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»Wer sind Sie?«, fragte van der Steegen.

Robin nannte seinen Namen und wollte sein Anliegen erklären, doch van der Steegen unterbrach ihn. »Robin Sebastian Landt … diesen Namen habe ich doch erst vor Kurzem gehört.« Er wandte sich an Masterson: »Ist das nicht die Sache mit Angelo Brugger?«

Masterson bestätigte es.

»Ich kümmere mich selbst darum«, sagte van der Steegen. »Kommen Sie, Robin. Da sind Sie in Vorgänge hineingeraten, in die Sie sich nicht einmischen sollten. Vorgänge, die den Geheimdienst betreffen. So etwas kann recht unangenehm ausgehen.«

Um seiner Mitteilung die Schärfe zu nehmen, berührte er Robin kurz am Arm.

»Ich habe mich nur nach einem alten Kollegen erkundigt«, erklärte Robin.

»Das erzählen Sie mir in aller Ruhe«, sagte der Direktor. »Kommen Sie, wir gehen in den Entspannungsraum.« Masterson blieb unbeachtet zurück.

Robin hatte Jan van der Steegen, seinen Abteilungsdirektor, schon einige Male zu Gesicht bekommen, meist bei unterschiedlichen feierlichen Anlässen, ihn aber noch nie aus der Nähe gesehen. Ein Mann mit blassblondem Haar, schlank, sonnengebräunt – das Alter schwer zu schätzen. Vielleicht 50? Ein markantes Gesicht, eine sportliche Figur, eine eindrucksvolle, einnehmende Persönlichkeit. Doch jetzt fiel ihm etwas auf, was diesen ersten Eindruck ein wenig relativierte. Da war etwas in seinem Blick … etwas Abwesendes, Unruhiges, Gehetztes. Vielleicht war er doch etwas älter, als Robin ihn auf den ersten Blick eingeschätzt hatte.

Robin wusste nicht, wo der Entspannungsraum lag, und so folgte er dem von van der Steegen eingeschlagenen Weg. Und wieder kam er in Bereiche, die er noch nie betreten hatte; diesmal waren es die der Führungsschicht vorbehaltenen oberen Geschosse. Wie die Kellerräume waren sie auf der Schalttafel des Lifts nicht angegeben und nur über eine Ziffernkombination zu erreichen.

Der Direktor hatte über das MobilSet ihr Kommen angekündigt. Als sie den Aufzug verließen, wurden sie schon erwartet.

»Das ist Mikaela«, sagte van der Steegen. »Wir nennen sie Michèle. Und das ist Robin Landt« – und an Michèle gewandt: »Hast du seine Kennmarke vorbereitet?«

Michèle nickte Robin zu und reichte ihm den in ein Kärtchen eingelassenen Chip.

An Michèle fielen ihm zuerst die braunen Augen auf; sie blickten freundlich, ein wenig schüchtern und ein wenig traurig. Das dunkle Haar trug sie schulterlang und schlicht. Es war durch einen Mittelscheitel geteilt und umrahmte ein ebenmäßiges Gesicht mit sanften Zügen.

Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Sie kam durch einige Gänge, die durch Moving Pictures aus den Anfängen der Computerkunst geschmückt waren. Die Bewegungen liefen auf in die Wände eingelassenen Leuchtstreifen ab und erfüllten die Gänge mit Farbreflexen, die ein unregelmäßiges Auf und Ab von Hell und Dunkel hervorriefen. Dicke Mikrofaserbeläge am Boden erstickten jedes Schrittgeräusch.

Van der Steegen ging mit Michèle voran und gab ihr mit leiser Stimme Anweisungen. Als sie den Eingang des Entspannungsraums erreichten, wollte sich das Mädchen zurückziehen, doch der Direktor sagte: »Es wäre nützlich, wenn du mitkämst.« Und so betraten sie den Raum, eine durch mehrere Zimmerhecken abgeteilte Halle, die die Höhe von zwei, vielleicht sogar drei Stockwerken in Anspruch nahm. Aus einer Ecke drang eine fremdartige Musik aus Schwebetönen, die sich raffiniert überlagerten, da und dort erhoben sich Podeste für holographische Skulpturen, die ihre Formen langsam änderten.

Van der Steegen wandte sich nach rechts. »Dort drüben sind wir ungestört.«

Sie betraten den hintersten Teil der Halle, der offenbar nicht allgemein zugänglich war, denn der Direktor steckte seine I-Card in einen unauffällig angebrachten Sensor, ehe er die anderen anwies weiterzugehen.

In dieser Ecke herrschte eine geradezu unwirkliche Ruhe. Dafür sorgte eine unsichtbare Schallmauer, Robin hatte sie beim Durchqueren bemerkt: eine Zone von scharfem Luftzug. Außerdem registrierte er mehrere in die Umgebung gerichtete Antischall-Lautsprecher, die bis auf ein leises Knacken alle von außen eindringenden Geräusche eliminierten.

»Nehmen Sie Platz!« Van der Steegen wies zur Fensterfront des Raums. Hier standen in großzügiger Entfernung voneinander kleine Sitzgruppen, niedrige Tische, rundherum arrangierte Stühle, in denen man bis zur Hüfte versank. Ein auf Rädern beweglicher Bestellautomat sorgte dafür, dass man durch keine Kellner gestört wurde.

»Wollen Sie etwas trinken? Dazu vielleicht etwas Gebäck, süß, bitter oder salzig?« Der Direktor wies auf das Büffet.

Robin wollte keine Zeit verschwenden, um das Angebot zu studieren, und wählte das Erstbeste, was ihm unterkam: Kokos-Pailletten. Michèle lächelte ihm zu und drückte denselben Knopf. War es ein Zeichen? Und wie war es zu deuten? Was der Direktor bestellte, beachtete Robin nicht. Er fragte sich, warum Michèle an der Besprechung teilnahm.

Van der Steegen hatte gewartet, bis die Automatenwägelchen mit den bestellten Knabbereien und Getränken gekommen waren.

Jetzt sagte er: »Merkwürdig, wie sich alles verändert hat. Ich war schon dabei, als das Institut gegründet wurde. Die ersten Jahre saßen wir in einer leer stehenden Konservenfabrik in Utrecht. Der Geruch von Heringen hing noch in der Luft.«

Obwohl er leise sprach, war er gut zu verstehen. So, wie er vor sich hinblickte, war nicht zu beurteilen, ob er ein Selbstgespräch führte oder etwas mitteilen wollte. Man konnte es nehmen, wie man wollte.

Robin blickte zu Michèle hinüber und sah, dass sie van der Steegens Ausführungen mit einem merkwürdig gespannten Gesichtsausdruck folgte.

»Ja, eine Konservenfabrik«, wiederholte dieser nach einer kurzen Pause. »Erst viel später sind wir umgezogen. Hierher. Diese kleine Stadt mitten im Gebirge. Und dieses riesige Gebäude. Ein Palast. Eine Burg. Ja, wir hatten an Bedeutung gewonnen. Das Recht hat sich durchgesetzt. Wer kann sich noch eine klassische, subjektiv arbeitende Justiz vorstellen? Es herrscht eben Bedarf an dem unbeeinflussbaren Urteil. Erstmals in der Geschichte unserer Zivilisation sind wir dem Idealzustand der Justiz nahe gekommen.«

Van der Steegen stützte den Kopf in die Hand und schien nachzudenken. Wartete er auf eine Antwort? Doch er fuhr schon wieder fort: »Die Welt entwickelt sich. Zum Guten und zum Schlechten. Meinungen, Auseinandersetzungen, das Spiel der Kräfte. In der Summe bleibt alles gleich. Und trotzdem. Man muss sich gegen das Böse wehren.«

Van der Steegen war tief in seinen Sessel gesunken und richtete sich nun zu einer geraden Haltung auf. »Sie wissen es auch: Man kann Unternehmen mit der Versorgung der Kranken und den Aufgaben der Erziehung betrauen. Man kann die Informationssysteme an die Industrie verkaufen. Man kann das Militär privatisieren, Schulen und Gefängnisse von Firmen verwalten lassen. Aber bei der Justiz ist das Ende dieser Entwicklung erreicht. Wir müssen uns wehren.«

Der Direktor hob eine gelierte Zwiebelscheibe von seinem Teller auf, betrachtete sie nachdenklich, als wäre sie etwas Fremdes, und legte sie auf den Teller zurück. Bedächtig trank er einen Schluck der blaugrün schimmernden, perlenden Flüssigkeit in seinem Glas … Dann sah er Robin zum ersten Mal direkt in die Augen.

War das der Moment, um dem Gespräch die Wendung zu geben, auf die Robin wartete? »Es geht um Angelo Brugger«, sagte Robin unsicher. »Ich war mit ihm zusammen in der Ausbildung. Er ist verschwunden …«

Robin verstummte, denn der Direktor blickte ihn merkwürdig an – gelangweilt? – oder angewidert?

»Du machst dir Gedanken um ihn?«, fragte van der Steegen. »Du brauchst dich nicht darum zu kümmern. Die Verantwortung für unsere Mitarbeiter trägt das Personalbüro.«

»Es ging mir nur darum, ihn wiederzusehen. Doch die Reaktionen, die ich mit meiner Frage hervorgerufen habe, waren seltsam. Über alle Maßen übertrieben. Das hat mich erst auf den Verdacht gebracht, dass Angelo etwas zugestoßen sein könnte.«