Endlich machte sich Tremayne, wenn auch ungnädig, davon. Ohne den leisesten Anflug von Erleichterung wandte sich Ronnie mir zu:»Komm doch bitte mit, John. Tut mir schrecklich leid, daß ich dich so lange habe warten lassen. «Er führte mich zurück in sein Büro.
«Tremayne wollte wissen, ob ich schon einmal eine Biographie verfaßt habe«, sagte ich und nahm auf meinem alten Stuhl an der Besucherseite des Schreibtisches Platz.
Ronnie warf mir einen kurzen Blick zu, bevor er sich in seinen eigenen, mit dunkelgrünem Leder gepolsterten Sessel fallen ließ und anfing, sachte hin und her zu schaukeln, als hätte er an einer schwierigen Entscheidung zu kauen. Schließlich hörte er mit dem Schaukeln auf und fragte:»Hat er dir den Job angeboten?«
«Nicht direkt.«
«Wenn ich dir einen Rat geben darf: vergiß die Sache. «Er ließ mir nicht einmal die Zeit, ihm zu versichern, daß ich überhaupt nicht daran dachte, sondern redete einfach weiter:»Gerechterweise muß man ihm lassen, daß er ein guter Pferdetrainer ist, recht bekannt in seiner Branche. Gerechterweise muß auch gesagt werden, daß er ein besserer Mensch ist, als sein heutiger Auftritt vermuten läßt. Es stimmt sogar, daß er ein sehr interessantes Leben geführt hat. Aber das ist nicht genug. Es kommt allein auf die schriftstellerische Verarbeitung an. «Er seufzte schwer.»Er möchte einen großen Namen, wegen des Prestiges, aber du hast ihn ja gehört, er bildet sich ein, jeder x-beliebige könne schreiben. Er sieht tatsächlich keinen Unterschied.«
«Kannst du ihm jemanden besorgen?«fragte ich.
«Nicht zu seinen Bedingungen. «Ronnie dachte kurz nach.
«Ich denke, ich kann es dir sagen«, meinte er dann,»da Tremayne dich sowieso schon angesprochen hat. Er sucht nach einem Autor, der mindestens einen Monat lang bei ihm zu Hause wohnt, sämtliche Zeitungsausschnitte und Dokumente durchsieht und ihn in aller Ausführlichkeit interviewt. Dafür bekommt er keinen Starautor, die haben alle selbst ein Privatleben. Und: er will siebzig Prozent des Autorenhonorars. Der wird zwar sowieso nicht sehr hoch ausfallen, doch kein Topautor läßt sich auf dreißig Prozent ein.«
«Dreißig Prozent… den Vorschuß inbegriffen?«
«Genau. Wobei der Vorschuß nicht höher ist als der, den du jetzt bekommen hast, falls ich überhaupt einen herausschlage.«
«Der reinste Hungerlohn.«
Ronnie lächelte.»Vergleichsweise wenig Leute leben von ihrer Schriftstellerei. Ich dachte, das wäre dir bekannt. Wie auch immer«, er beugte sich nach vorne, wischte damit das Thema Tremayne vom Tisch und sagte dann etwas aufmunternder,»wegen dieser amerikanischen Lizenzen.«
Allem Anschein nach hatte ein Literaturagent aus New York, ein flüchtiger Geschäftspartner von Ronnie, routinemäßig bei meinem Verleger angefragt, ob er nicht ein paar interessante Eisen im Feuer hätte. Der wiederum hatte ihn auf Ronnie zugeklemmt und mich zu einem kleinen, aber wohlbekannten Verlagshaus aufgemacht (dessen Adresse ich dem Telefonbuch entnommen hatte), dort mein Buch einem hübschen Mädchen überreicht, das mir versicherte, sie würde es gleich auf den Müllhaufen pak-ken und sich zu gegebener Zeit damit befassen.
Der Müllhaufen, klärte sie mich mit süßem Grübchenlächeln auf, war der Stapel unaufgefordert eingegangener Manuskripte, die tagaus tagein mit der Post bei ihr eintrudelten. Sie würde mein Buch auf dem Weg zur Arbeit lesen. Ihre Beurteilung könne ich mir in etwa drei Wochen abholen.
Drei Wochen später teilte sie mir mit — die Grübchen saßen noch immer an der gleichen Stelle — , daß mein Buch leider nicht so >ihr Ding< sei, womit sie wohl hauptsächlich >ernsthafte Literatur verstanden haben wollte. Sie schlug vor, es einem Literaturagenten vorzulegen, der viel besser wüßte, wo man es unterbringen konnte. Sie gab mir eine Liste mit Namen und Adressen mit auf den Weg.
«Versuchen Sie es bei einem von denen«, sagte sie.»Mir persönlich hat Ihr Buch sehr gefallen. Viel Glück.«
Ich probierte es bei Ronnie Curzon aus dem einfachen Grund, weil ich wußte, wo sein Büro war. Die Kensington High Street lag direkt auf meinem Heimweg. Meine Eingebungen hatten mich in meinem Leben sowohl gut als auch schlecht beraten, und doch hörte ich immer dann auf sie, wenn sie sich sehr stark bemerkbar machten. Ronnie hatte sich als guter Tip erwiesen. Sich für die Armut zu entscheiden, war so lala. Auf Tremaynes Angebot einzugehen, die Hölle.
Kapitel 2
Als ich von Ronnies Büro nach Chiswick zurück-schlenderte, hatte ich nicht die geringste Absicht, Tremayne Vickers jemals wieder zu begegnen. Ich vergaß ihn einfach. Ich dachte vielmehr an mein Buch, an dem ich gerade arbeitete. Insbesondere daran, wie ich eine der Figuren aus einem mit Helium gefüllten Versuchsballon, der sich losgerissen hatte und dessen Luftdüsen nicht funktionierten, wieder herunter auf die Erde bringen sollte. Ich hatte da so meine Zweifel. Vielleicht sollte ich die ganze Angelegenheit noch einmal überdenken. Vielleicht sollte ich alles in den Mülleimer werfen und noch einmal von vorn anfangen. Die Person in dem Ballon machte sich vor Angst in die Hose. Ich wußte recht gut, wie sie sich fühlte. Was ich beim Schreiben ganz unerwartet kennengelernt hatte, war vor allem die Angst, alles falsch zu machen.
Das Buch, das der Verlag angenommen hatte, hieß Zuhause ist weit und handelte vom Überleben im allgemeinen und ganz speziell vom sowohl körperlichen als auch geistigen Überlebenskampf einer Gruppe von Menschen, die durch ein Unglück von der Umwelt abgeschnitten wurden. Nicht gerade sehr originell, doch ich hatte einen guten Rat befolgt, nur über das zu schreiben, von dem man etwas versteht, und beim Überleben kannte ich mich nun mal am besten aus.
Um nun auch die kommenden acht oder zehn Tage zu überleben, machte ich bei einem Supermarkt in der Nähe des Hauses der Tante meines Freundes halt und deckte mich aus meinem spärlichen Essensbudget mit zu diesem Zweck tauglichen Vorräten ein: ein Armvoll Päckchensuppen, ein Laib Brot, eine Packung Spaghetti, eine Pak-kung Haferflocken, ein halber Liter Milch, ein Kopf Blumenkohl und ein paar Karotten. Das Gemüse knabberte ich normalerweise roh; ansonsten ließ ich mir Suppe mit eingebrocktem Brot schmecken, oder Suppe mit Spaghetti, oder Haferflocken mit Milch. Gelegentlich wurde die Auswahl durch Tee, Brotaufstrich und Salz abgerundet. In Ausnahmefällen, wenn ich nicht mehr widerstehen konnte, gab es zusätzlich Teekuchen mit Butter. Außerdem leistete ich mir einmal pro Monat ein Röllchen Vitamintabletten, um mich mit all dem Kram vollzustopfen, der bei meiner Diät eventuell zu kurz kam. Auch wenn es sehr langweilig klingt; abgesehen von dem permanenten Hungergefühl erfreute ich mich alles in allem bester Gesundheit. Ich öffnete die Vordertür mit dem Schlüssel und traf im Flur auf die Tante meines Freundes.
«Hallo, mein Lieber«, sagte sie.»Alles in Ordnung?«
Ich erzählte ihr, daß Ronnie mein Buch nach Amerika schicken wolle, worauf ihr schmales Gesichtchen vor echter Freude erstrahlte. Sie war so um die Fünfzig, geschieden, Großmutter, blond, sehr liebenswürdig, unaufdringlich und langweilig. Ich hatte bald bemerkt, daß sie die Miete, die ich ihr zahlte (ein Fünftel dessen, was ich für meine frühere Wohnung hatte hinblättern müssen), eher als Bestechungsgeld dafür ansah, daß sie einen Fremden in ihr Haus ließ, denn als fixen Bestandteil ihrer Einkünfte. Abgesehen davon hatte sie mir erlaubt, meine Milch in ihren Kühlschrank zu stellen, mein Geschirr in ihrer Spüle zu waschen, in ihrem Bad zu duschen und einmal pro Woche ihre Waschmaschine plus Trockner zu benutzen. Ich meinerseits durfte keinen Krach machen und keinen Be-such einladen. Wir hatten diese Details in aller Freundschaft miteinander abgesprochen. Sie hatte für mich ein elektrisches Heizgerät mit Münzbetrieb installieren lassen und stellte des weiteren einen Toaster, einen Wasserkessel, einen winzigen Plattenkocher und neue Steckdosen für Fernseher und Rasierapparat zur Verfügung.