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Zu Fuß durch die weiße Wildnis

Ich wachte früh auf, fühlte mich aber ausgeruht, und erfreulicherweise hatte ich mich angenehm warm halten können. Die von mir angeregte Kombination des Schlafsacks mit einer Luftmatratze hatte ihre Bewährungsprobe bestanden. Die zwei Lagen mikrodünne Folie mit dazwischen eingeschweißtem Nanoschaum ließen sich zu einem faustgroßen Päckchen zusammenfalten, und das Ganze war leicht wie ein Federball.

Auf die Berrenger-Gedächtnis-Expedition hatte ich mich sorgfältig vorbereitet, und das nicht zuletzt im Hinblick auf die Hilfsmittel. Dabei kam mir der Fortschritt der Technik zugute. Es gibt neue, leichte Materialien für die Kleidung und die Schlafausrüstung, Leichtmetall-Katalyt-Batterien von erstaunlicher Kapazität für das Schmelzen von Eis und das Erwärmen der Speisen, für die Kaltlichtlampe und für den Sender. Und auch die Lebensmittelkonservierung hatte Fortschritte erzielt, das meiste für die Raumfahrt entwickelt und auf dem Mond erprobt.

Früher hatte man Schlittenhunde eingesetzt, die das Gepäck beförderten, später kamen Motorschlitten in Gebrauch, und seit Kurzem ließen sich Ausrüstung und Nahrungsmittel so weit reduzieren, dass sich alles auf den Rücken packen ließ. Bei einem Alleingang, wie ich ihn ursprünglich vorgehabt hatte, gab es aber keine gemeinsame Ausrüstung, die man auf mehrere verteilen kann, und darum musste ich mich auf weitere technische Neuerungen stützen – für die Bewegung auf dem Eis, für die richtige Ernährung und für den Wärmehaushalt während der Bewegung und in Ruhezeiten. Dazu gehörten vor allem die Spezialschuhe, aus deren Sohlen ich per Knopfdruck Metallspitzen ausfahren lassen konnte. Speziell die beiden nach vorne ragenden Zacken hatten sich bei meinen Kletterübungen an den gefrorenen Wasserfällen des Hochgebirges sehr bewährt.

Andererseits ging es, wenn man etwas Neues einsetzte, kaum ohne Pannen ab. Das bekam ich nun, als ich meinen Weg durch das Eis bahnte, zu spüren. Vermutlich war schon das Versagen des Senders eine solche Panne, und sie konnte mich ganz schön in Verlegenheit bringen, sollte ich Hilfe brauchen. Auch eine andere Idee erwies sich als nicht so hilfreich, wie ich es mir erhofft hatte: Ich hatte am Rucksack Leichtmetallkufen anbringen lassen, die beim Tragen eingeklappt blieben und nicht störten, das Gepäckstück aber in ausgeklapptem Zustand in einen Schlitten verwandelten. Nun hatte ich das Pech, dass es auf meinem Weg nur wenige schneebedeckte Ebenen gab, wo man einen Schlitten hätte ziehen können oder wo man – was mir sehr attraktiv erschienen war – auf abfallenden Strecken auf den Kufen stehend hätte abfahren können. Und zu alledem neigte meine Kombination aus Rucksack und Schlitten zum Kippen. In einem schnellen Entschluss montierte ich die Kufen ab und ließ sie liegen. Jedes überschüssige Gramm war Ballast, dessen man sich besser entledigt.

Nicht weniger wichtig als die Ausrüstung war die Konstitution. Zur Gewöhnung an die Kälte, auf die ich mich einstellen musste, hatte ich meine Fitnessgeräte im Kühlraum eines Nahrungsmitteldepots aufgestellt und war bei meinen Übungen von abgehängten Fleischbrocken aus den Zellkulturen umgeben. Aber wie immer bei solchen Gelegenheiten hatte ich mir einen Cyberhelm aufgesetzt und mir alte Abenteuerfilme angesehen – solche, in denen die Helden am Schluss immer gewannen –, während ich auf dem Laufband lief oder auf den Pedalen strampelte …

Ich gönnte mir noch fünf Minuten im Schlafsack und beobachtete dabei, wie sich die Sonne als blutroter Ball über die am Horizont liegende Nebelschicht schob. Fast noch eindrucksvoller der tiefdunkelblaue Himmel, der wie ein Kuppeldach über mir lag. Es schien ein schöner Tag zu werden.

Ohne den Schlafsack zu verlassen, schlug ich mit dem Pickel Eisstückchen von der Eisoberfläche los, taute einen Splitter in der Hand auf und kostete: Süßwasser, vermutlich verharschter Schnee, es schmeckte fade und ein wenig seifig. Ich füllte den Klappbecher mit den Eisstückchen und warf zwei Cabafee-Tabletten hinein. Dann drückte ich den Zünder eines Thermit-Röhrchens und ließ es rasch, bevor es heiß wurde, in das Gefäß fallen. Das ging schneller als mit dem Kocher. Vier Sekunden, dann war das heiße Kraftgetränk bereit, und ich leerte den Becher in kleinen Schlucken bis zum letzten Tropfen.

Noch immer vom Schlafsack aus warf ich einen kontrollierenden Blick auf das Display des LeoSat-Systems – ich war gut vorangekommen, und auch die Richtung hatte ich gut eingehalten: Südsüdwest … Jetzt erst schälte ich mich aus den warmen Hüllen heraus und stieg rasch in den Thermoanzug hinein. Er hatte noch die Temperatur des Eises, und ich spürte sofort die durch meine Unterwäsche kriechende Kälte. Um mich warm und beweglich zu halten, machte ich ein paar Lockerungsübungen. Dann packte ich mein Fernglas aus und betrachtete das Stück des Weges, das vor mir lag. Die Nebelschicht war angewachsen und behinderte die Sicht, doch eines war klar: Eine Ebene war das nicht mehr, was mich da vorn erwartete.

Ich packte und verschnürte den Rucksack, stemmte ihn hoch und kämpfte ein paar Sekunden lang mit dem Gleichgewicht. Dann ließ ich ihn auf den Rücken gleiten und zog den Taillengurt zu. Weiter ging’s.

Jetzt musste ich dem Weg meine volle Aufmerksamkeit widmen, denn das Gelände wurde immer unwegsamer. Die Veränderung ergab sich ganz langsam: Sprünge im Boden, manchmal so breit, dass ich kaum darüberspringen konnte; Facetten, vom Wind oder vielleicht auch vom Schmelzwasser modelliert, zunächst nur hier und dort, doch zehn Minuten später prägten sie die gesamte Eisoberfläche; Felder voller Zacken, parallel ausgerichtet, die erst nur eine Handspanne emporragten, doch schließlich, mannshoch und dicht an dicht stehend, an Staketenzäune erinnernde Barrieren bildeten.

Eine Stunde lang gelang es mir immerhin noch, einen gangbaren, sich um die gröbsten Hindernisse herumwindenden Weg durch diese Hindernisbahn zu finden, bis es auch damit ein Ende hatte. Von nun an war ein Ausweichen nicht mehr möglich, ich musste mich über die Erhebungen hinwegarbeiten.

Wieder eine kleine Pause, aber diesmal nur, um mich auf die Kletterei einzustellen. Bisher hatte ich keine Schwierigkeit gehabt, auch auf schiefen Ebenen Halt zu finden. Nun aber aktivierte ich die bisher in der Sohle verborgenen Eiszacken, die den Aufstieg an senkrechten Stellen ermöglichen, ich warf mir eine drei Meter lange Seilschlinge mit eingehängten Karabinern über die Schulter, befestigte ein Täschchen mit Eishaken am Gürtel und hängte mir den Pickel mit dem Hammeraufsatz ans Handgelenk. Schließlich drehte ich auch noch die Helmlampe auf – an schattigen Stellen konnte es wichtig werden, gut zu sehen, und es gab keinen Grund, die Batterien zu schonen.

Es folgte ein mühsamer, schwieriger und nicht ungefährlicher Weg. Ich zwängte mich zwischen aufragenden Spießen hindurch, verstemmte mich zwischen glatten Wänden, überwand Stufen, indem ich den Pickel möglichst weit oben einschlug und mich dann daran hinaufzog. Einige Male musste ich auch von den Eishaken Gebrauch machen. Nur nicht ausgleiten! – von unten ragten mir unzählige scharfe Spitzen entgegen.

Über zwei Stunden kletterte ich so dahin. Längst rann mir der Schweiß über das Gesicht. Weil meine Rundsichtbrille trotz der Polymer-Beschichtung beschlug, hatte ich sie im Rucksack verstaut.

Endlich war ich am höchsten Punkt meines Weges angekommen. Zuerst merkte ich es am Wind, der mir plötzlich von vorne entgegenkam, ein Wind, der sich manchmal zu einer schwachen Brise abschwächte, dann aber wieder gewaltige Kraft entfaltete. Und das Erstaunliche daran, das ich erst ein wenig später merkte: Dieser Wind war warm!

Auf dieser Seite war es nicht mehr so steil wie auf der anderen, nur noch selten war es nötig zu klettern, die Schwierigkeit lag eher darin, dass hier der Boden mit riesigen Eisbrocken bedeckt war, ein gigantischer Irrgarten, in dem man sich nur schwer zurechtfand. Um die Orientierung zu behalten, musste ich immer wieder den Kompass zu Rate ziehen und stellte oft genug fest, dass ich von meiner Richtung abgekommen war …