Ohne weitere Diskussionen tauchte er wieder bei uns auf. Tremayne gab sich weiterhin verstimmt, und ich nippte voll Dankbarkeit an meinem Wein.
Es war warm in Ronnies Büro. Ein weiterer Pluspunkt. Ich zog die Jacke meines Skianzuges aus, hängte sie über eine Stuhllehne und nahm in meinem knallroten Pulli, den ich darunter trug, genügsam wieder Platz. Wie immer wand sich Ronnie beim Anblick meiner farbenfrohen Kleidung gepeinigt, doch ich fühlte mich einfach viel wärmer in roten Sachen, und ich hatte gelernt, die psychologische Wirkung von Farben niemals zu unter schätzen. Diejenigen meiner Freunde von der Reiseagentur, die ständig in NATO-oliv herumliefen, waren im Grunde ihres Herzens Kasernenhengste.
Tremayne, der sich voll und ganz seinen Frustrationen hingab, schien nicht daran interessiert zu sein, ob ich auf sein Angebot angesprungen war.
«Ich habe ihnen angeboten, bei mir zu wohnen«, grum-melte er.»Ein mehr als faires Angebot. Sie meinten alle, daß die Verkaufszahlen die Arbeit nicht aufwiegen würden, jedenfalls nicht für den Preis, den ich zu zahlen bereit bin. Arrogante Schweinebande. «In düstere Gedanken versunken nahm er einen Schluck und verzog das Gesicht wegen des Geschmacks.»Allein mein Name sorgt dafür, daß das Buch verkauft wird, habe ich ihnen gesagt, aber sie besaßen glatt die Frechheit, mir zu widersprechen. Ronnie meint, der Markt dafür ist ziemlich klein. «Er warf meinem Agenten einen finstern Blick zu.»Ronnie behauptet, er kann das Buch ohne einen renommierten Autor bei keinem Verlag unterbringen, vielleicht noch nicht einmal dann. Und ohne feste Zusage von einem Verlag läßt jeder renommierte Autor die Finger davon. Verstehen Sie jetzt, wohin das führt?«
Da er eine Antwort zu erwarten schien, schüttelte ich den Kopf.
«Das führt mich direkt in die Arme der Ego-Verlage. Von wegen Ego! Dämliche Beschuldigung. Ronnie sagt, es gibt Verlage, die jedes Buch, das man ihnen abliefert, drucken und binden. Aber man muß denen dafür Geld zahlen! Außerdem müßte ich jemanden bezahlen, der das Buch schreibt, und obendrein müßte ich das Buch auch noch selbst verkaufen, da ich ja mein eigener Herausgeber bin, und Ronnie sieht keine Chance, daß ich genug verkaufen würde, um die Kosten zu decken. Jetzt frage ich Sie: Warum denn nicht? Warum nicht?«
Wieder schüttelte ich den Kopf. Er schien davon auszugehen, daß ich wußte, wer er war; als wüßte das jeder. Ich hatte keine große Lust, ihm zu erzählen, daß ich noch nie von ihm gehört hatte. Zumindest teilweise klärte er mich auf.»Schließlich habe ich gut an die tausend Gewinner trainiert. Das Grand National, zweimal das ChampionHürdenrennen, den Cheltenham Gold Cup, das Whitbread, alles was Sie wollen. Ich habe ein halbes Jahrhundert Rennsport mitgemacht. Da stecken überall Geschichten drin. Kindheit… Jugend… Erfolg… Mein Leben ist interessant gewesen, verdammt noch mal.«
Für kurze Zeit fehlten ihm die Worte, und ich dachte mir, daß ein jeder sein eigenes Leben interessant findet, Tragödien und was sonst noch alles. Jeder konnte eine Geschichte zum besten geben: der Haken daran war nur, daß es kaum jemand lesen wollte, ganz zu schweigen von denjenigen, die für dieses Privileg auch noch zu zahlen bereit wären.
Beschwichtigend schenkte Ronnie Wein nach, woraufhin er uns mit einem kurzen Abriß über den bedauernswerten Zustand der Buchbranche beglückte, die sich gerade auf einer ihrer periodisch auftretenden Talfahrten befand, was wiederum mit der derzeitigen Hochzinslage zusammenhing, die nachteilige Auswirkungen auf die Hypothekenzahlungen hatte.
«Die Leute, die Schulden haben, sind auch die Leute, die gemeinhin Bücher kaufen«, erklärte er.»Fragen Sie mich nicht, warum. Pro Hypothek gibt es fünf Leute, die ihr Geld bei den Baugesellschaften anlegen, und wenn die Zinsen hochgehen, steigt auch deren Einkommen. Sie können mehr Geld ausgeben, aber allem Anschein nach kaufen sie damit keine Bücher.«
Tremayne und ich waren regelrecht sprachlos nach diesem soziologischen Vortrag, doch Ronnie ging ohne jede Aufmunterung sofort dazu über, uns darzulegen, wie ein Verlag in der heutigen Welt zwar recht gut mit Mischkalkulation, unter keinen Umständen jedoch mit Verlusten leben konnte, und daß es immer schwieriger wurde, ein unbedeutendes Buch unterzubringen.
Ich fühlte mich ihm gegenüber dankbarer denn je, daß er wenigstens ein unbedeutendes Buch hatte unterbringen können. Ich erinnerte mich daran, was die Dame vom Verlag gesagt hatte, als sie mich zum Kennenlernen-Essen eingeladen hatte.
«Ronnie könnte sogar den Teufel um den kleinen Finger wickeln. Er sagt, wir müssen uns um junge Autoren wie Sie kümmern, solange sie die Vierzig noch nicht überschritten haben, sonst haben wir in zehn Jahren keinen einzigen großen Namen mehr im Programm. Momentan weiß niemand, wie Sie in zehn Jahren dastehen werden. Ronnie meint, daß jeder große Fisch einmal klein angefangen hat. Nun gut, wir versprechen Ihnen nicht die Welt, aber wir bieten Ihnen eine reelle Chance.«
Mehr als eine Chance kann man nicht verlangen, dachte ich mir.
Schließlich tauchte Daisy an der Tür auf, um zu verkünden, daß das Essen eingetroffen sei, und wir begaben uns alle in das große Vorzimmer. Der Mitteltisch war von den Büchern befreit worden. Statt dessen warteten auf uns dort mehrere Teller und Messer und zwei riesige Platten mit sehr gesund aussehenden belegten Broten, inklusive Kressedekoration.
Aus den anderen Büros kamen Ronnies Partner hinzu, und mit Daisy und ihrer Schwester waren wir insgesamt sieben Personen. Es gelang mir, eine Unmenge Brote zu vertilgen, ohne daß es — wie ich hoffte — allzusehr auffiel. Rindfleisch, Schinken, Käse, Frühstücksspeck: ein vormals ganz gewöhnlicher Brotbelag, der mittlerweile zum Luxus geworden war. Kostenloses Mittagessen, Frühstück und Abendbrot. Ich wünschte mir, Ronnie würde öfter solche Vorladungen schicken.
Tremayne beklagte sich erneut bei mir über die allgemeine Unfähigkeit der Gattung Sportreporter, wobei er sein Glas in der einen Hand hielt und mit einem Sandwich in der anderen herumfuchtelte, um seine Argumente eindrucksvoll zu unterstützen. Ich nickte in schweigender Zustimmung und kaute vor mich hin, als würde ich ihm aufmerksam zuhören.
Tremayne lieferte nach außen hin eine tolle Vorstellung seines unbezwingbaren Selbstbewußtseins, und doch war da etwas inmitten seiner Unnachgiebigkeit, das ihn auf eigenartige Weise Lügen strafte. Es schien geradeso, als müßte er das Buch unter allen Umständen schreiben lassen, um zu beweisen, daß er wirklich gelebt hatte; als ob Fotos und Urkunden nicht ausreichten.
«Wie alt sind Sie?«fragte er plötzlich, seinen Redefluß mit einem Mal unterbrechend.
Ich hatte gerade den Mund voll.»Zweiunddreißig.«
«Sie sehen jünger aus.«
Ich war mir nicht ganz sicher, ob jetzt ein >um so besser< oder ein >tut mir leid< angebracht war, und so lächelte ich kurz und aß einfach weiter.
«Können Sie eine Biographie schreiben?«Schon wieder ohne Vorwarnung.
«Keine Ahnung. Hab’s nie probiert.«
«Ich würde es glatt selbst tun«, sagte er feindselig,»aber mir fehlt die Zeit dazu.«
Ich nickte verständnisvoll. Wenn es eine Biographie gab, an der ich mir ganz bestimmt nicht die Zähne ausbeißen wollte, dachte ich, dann war es seine. Viel zu kompliziert.
Ronnie erschien an Tremaynes Seite und führte ihn von mir weg. Während ich mein Rindfleisch-ChutneySandwich aufaß und Daisys Problemen mit der vermurksten Software lauschte, beobachtete ich, wie Ronnie auf der anderen Seite des Zimmers Tremaynes Beschwerdeschwall mit besänftigendem Kopfnicken quittierte. Als schließlich nur noch ein paar vertrocknete Kressestengel verloren auf den Platten herumlagen, verabschiedete sich Ronnie mit einem entschlossenen >Auf Wiedersehen< von Tremayne, der jedoch noch immer nicht so recht gehen wollte.
«Im Augenblick kann ich Ihnen nichts Vernünftiges anbieten«, sagte Ronnie, schüttelte eine Hand, die nicht reagierte, und schob Tremayne mit freundschaftlich auf die Schulter gelegter Hand buchstäblich zur Tür hinaus.»Überlassen Sie alles mir. Ich werde sehen, was sich machen läßt. Wir bleiben in Verbindung.«