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Van der Steegen wandte sich an Michèle: »Angelo? Du kennst ihn doch …« Er führte die Frage nicht zu Ende.

Die junge Frau blickte auf ihren Notizblock, aber sie schlug ihn nicht auf. »Angelo gehört zu einer Spezialeinheit. Geheime Aufträge und so weiter.«

»Damit ist eigentlich schon alles gesagt«, meinte van der Steegen. »Da ist es doch verständlich, dass nichts über seine Tätigkeit bekannt ist.« Es klang so, als wäre die Besprechung damit zu Ende.

Robin richtete sich ein wenig auf – ein Zeichen, dass er nicht einverstanden war. »Das ist wohl so. Doch bei der Art, wie man mich behandelt hat, wurden meine Persönlichkeitsrechte verletzt. Ich wollte mich darüber beschweren, allerdings hatte ich nicht die Absicht, Sie damit zu belästigen. Man hat mich an den Kollegen Masterson verwiesen.«

Van der Steegen seufzte, seine Miene war sorgenvoll. »Wir befinden uns in einer besonderen Situation. In drei Wochen beginnt die internationale Gipfelkonferenz. Oder sind es vier? Es geht um einen engeren Zusammenschluss der Länder, um Koordinierung der wirtschaftlichen Kräfte. Vielleicht ein Schritt zur Verbesserung der Weltlage? Vielleicht auch nicht. Es steht auf Messers Schneide. Geht alles mit rechten Dingen zu? Sind da Kräfte am Werk, die illegale Mittel einsetzen, um das Richtige ins Gegenteil zu verkehren? Es gibt keine Beweise dafür, aber …«

… aber was? Er ließ es offen, seufzte kurz und setzte fort: »Und es gibt keinen Kläger. Unsere Behörde kann erst eingreifen, wenn sich Aktionen wider das Gesetz belegen lassen. Du weißt ja: Wir brauchen eine formelle Anklage, und diese muss sich auf belegbare Fakten stützen. Das heißt, dass wir nichts machen können. Dass wir - offiziell - nichts machen können.«

Jetzt war die Stimme so leise geworden, dass sie kaum noch zu verstehen war. Nur ein paar Satzfragmente waren zu vernehmen.

»… nur ein Verdacht … trotzdem handeln … wir tragen die Verantwortung … es geht um die ganze Welt … oft sind es Kleinigkeiten … keine Entscheidung gegen das Recht …«

Die letzten Sätze waren in einem Flüstern ausgeklungen. Jetzt war es eine Weile still.

Michèle blickte kurz zu Robin hinüber. »Er ist erschöpft«, sagte sie. Sie klappte ihr Miniphon auf. »Ihr könnt ihn holen«, sprach sie hinein. Sie lauschte kurz und steckte das Gerät wieder ein.

Da sie nun schwieg, schwieg auch Robin. Nach ein paar Minuten erschienen zwei Pfleger des medizinischen Notdienstes, betteten van der Steegen auf eine fahrbare Trage und fuhren mit ihm fort.

Robin wollte etwas fragen, doch Michèle brachte ihn durch eine Handbewegung zum Schweigen. »Mach dir keine Gedanken, er wird sich rasch erholen.«

Sie verließen die Entspannungshalle und standen einen Moment lang unschlüssig nebeneinander im menschenleeren Gang.

»Du musst Verständnis haben. Er ist in den letzten Tagen und Nächten kaum zum Schlafen gekommen. Es gibt große Probleme, weißt du. Er ist einfach nicht imstande, sich jetzt mit etwas anderem zu beschäftigen …«

Es sah aus, als ob Michèle noch etwas hinzufügen wollte, sich aber dann eines Besseren besann. Schließlich sagte sie nur: »Komm, ich bring dich hinaus.«

Als sie die Liftkabine betreten hatten, fragte sie: »Warst du schon einmal auf der Dachterrasse?«

Robin schüttelte verblüfft den Kopf.

»Von dort hat man eine wunderbare Aussicht«, sagte sie. »Das solltest du einmal sehen.«

Robin fühlte sich unbehaglich. Was wollte Michèle von ihm? Aber er ging gern mit ihr.

Die Fahrt dauerte nur kurz, ein sanfter Ruck, die Tür öffnete sich, sie stiegen aus. Ein großes, flaches Areal. In einem Verschlag standen einige Werkzeuge herum, Gerät zum Reinigen der Fenster, ein Wasserbehälter, einige Mülltonnen. Im Norden ein Podest mit umlaufendem Geländer und drüben, auf der Südseite, einige Aufbauten, die wie Mobiles aussahen, sich aber bei genauerer Betrachtung als Antennen entpuppten.

Michèle zog Robin von der Tür weg und sagte: »Hier kann uns niemand belauschen.«

An eine solche Möglichkeit hatte Robin nicht gedacht. »Du meinst …«

»Ist das so erstaunlich? Immerhin hast du es fertig gebracht, den Sicherheitsdienst auf dich aufmerksam zu machen. Und ich als Direktions-Assistentin muss sowieso besonders vorsichtig sein.«

Als Michèle Robins betroffene Miene sah, schien es ihr leid zu tun, dass sie einen so schroffen Ton angeschlagen hatte. »Ich will dich doch nur warnen«, sagte sie. »Komm, dort drüben stehen ein paar Bänke. Es gibt doch noch ein paar Leute, die eine schöne Aussicht zu schätzen wissen.«

In der Tat: Die Sicht über das Tal hinweg zu den Bergen war überwältigend. Die Sonne hatte sich so weit gesenkt, dass ihre roten und orangefarbenen Töne das ursprüngliche Blau verdrängten, und der Abglanz dieser Farben lag auf den hoch gelegenen Schneefeldern, die auch im Sommer nicht verschwanden. Darüber spannte sich ein Himmel, der sich gegen Osten hin in einem abgrundtiefen Violett verlor; es sah aus, als würden die helleren Töne in diesen Abgrund gezogen und von ihm verschluckt.

Die Luft kühlte allmählich ab, aber die Wärme des Tages saß noch in den Polstern der Stühle und Bänke, die zur Beobachtung des Sonnenuntergangs ausgerichtet waren. In diesen Höhen machte sich der Wind, der um die Aufbauten strich, mit einem scharfen Rauschen bemerkbar. Um die Unterhaltung zu erleichtern, rückte Michèle näher an Robin heran.

»Das konntest du nicht wissen«, sagte Michèle, »ich meine die Sache mit der Security. Ich sollte dir wohl ein wenig über die Situation verraten, doch behalte es bitte für dich.«

Robin nickte.

»Im Gerichtshof gibt es zwei Gruppen, die in Konkurrenz zueinander stehen, der alte Werkschutz und der neue Sicherheitsdienst, der von Gorosch geführt wird. Es hat den Anschein, als ob Gorosch den Werkschutz in seine Abteilung eingliedern will. Aber dagegen gibt es Widerstand, auch Jan hat sich früher entschieden dagegen gewehrt.«

Robin runzelte die Stirn. »Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Was hat das mit mir zu tun? Und mit Angelo?«

»Ich habe mitbekommen, wie es dir in den letzten Tagen ergangen ist. Das Auffällige daran ist das persönliche Eingreifen von Gorosch. Der Auslöser dazu liegt sicher in der Person Angelos. Die Security scheint starkes Interesse an Angelo zu haben. Aus welchem Grund? Wahrscheinlich gilt ihr Interesse nicht der Person, sondern der Aufgabe, mit der er betraut ist. Und die ist streng geheim: Chefsache. Das ist alles, was ich darüber weiß.«

»Du könntest Recht haben.« Robin versuchte, Michèles Gedanken nachzuvollziehen. »Den Fragen nach zu schließen, die mir Gorosch gestellt hat … offenbar hat er gehofft, von mir etwas erfahren zu können, was er unbedingt wissen will. Nun gut, ich habe keine Ahnung von all diesen Dingen, und so konnte ich ihm auch nichts mitteilen, was ihn interessiert hätte. Aber ich stimme dir zu, dass es etwas mit jenem besonderen Auftrag zu tun haben muss, an dem Angelo womöglich derzeit arbeitet.«

Er schwieg, und auch Michèle sagte nichts. Aber sie blickte Robin mit einem merkwürdigen Ausdruck an, fragend, vielleicht auch misstrauisch.

»Du glaubst mir doch?«, sagte Robin nach einigen Sekunden, die sich merkwürdig dehnten. Er sah ihr in die Augen, als ließe sich aus ihnen etwas herauslesen. »Meinst du vielleicht, ich wüsste etwas, was ich bisher verschwiegen habe? Da irrst du dich. Abgesehen davon, dass ich gar nicht in der Lage gewesen bin, irgendein geheimes Wissen zurückzuhalten – ich kann einfach nichts verschweigen.«

Michèle rückte ein Stück von Robin weg, als wäre sie enttäuscht. Dann sagte sie: »Vorgestern, als du nach Angelo gefragt hast … Ich dachte mir, das kann doch kein Zufall sein. Gerade jetzt … Ich war überzeugt, dass mehr dahintersteckt …«

»Nein, da steckt nicht mehr dahinter«, sagte Robin. Jetzt war Michèle die Enttäuschung deutlich anzumerken. Robin wandte sich zu ihr und sagte: »Es tut mir leid.«