichen Tritt in den Arsch kriegen.«
Dee-Dee nickte.
«Der Jeep liegt südlich von der A 34 im Graben. Mackie ist da gestern abend reingeschlittert. Niemand verletzt. Die Werkstatt soll ihn herausfischen.«
Dee-Dee nickte.
«Unser Freund John wird im Eßzimmer arbeiten. Geben Sie ihm alles, was er braucht. Wenn er etwas wissen will, sagen Sie es ihm.«
Dee-Dee nickte.
«Der Schmied soll nach den beiden Pferden schauen, die heute morgen beim Galopp Eisen verloren haben. Die Burschen haben die Eisen wiedergefunden, wir brauchen keine neuen.«
Dee-Dee nickte.
«Sollte ich nicht hier sein, wenn der Tierarzt kommt, sagen Sie ihm, er soll sich Waterbourne mal ansehen, sobald er das Fohlen geholt hat; ihre linke vordere Fessel ist ziemlich heiß.«
Dee-Dee nickte.
«Fragen Sie beim Lieferdienst noch mal nach, damit sie das Heu rechtzeitig liefern. Wir sind schon knapp dran. Die sollen mit keinen faulen Ausreden kommen.«
Dee-Dee lächelte, was auf eine dreieckige Art ebenfalls sehr katzenhaft aussah, wenn auch nicht gerade wie ein Schmusekätzchen. Ich mußte flüchtig an Krallen denken.
Tremayne aß seinen Toast und erteilte sporadisch weitere Instruktionen, die sich Dee-Dee anscheinend problemlos merken konnte. Als die Redeflut versiegte, erhob sie sich, nahm ihre Tasse und sagte, sie würde ihren Kaffee im Büro zu Ende trinken, während sie weiterarbeitete.
«Absolut zuverlässig«, sagte Tremayne, kaum daß sie draußen war.»Mindestens zehn Trainer wollen sie mir abspenstig machen. «Er senkte die Stimme.»Ein kleiner Scheißkerl von Amateurjockey hat sie wie den letzten Dreck behandelt. Sie ist noch nicht ganz darüber hinweg. Ich nehme darauf Rücksicht. Wenn sie ab und zu weint, dann liegt es daran.«
Sein Mitgefühl erstaunte mich, und ich spürte, daß ich schon früher hätte erkennen müssen, wie viele Schichten von Tremayne unter dem lauten, befehlshaberischen Äußeren verborgen lagen: nicht nur seine Liebe zu den Pferden, nicht nur das Bedürfnis, sein Leben schriftlich festzuhalten, noch nicht einmal seine versteckte Freude an Gareth, sondern noch andere, intimere Seiten, zu denen ich mit der Zeit vielleicht vordringen würde, vielleicht auch nicht.
Die nächste halbe Stunde verbrachte er am Telefon, teils Anrufe entgegennehmend, teils rief er selbst an. Wie ich später herausfand, waren Trainer zu dieser Tageszeit am ehesten zu Hause anzutreffen. Nachdem er seinen Toast gegessen und den Kaffee getrunken hatte, holte er sich eine Zigarette aus einer Packung auf dem Tisch und zog ein Einwegfeuerzeug aus der Hosentasche.
«Rauchen Sie?«Er schob die Schachtel in meine Richtung.
«Hab’s nie angefangen.«
«Ist gut für die Nerven«, meinte er und sog den Rauch tief ein.
«Ich hoffe, Sie sind kein militanter Gegner.«
«Ich mag den Rauch sogar.«
«Gut. «Das schien ihm zu genügen.»Wir werden gut miteinander auskommen.«
Er teilte mir mit, daß er um zehn Uhr, wenn die erste Gruppe mit Heu und Wasser versorgt war und auch die Stallburschen gefrühstückt hatten, mit dem Traktor zurück zur Bahn fahren würde, um sich die zweite Gruppe anzusehen. Ich müßte mich darum nicht kümmern, sondern könnte mich im Eßzimmer so einrichten, wie es mir zum Arbeiten am liebsten sei. Da momentan wegen des Frosts keine Rennen stattfänden, würde er, wenn ich einverstanden wäre, den Nachmittag mit mir verbringen und von seiner Kindheit erzählen. Wenn erst die Rennen wieder losgingen, hätte er nicht mehr soviel Zeit.
«Gute Idee«, stimmte ich zu.
Er nickte.»Dann kommen Sie mit. Ich zeige Ihnen, wo alles ist.«
Wir gingen hinaus in die getäfelte Diele, und er zeigte auf den gegenüberliegenden Eingang.
«Das ist das Familienzimmer, wie Sie bereits wissen. Direkt neben der Küche…«- er öffnete die nächste Tür — »… ist mein Eßzimmer. Wir benutzen es nicht sehr oft. Sie müssen erst mal die Heizung aufdrehen, schätze ich.«
Ich warf einen Blick in das Zimmer, das ich schon bald besser kennenlernen sollte: ein weitläufiger Raum mit Mahagonimöbeln, protzigen karmesinroten Vorhängen, gediegen beige und gold gestreiften Tapeten und einem schlichten dunkelgrünen Teppich. Bestimmt nicht Tremaynes Wahl, dachte ich. Viel zu gut aufeinander abgestimmt.
«Ist doch prima«, sagte ich zuvorkommend.
«Schön. «Er machte die Tür wieder zu und blickte auf die Treppe, die wir gestern zu den Schlafzimmern hinaufgestiegen waren.»Die Treppe haben wir einziehen lassen, nachdem das Haus geteilt wurde. Der Durchgang direkt daneben führt zur Hälfte von Perkin und Mackie. Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen. «Wir gingen einen breiten, mit blaßgrünem Teppich ausgelegten Korridor entlang, in dem links und rechts an den Wänden Bilder von Pferden hingen, und öffneten am anderen Ende eine weißgestrichene Doppeltür.
«Hier entlang kommt man zur Eingangshalle«, sagte er.»Der älteste Teil des Hauses.«
Wir gelangten in einen großen, mit Parkett ausgelegten Raum, von dem aus sich zwei Freitreppen anmutig zu einer Galerie emporschwangen. Unter der Galerie, zwischen den Treppen, befanden sich zwei weitere Türen, die Tremayne ohne große Worte öffnete. Dahinter bot sich unseren Blicken ein Bild aus goldenen und blauen Möbeln im gleichen Stil wie im Eßzimmer.
«Hier haben wir den Großen Salon«, sagte er.»Wir teilen ihn uns. Eigentlich benutzen wir ihn kaum. Beim letzten Mal feierten wir hier diese verdammte Party…«Er unterbrach sich.»Na ja, wie Mackie schon sagte, ich weiß nicht, wann wir wieder einmal hier feiern werden.«
Schade, dachte ich. Das Haus war wie geschaffen für Parties. Tremayne machte die Tür zum Salon wieder zu und zeigte auf die gegenüberliegende Seite der Eingangshalle.
«Das ist der Vordereingang, und die Türflügel dort rechts führen zu Perkins und Mackies Hälfte. Wir haben für sie eine neue Küche einbauen lassen und auch eine neue Treppe. Das Ganze ist gedacht als zwei eigenständige Häuser mit diesem großen Gemeinschaftsteil dazwischen.«
«Es ist toll«, sagte ich, um ihm eine Freude zu machen, doch es gefiel mir wirklich.
Er nickte.»Es ließ sich recht gut aufteilen. Wer braucht heutzutage noch so große Häuser? Viel zuviel Heizkosten. «Es war tatsächlich frisch in der Eingangshalle.»Der größte Teil wurde so um neunzehnhundertsechs gebaut. Edwardianisch. Landsitz der Familie Windberry, falls Sie schon mal was von ihnen gehört haben.«