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Petrus sah zum Kreuz hinauf. Ich dachte, er sähe den Engel.

Doch dem war nicht so. Er begann sogleich mit mir zu reden.

«Als Gottes Sohn auf die Erde kam, brachte Er die Liebe. Aber da die Menschen Liebe immer mit Leiden und Opfer gleichsetzen, haben sie Ihn am Ende gekreuzigt. Wäre es nicht so, würde niemand an Seine Liebe glauben, denn alle sind gewohnt, täglich an ihren Leidenschaften zu leiden.«

Wir setzten uns auf den Bordstein und blickten weiter auf die Kirche. Wieder einmal war es Petrus, der das Schweigen brach.»Weißt du, was Barabbas heißt, Paulo? Bar heißt Sohn, und Abba heißt Vater.«

Er starrte auf das Kreuz auf dem Glockenturm. Dabei leuchteten seine Augen, und ich spürte, daß er von etwas erfüllt war, vielleicht von dieser Liebe, über die er so viel sprach, doch ich verstand ihn nicht recht.

«Wie weise ist doch der Ratschluß Gottes!«sagte er, und seine Stimme schallte über den Platz.»Als Pilatus das Volk bat zu wählen, ließ er ihm im Grunde keine Wahl. Er zeigte einen gepeinigten, zerstörten Mann und einen anderen, der das Haupt erhoben trug, Barabbas, den Revolutionär. Gott wußte, daß, damit Er Seine Liebe beweisen konnte, das Volk den Schwächeren in den Tod schicken würde.«

Und er schloß:

«Und dennoch, wen immer das Volk auch wählen würde, immer würde der Sohn des Vaters am Ende gekreuzigt werden.«

Der Bote

Und hier vereinigen sich alle Jakobswege zu einem einzigen.«

Es war noch früh am Morgen, als wir in Puente la Reina ankamen. Der Satz stand auf dem Sockel der Statue eines Pilgers in mittelalterlichem Gewand, mit einem Dreispitz, einem Umhang, den Kammuscheln, dem Stab und der Kalebasse in der Hand, und er erinnerte die Vorübergehenden an die Tradition eines Weges, die Petrus und ich wieder aufleben ließen.

Wir hatten die vorangegangene Nacht in einem der vielen Kloster verbracht, die entlang des Weges liegen. Der Bruder Pförtner hatte uns gleich zum Empfang darauf aufmerksam gemacht, daß innerhalb der Mauern dieser Abtei kein Wort gesprochen werden durfte. Ein junger Mönch führte jeden in seine Zelle, in der es nur das Notwendigste gab: ein hartes Bett, alte, aber saubere Bettücher, einen Wasserkrug und eine Schüssel für die persönliche Hygiene. Es gab kein fließendes Wasser, schon gar kein heißes, und die Essenszeiten waren innen an der Tür angeschlagen.

Zur angegebenen Stunde stiegen wir hinunter zum Refektorium. Wegen des Schweigegelübdes verständigten sich die Mönche nur mit Blicken, und ich hatte das Gefühl, daß ihre Augen strahlender waren als die gewöhnlicher Menschen. Das Abendessen wurde früh an langen Tischen serviert, an denen wir mit den Mönchen in ihren braunen Kutten saßen. Von seinem Platz aus machte mir Petrus ein Zeichen, das ich sehr wohl verstand: Er konnte es kaum erwarten, sich eine Zigarette anzuzünden, doch es sah so aus, als sollte er die ganze Nacht seinen Wunsch nicht befriedigen können. Mir ging es genauso, und ich grub den Fingernagel in die Nagelwurzel des Daumens, fast bis ins Fleisch. Der Augenblick war zu schön, um irgendwelche schmerzlichen Gefühle bei mir zuzulassen.

Das Abendessen wurde aufgetragen: Gemüsesuppe, Brot, Fisch und Wein. Alle beteten, und wir stimmten in ihr Gebet ein.

Während wir aßen, las der Bruder Vorleser mit monotoner Stimme Passagen aus dem I. Korintherbrief des heiligen Paulus.

«Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er zuschanden mache, was stark ist«, sprach der Mönch mit leiser, gleichförmiger Stimme.

«Wir sind Narren um Christi willen. Wir sind stets wie ein Fluch der Welt und ein Fegopfer aller Leute. Aber das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft.«

Paulus' Mahnungen an die Korinther hallten während der ganzen Mahlzeit an den nackten Wänden des Refektoriums wider.

Als wir in Puente la Reina anlangten, sprachen wir gerade über die Mönche der vergangenen Nacht. Ich gestand Petrus, daß ich heimlich, halbtot vor Angst, jemand könnte den Zigarettenrauch riechen, in meiner Zelle geraucht habe. Er lachte, und mir war klar, daß er das gleiche getan hatte.

«Johannes der Täufer ging in die Wüste, doch Jesus schloß sich den Sündern an und reiste sein ganzes Leben lang«, sagte er.»Mir ist das lieber. In der Tat hatte Jesus, die Zeit in der Wüste einmal ausgenommen, sein ganzes Leben unter Menschen verbracht. Zudem bestand sein erstes Wunder nicht darin, die Seele eines Menschen zu retten oder eine Krankheit zu heilen oder einen Dämon auszutreiben. Es bestand darin, bei einer Hochzeit, weil dem Hausherrn der Wein ausgegangen war, Wasser in einen ausgezeichneten Wein zu verwandeln.«

Kaum hatte er dies gesagt, da blieb Petrus so plötzlich stehen, daß ich ebenfalls erschreckt innehielt. Wir standen an der Brücke, die der kleinen Stadt ihren Namen gab. Petrus schaute jedoch nicht auf den Weg, sondern auf zwei Jungen, die am Ufer des Flusses mit einem Ball spielten. Sie mochten acht oder neun Jahre alt sein und schienen uns nicht bemerkt zu haben.

Anstatt über die Brücke zu gehen, stieg Petrus den Abhang zu den Jungen hinunter, und ich folgte ihm wie immer, ohne eine Frage zu stellen. Die Jungen hatten uns noch immer nicht bemerkt. Petrus setzte sich und schaute ihrem Spiel zu, bis der Ball ganz in seiner Nähe landete. Mit einer schnellen Bewegung nahm er den Ball und warf ihn mir zu. Ich hielt den Ball in der Luft und wartete auf das, was geschehen würde. Der ältere der beiden Jungen näherte sich mir. Meine erste Regung war, ihm dem Ball zurückzugeben, doch Petrus' Verhalten war so ungewöhnlich gewesen, daß ich beschloß abzuwarten, was nun geschehen würde.

«Geben Sie mir den Ball«, sagte der Junge.

Ich blickte auf die kleine Gestalt, die zwei Meter von mir entfernt stand. Irgend etwas kam mir an dem Jungen bekannt vor, so wie damals an dem Zigeuner.

Der Junge ließ nicht locker, doch als er merkte, daß ich ihm keine Antwort gab, bückte er sich und nahm einen Stein.

«Geben Sie mir den Ball, oder ich werfe diesen Stein«, sagte er.

Petrus und der Junge beobachteten mich schweigend. Die Aggressivität des Jungen ärgerte mich.

«Nun wirf ihn schon«, antwortete ich.»Wenn er mich trifft, kriegst du eine gelangt.«

Ich spürte, wie Petrus erleichtert aufatmete. Irgend etwas drängte aus den tiefsten Tiefen meines Geistes ins Bewußtsein.

Mir war so, als hätte ich diese Szene schon einmal erlebt.

Der Junge erschrak über meine Antwort, ließ den Stein fallen und versuchte es auf anderem Weg.

«Hier in Puente la Reina gibt es einen Reliquienschrein, der einem steinreichen Pilger gehört hat. An der Muschel sehe ich, daß Sie beide auch Pilger sind. Wenn Sie mir den Ball wiedergeben, gebe ich Ihnen den Reliquienschrein. Er ist hier am Ufer des Flusses im Sand versteckt.«

«Ich will den Ball haben«, sagte ich. Aber ganz überzeugt war ich nicht, denn im Grunde wollte ich durchaus den Reliquienschrein haben. Der Junge schien die Wahrheit zu sagen. Doch vielleicht brauchte Petrus den Ball für irgend etwas, und ich konnte ihn unmöglich enttäuschen. Schließlich war er mein Führer.

«Sie brauchen diesen Ball nicht«, sagte der Junge, fast mit Tränen in den Augen.»Sie sind stark und weitgereist. Sie kennen die Welt. Ich kenne nur das Ufer dieses Flusses, und mein einziges Spielzeug ist dieser Ball. Geben Sie mir bitte diesen Ball zurück.«

Die Worte des Jungen gingen mir ans Herz. Doch diese merkwürdige Vertrautheit, dieses Gefühl, alles schon einmal erlebt zu haben, ließ mich ein weiteres Mal widerstehen.

«Nein. Ich brauche den Ball. Ich werde dir Geld geben, damit du dir einen neuen, schöneren als den hier kaufen kannst. Aber dieser Ball gehört mir.«