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Die fünfzehn Minuten dieses Exerzitiums vergingen wie im Fluge.

«Mit der Zeit wirst du sehen, daß dieses Exerzitium dir helfen wird, die richtige Entscheidung zu treffen«, sagte Petrus, ohne mich zu fragen, was ich denn gehört hatte.»Agape spricht aus der blauen Kugel, doch sie spricht auch aus allen deinen Sinnen und deinem Herzen. In spätestens einer Woche wirst du anfangen, Stimmen zu hören. Zuerst werden es schüchterne Stimmen sein, doch allmählich werden sie beginnen, dir wichtige Dinge zu sagen. Gib acht auf deinen Boten, er wird versuchen, dich durcheinanderzubringen. Doch du kennst seine Stimme, er wird keine Bedrohung sein.«

Petrus fragte mich, ob ich das fröhliche Rufen eines Feindes, die Einladung einer Frau oder das Geheimnis meines Schwertes gehört habe. DAS EXERZITIUM DES HÖRENS

Entspanne dich und schließe die Augen. Versuche, dich einige Minuten lang auf alle Geräusche zu konzentrieren, die dich umgeben, als würdest du den Instrumenten eines Orchesters lauschen.

Unterscheide ganz allmählich jedes einzelne Geräusch.

Konzentriere dich auf eines, als würdest du versuchen, aus einem Orchester ein einzelnes Instrument herauszuhören.

Wenn du diese Übung täglich machst, wirst du Stimmen hören.

Anfangs wirst du glauben, sie seien Ausgeburten deiner Phantasie. Doch später wirst du herausfinden, daß es Stimmen von Menschen aus der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft sind, die am Gedächtnis der Zeit teilhaben.

Diese Übung sollte nur gemacht werden, wenn du die Stimme deines Boten kennst.

Mindestdauer: zehn Minuten. »Ich habe nur eine Frauenstimme in der Ferne gehört«, sagte ich.»Doch es war eine Bauersfrau, die ihren Sohn rief.«

«Dann sieh auf dieses Kreuz hier vor dir und richte es in Gedanken auf.«

Ich fragte ihn, was nun das wieder für eine Übung sei.

«Vertrauen in deine Gedanken haben«, antwortete er.

Ich setzte mich im Lotussitz auf den Boden. Nach allem, was ich bislang geschafft hatte — den Hund besiegen, den Wasserfall hinaufklettern — , würde ich dies bestimmt auch schaffen, dachte ich zuversichtlich. Ich blickte unverwandt auf das Kreuz. Stellte mir vor, daß ich aus meinem Körper heraustrat, es mit meinen Armen packte und mit meinem Astralleib aufrichtete. Schließlich hatte ich auf dem Weg der >Tradition< schon einige dieser kleinen > Wunder< vollbracht. Ich konnte Gläser, Porzellanstatuen zerspringen lassen, Gegenstände auf dem Tisch bewegen. Das war ein einfacher magischer Trick, der zwar keine wirkliche Macht bedeutete, aber >Ungläubige< immer überzeugt. Allerdings hatte ich es bisher noch nie mit einem so großen und schweren Gegenstand wie diesem Kreuz versucht. Doch wenn Petrus es befahl, würde ich es schon schaffen.

Eine halbe Stunde lang versuchte ich es auf alle möglichen Arten. Ich wandte die Astralreise und die Suggestion an. Ich wiederholte die Formeln, die mein Meister zur Aufhebung der Schwerkraft gesprochen hatte. Nichts geschah. Ich war vollkommen konzentriert. Das Kreuz rührte sich nicht. Ich rief Astrain, der auch erschien, aber das Kreuz rührte sich nicht.

Doch als ic h ihm vom Kreuz erzählte, sagte er, daß er diesen Gegenstand nicht ausstehen könne.

Petrus schüttelte mich schließlich und holte mich aus der Trance zurück.

«Nun reicht's aber«, sagte er.»Wenn du es mit Gedanken nicht schaffst, dann richte dieses Kreuz eben mit deinen Händen auf.«

«Mit den Händen?«»Gehorche!«

Völlig verdattert stand ich vor dem Mann, der vor kurzem noch gütig meine Wunden gepflegt hatte und der mich nun so streng anherrschte.

«Gehorche!«wiederholte er.»Das ist ein Befehl!«

Meine Arme und Hände steckten noch in Verbänden, Obwohl ich das Exerzitium des Hörens gemacht hatte, weigerten sich meine Ohren zu glauben, was ich da vernahm. Wortlos zeigte ich ihm die Verbände. Doch er blickte mich weiterhin kalt und ausdruckslos an. Er erwartete wahrhaftig, daß ich ihm gehorchte. Das war nicht mehr der Führer und Freund, der mich die ganze Zeit begleitet hatte, der mich die Praktiken der R.A.M.

gelehrt und mir die schönen Legenden vom Jakobsweg erzählt hatte. An seiner Stelle sah ich nur einen Mann, der mich wie seinen Sklaven behandelte und Unsinniges von mir verlangte.

«Worauf wartest du noch?«herrschte er mich an.

Ich dachte an den Wasserfall, erinnerte mich daran, wie ich an jenem Tage an Petrus gezweifelt hatte und er großzügig zu mir gewesen war. Er hatte mir seine Liebe gezeigt und damit verhindert, daß ich das Schwert aufgab. Ich konnte einfach nicht verstehen, wieso jemand so Großzügiger plötzlich so grob sein konnte.

«Petrus, ich…«

«Entweder du gehorchst, oder der Jakobsweg ist hier zu Ende.«

Die Angst kehrte zurück. In diesem Augenblick hatte ich mehr Angst vor Petrus als vor dem Wasserfall oder dem Hund. Ich bat verzweifelt die Natur um irgendein Zeichen, das mir zeigen oder sagen würde, was diesen sinnlosen Befehl rechtfertigte.

Stille. Entweder gehorchte ich Petrus, oder ich mußte mein Schwert vergessen. Ich hob noch einmal meine verbundenen Arme, doch er setzte sich auf den Boden und wartete darauf, daß ich seinen Befehl ausführte.

Da beschloß ich zu gehorchen. Ich ging zum Kreuz und versuchte, es mit dem Fuß zu bewegen, um sein Gewicht abzuschätzen. Es rührte sich kaum.

Selbst mit gesunden Händen hätte ich es kaum anzuheben vermocht, doch mit meinen Verbänden konnte ich es vergessen. Doch ich würde gehorchen. Ich würde Blut schwitzen wie Christus damals, als er das gleiche Gewicht schleppte, und vielleicht würde das ja Petrus' Herz rühren, und er würde mich von dieser Prüfung befreien.

Das Kreuz war an seinem Fuß abgebrochen, doch einige Fasern hielten es noch. Ich besaß kein Taschenmesser, um diese Fasern zu trennen. Ich überwand meinen Schmerz und versuchte das Kreuz vom abgebrochenen Fuß zu reißen, ohne die Hände zu benutzen. Die Wunden an den Armen kamen mit dem Holz in Berührung, und ich schrie vor Schmerz auf. Ich blickte Petrus an, doch er saß gleichmütig da. Ich beschloß, nicht weiterzuschreien. Meine Schreie würden von nun an in meinem Herzen ersterben.

Mir wurde klar, daß mein Problem zunächst nicht darin bestand, das Kreuz zu bewegen, sondern es von seinem Fuß zu trennen und dann ein Loch in den Boden zu graben und es in das Loch zu schieben. Ich suchte mir einen scharfen Stein und begann, meinen Schmerz beherrschend, auf die Holzfasern einzuschlagen.

Der Schmerz nahm mit jedem Augenblick zu, und die Fasern gaben nur langsam nach. Ich mußte aufpassen, daß die Wunden nicht wieder aufbrachen. Ich beschloß, die Arbeit etwas langsamer angehen zu lassen, zog das T-Shirt aus und wickelte es mir um die Hand. Der Stoff zerriß Faser um Faser.

Der Stein wurde stumpf, und ich mußte mir einen anderen suchen. Der Schmerz in der Hand wurde immer heftiger, und ich arbeitete nun wie besessen. Ich wußte, daß irgendwann der Augenblick kommen würde, an dem der Schmerz unerträglich sein würde. Ich sägte, hämmerte, fühlte, wie zwischen Haut und Verband eine klebrige Masse die Bewegung zu hemmen begann. Ich biß die Zahne zusammen, und da plötzlich schien die dickste Faser auch nachzugeben. Ich war so erregt, daß ich sofort aufstand und diesem Stamm, der mir so viel Leid verursachte, mit aller Kraft einen Fußtritt versetzte.

Das Kreuz fiel, von seiner Basis befreit, mit einem Ächzen zur Seite.