«Willst du nicht lieber als Handwerker arbeiten?«»Wie lange dauert der Auftrag?«
«Tu’s nicht.«
«Sag ihm, daß ich sehr wohl brillant bin und jederzeit anfangen kann.«
«Du bist verrückt.«
«Ich kann was über Pferderennen dazulernen. Warum nicht? Könnte ich vielleicht in einem Buch verwenden. Reiten kann ich auch. Sag ihm das.«
«Eines Tages wirst du das Opfer deiner eigenen Eingebungen.«
Ich hätte auf ihn hören sollen, aber ich tat es nicht.
Ich habe nie genau herausgefunden, was Ronnie Tremayne erzählte, aber als ich gegen Mittag noch einmal anrief, verkündete er den düsteren Triumph.
«Tremayne ist damit einverstanden, daß du sein Buch schreibst. Du hast ihm gestern anscheinend ganz gut gefallen.«
Ich spürte seinen Pessimismus durch den Draht vibrieren.»Er garantiert dir eine feste Summe als Honorar. «Ronnie nannte einen Betrag, der mich bis über den Sommer retten würde.
«Gezahlt wird in drei Raten — ein Viertel nach dem ersten Arbeitsmonat, ein Viertel, wenn er das Manuskript komplett in Händen hält und die zweite Hälfte bei der Veröffentlichung.
Wenn ich einen regulären Verleger finde, wird der dich bezahlen, wenn nicht, zahlt Tremayne. Außerdem hat er sich damit einverstanden erklärt, daß du vierzig anstelle der dreißig Prozent an allen Rechten erhältst. In der Zeit, in der du sein Leben recherchierst, kommt er auch für sämtliche anfallenden Spesen auf. Das bedeutet, er zahlt die Fahrtkosten, wenn du jemanden interviewen willst, der ihn kennt. Das ist eine recht gute Abmachung. Er findet es eigenartig, daß du kein Auto hast, aber ich habe ihm erklärt, daß viele Leute, die in London leben, nicht Auto fahren. Er meinte, du kannst eins von seinen nehmen. Er war sehr erfreut darüber, daß du reiten kannst. Du solltest Reitkleidung mitbringen und einen Smoking, weil er bei irgendeinem Abendessen als Ehrengast erscheinen wird; da mußt du dabei sein. Ich habe ihm auch gesagt, du seist ein hervorragender Fotograf. Deshalb möchte er, daß du eine Kamera mitbringst.«
Ronnies unverhüllte und deutlich hörbare Ablehnung des Projekts hätte mich fast noch zu jenem Zeitpunkt dazu gebracht, die Sache abzublasen — wenn mir Tantchen nicht kurz zuvor drei Uhr als allerletzten Auszugstermin mitgeteilt hätte.
«Wann erwartet mich Tremayne?«fragte ich Ronnie.
«Nachdem ihn die Spitzenleute haben abblitzen lassen, scheint er jetzt geradezu freudig bewegt zu sein, daß sich überhaupt jemand bereit erklärt hat. Er sagt, er freue sich auf deine baldige Ankunft, ganz egal wann. Du kannst sogar heute kommen, sagte er. Willst du gleich heute los?«
«Ja.«
«Er wohnt in einem Dorf namens Shellerton, in Berkshire. Wenn du telefonisch mitteilst, wann dein Zug ankommt, holt dich jemand am Bahnhof von Reading ab. Hier ist die Nummer.«
Er las sie mir vor.
«Prima«, sagte ich.»Und heißen Dank, Ronnie.«
«Bedank dich nicht bei mir. Schreib… schreib einfach ein oder zwei brillante Kapitel, dann versuche ich das Buch auf dieser Basis unterzukriegen. Aber du mußt weiter Belletristik schreiben. Das ist deine Zukunft.«»Meinst du das wirklich?«
«Selbstverständlich meine ich das. «Er schien sich über meine Frage zu wundern.»Für einen, der sich nicht im Dschungel fürchtet, legst du einen seltsamen Mangel an Selbstvertrauen an den Tag.«
«Im Dschungel weiß ich immer, wo ich bin.«
«Verpaß deinen Zug nicht«, sagte er und wünschte mir viel Glück.
Statt dessen nahm ich den Bus, was bedeutend billiger war, und wurde vor dem Busdepot in Reading von einer schlotternden jungen Frau in einem gefütterten Mantel erwartet, die mich sichtlich von den Stiefeln über die einsachtzig Skianzug bis hinauf zu den dunklen Haaren musterte und dann zu dem Schluß kam, daß ich der — wie sie es ausdrückte — Schreiber sein mußte.
«Sind Sie der Schreiber?«Sie machte einen sehr bestimmten Eindruck, gewohnt, Befehle auszuteilen, aber nicht unfreundlich.
«John Kendall«, sagte ich nickend.
«Ich bin Mackie Vickers. Schreibt sich M-a-c-k-i-e«, buchstabierte sie.»Nicht Maggie. Ihr Bus hat Verspätung.«
«Die Straßen sind sehr schlecht«, sagte ich entschuldigend.
«Auf dem Land sind sie noch schlechter. «Es war dunkel und extrem kalt. Sie führte mich zu einem bulligen, jeepähnlichen Fahrzeug, das nicht weit entfernt geparkt stand, und öffnete die hintere Tür.»Stellen Sie Ihre Tüten hier rein. Sie können sich unterwegs mit allen bekannt machen.«
Im Wagen befanden sich augenscheinlich noch vier andere frierende Leute, die froh zu sein schienen, daß ich endlich aufgekreuzt war. Ich verstaute meine Siebensachen und setzte mich zwischen zwei nur undeutlich zu erkennende Gestalten, die sofort zusammenrutschten, um mir Platz zu machen. Mackie Vickers klemmte sich hinter das Steuer, ließ den Wagen an, löste die Handbremse und reihte sich in den Verkehrsfluß ein. Von der Heizung her machte sich ein willkommener Schwall heißer Luft breit.
«Der Schreiber sagt, er heiße John Kendall«, sagte Mac-kie einfach so ins Blaue hinein.
Die Reaktion auf diese Ankündigung hielt sich in Grenzen.
«Sie sitzen neben Tremaynes Futtermeister«, fuhr sie munter fort,»neben ihm sitzt seine Frau.«
Der Schatten neben mir sagte:»Bob Watson. «Seine Frau sagte nichts.
«Hier vorne, neben mir«, fuhr Mackie fort,»das sind Fiona und Harry Goodhaven.«
Weder Fiona noch Harry sagten etwas. Die Atmosphäre in der Gruppe war derart aufgeladen, daß der geringste Ansatz meinerseits, die Konversation zu beleben, im Keim erstickt wurde; und das hatte kaum etwas mit der Temperatur zu tun. Es war so, als würde selbst die Atemluft grollen.
Mackie fuhr schweigend einige Minuten weiter, wobei sie sich im gelblichen Licht der Scheinwerfer auf die von Schneematsch gesäumte Fahrbahn konzentrierte, die in westlicher Richtung aus Reading hinausführte. Der dichte Feierabendverkehr bewegte sich nur langsam voran, kroch mit aufflackernden Bremsleuchten dahin, eine Prozession der Verwünschungen.
Plötzlich drehte Mackie den Kopf über die Schulter zu mir nach hinten und sagte:»Wir sind keine guten Gesellschafter. Wir haben den ganzen Tag im Gericht zugebracht. Die Laune ist auf dem Nullpunkt. Sie müssen sich einfach damit zufriedengeben.«
«Kein Problem«, antwortete ich.
Als wollte sie die Spannung abbauen, sagte Fiona laut:»Ich kann immer noch nicht glauben, daß du so blöd warst.«
«Jetzt hör schon auf damit«, sagte Harry. Er hatte das anscheinend schon einmal gehört.
«Aber du weißt verdammt genau, daß Lewis betrunken war.«
«Das ist keine Entschuldigung.«
«Aber eine Erklärung. Du weißt genau, daß er betrunken war.«
«Alle behaupten, daß er betrunken war«, sagte Harry, der dabei sehr vernünftig klang,»aber ich weiß es nicht, oder? Ich habe nicht gesehen, daß er zuviel getrunken hat.«
Bob Watson neben mir sagte mit flüsternder Stimme:»Lügner«, doch Harry hörte es nicht.
«Nolan kommt ins Gefängnis«, sagte Fiona bitter.»Ist dir das klar? Ins Gefängnis. Bloß wegen dir.«
«Das weißt du doch noch nicht«, beschwerte sich Harry.
«Die Geschworenen haben ihn noch nicht für schuldig erklärt.«
«Das werden sie aber tun, oder nicht? Und du bist daran schuld. Verdammt noch mal, du hast unter Eid ausgesagt. Du hättest nur zu sagen brauchen, daß Lewis betrunken war. Jetzt glauben die Geschworenen, er war nicht betrunken und müsse sich deswegen an alles erinnern können. Die glauben doch, er lügt, wenn er sagt, er erinnere sich nicht. Herrgott noch mal, Nolans gesamte Verteidigung war darauf gebaut, daß Lewis sich an nichts erinnern kann. Wie kann man nur so blöd sein?«