Doch dann änderte sich die Situation unglaublich schnell. Ich konnte beobachten, wie sich die Wolken zu einer Wolkenwand verbanden, die sich rasch näherte – mir schien es sogar, dass sie sich genau auf mich zubewegte, und das mit rasant wachsender Geschwindigkeit. Auf einmal war ich von Nebel umgeben, der Wind wehte mit unglaublicher Stärke, und aus meiner Wanderung wurde ein Kampf gegen seine gewaltige Kraft. Es wurde immer schwieriger, das Gleichgewicht zu halten, denn die Windrichtung wechselte ständig, ich taumelte hin und her und konnte bald nicht mehr sicher sein, ob ich mich noch auf dem richtigen Weg befand.
Dann setzte der Regen ein: zuerst noch einige harmlose Tropfen, doch dann platzte es vom Himmel, wie ich es noch nie erlebt hatte: eine Flut von oben, die einen zu ersticken drohte.
Jetzt war an eine Fortsetzung meines Weges nicht mehr zu denken, jetzt ging es darum, mich in Sicherheit zu bringen … Ich hätte es früher tun sollen, denn es war so finster geworden, dass ich die Umgebung kaum erkennen konnte, und auch der Schein meiner Helmlampe konnte die entfesselten Elemente nicht durchdringen. Ich konnte mich nur fortbewegen, wenn zwischendurch eine kleine Pause eintrat – als müsse das Unwetter Atem holen, um dann mit verstärkter Kraft weiterzutoben.
Dann wurde es kalt. Mein erhitzter Körper registrierte es nicht gleich, und zuerst empfand ich es nicht einmal als unangenehm. Doch das änderte sich rasch, und ich fürchtete, dass die Kälte gefährlich werden könnte. Zuerst stand ich nur still und zog mir die Kleider enger um den Leib, aber der Wind schien die eisige Luft durch die Hüllen hindurchzupressen, und ich spürte, wie mein Körper auskühlte. Meinem Empfinden nach war es ein Temperatursturz von mehr als 20 Grad. Ich musste in Bewegung bleiben, um mit der Körperwärme dagegen anzukämpfen. Und ich musste eine Stelle finden, wo ich vor diesem beißenden Wind geschützt war …
Eine Zeit lang tappte ich über das Eis. Der Boden war infolge des Regens von Rinnen zerfurcht, die zum Teil zugefroren waren. Doch da und dort, wo das Wasser nicht abfließen konnte, hatten sich Pfützen gebildet, die nun mit Eis überzogen waren. Diese Decken waren noch nicht dick genug, um mein Gewicht zu tragen, immer wieder brach ich ein und stand mit den Füßen im Wasser. Und zu allem Überdruss merkte ich, dass mir das Wasser in die Schuhe rann. Was war da geschehen? Ich richtete meine Lampe auf die Schuhe … da sah ich, dass sich die Klettverschlüsse geöffnet hatten, und als ich versuchte, sie wieder zu schließen, da stellte sich heraus, dass der Kunststoff, aus dem sie bestanden, zu einer harten, brüchigen Masse erstarrt war. Sie hatten die Kälte nicht vertragen.
Ich musste unbedingt eine geschützte Stelle finden, und zwar rasch …
Noch immer wehte ein starker Wind, doch immerhin ging er jetzt gleichmäßig und behielt seine Richtung bei. Die Wolkendecke war dünner geworden, und zwischen ihnen erschien ein irisierender dunkelblauer Himmel voller Sterne.
Jetzt wurde es etwas heller, und das war meine Rettung. In einer Entfernung von einigen hundert Metern begann das Gelände sachte anzusteigen, und ich wandte mich dorthin, denn dort lagen einige Eisplatten übereinander gestapelt … vielleicht fand ich an der windabgewandten Seite einen ruhigen Platz.
Die Bewegung kostete mich immer noch große Mühe, aber jetzt hatte ich wenigstens ein Ziel vor Augen. Wie lange ich dorthin brauchte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls war jetzt das Glück wieder an meiner Seite: Unter einem der Blöcke fand ich eine Nische, und ich kroch erleichtert hinein. Welche Wohltat, ein schützendes Dach über dem Kopf zu haben!
Aus meiner liegenden Position heraus – eingezwängt zwischen Eiswänden – war es schwierig, zu tun, was notwendig war. Doch ich durfte mich nicht von meiner Erschöpfung unterjochen lassen. Ich rückte hin und her, um die Liegefläche etwas zu vertiefen, und scharrte blindlings mit den Ellenbogen, um mir auch seitlich freien Raum zu verschaffen … und schon war es ein wenig besser.
Die Taschenlampe hatte ich brennen lassen, sie erfüllte die Spalte mit Licht. Ich öffnete den Rucksack, holte meinen Schlafsack heraus und zwang mich, den völlig vereisten Anzug auszuziehen, bevor ich in die trockenen Hüllen kroch. Von hier aus setzte ich den Kocher in Funktion und schmolz einige Eiszapfen, die am Rand des Eisblocks einen Vorhang gebildet hatten und mit Händen zu greifen waren. Ich trank ein wenig vom heißen Wasser, doch den größten Teil füllte ich in einen Kunststoffbeutel. Und diese improvisierte Wärmeflasche drückte ich an meine tauben Füße.
Merkwürdig, wie sich Robins Situation innerhalb weniger Tage geändert hatte. Bisher hatte die Bürotätigkeit im Mittelpunkt seiner Interessen gestanden, und er fand es in Ordnung, dass er einer nützlichen, der Allgemeinheit dienlichen Beschäftigung nachging. Daneben hatte er einige Hobbys, im Sommer Schleuderball, im Winter Düsenski, und außerdem beschäftigte er sich gern mit Musik. Oft experimentierte er mit einem selbst entwickelten Programm, mit dem er Fugen und Madrigale neu arrangierte, um sie sich dann swingend oder südamerikanisch rhythmisiert anzuhören.
Er hatte ein paar Freunde gehabt, denen er nicht mehr besonders nahe stand, und war vor einigen Jahren auch schon einmal mit einer Frau registriert gewesen – eine Verbindung, die nicht lange gehalten hatte: Er hatte sich ein großes Erlebnis davon versprochen und war dann ziemlich enttäuscht. Trotzdem war er nicht unzufrieden mit seinem Leben. Und nun war es unerwartet zu Turbulenzen gekommen: Das, was ihm da widerfuhr, war etwas völlig Ungewohntes, etwas Belebendes, Aufrüttelndes, dem er trotz aller Probleme, die es mit sich brachte, auch positive Seiten abgewinnen konnte …
Am Tag nach dem Zusammentreffen mit Michèle machte er sich daran, den von ihm erfundenen Fall abzuschließen, der den Umständen gemäß ungeklärt bleiben würde. Doch darüber brauchte sich niemand zu wundern, denn schließlich handelte es sich ja nur um eine Eingabe von Unbekannt – vielleicht eine Mystifikation, ein Störungsversuch oder schlichtweg ein alberner Scherz. Zum Schein schlug Robin vor, nach dem unbekannten Absender suchen zu lassen, aber er war sicher, dass dieser Vorschlag wegen Nichtigkeit des Vorgangs abgewiesen würde. Und so war es auch.
Damit hatte er diese Aufgabe gemäß der vorgegebenen Routine abgeschlossen und würde bald mit einem neuen Fall betraut werden. In der Zwischenzeit beschäftigte er sich damit, vor längerer Zeit gespeicherte Daten zu prüfen und sie, wenn sie unwichtig waren, zu löschen.
Wie gewohnt suchte er in der Mittagszeit die Kantine auf, und er sah, dass Michèle mit einigen Kollegen zusammen an einem der Tische saß. Er nickte ihr zu, und sie antwortete mit einer Geste, die Robin nicht so ohne weiteres deuten konnte.
Als Michèle den Saal verließ und ihn dabei mit einem Blick streifte, war das ein Zeichen für ihn, das Geschirr zum Spülautomaten zu bringen und ebenfalls hinauszugehen. Dabei benutzte er denselben Ausgang wie Michèle. Und tatsächlich stand sie in einer Ecke des Vorraums und kam nun auf ihn zu.
»Komm, wir machen eine Runde«, schlug sie vor und wies auf den Gang, der einmal ganz um das Gebäude herumführte. Die Aussicht von den Brücken, die die Türme in halber Höhe miteinander verbanden, war schwindelerregend, aber die beiden achteten nicht darauf – sie hatten anderes im Sinn.
»Ich war heute früh schon aktiv«, berichtete Michèle. »Ich habe mich in Angelos Wohnung umgesehen. Du weißt ja, dass ich zwei Jahre mit ihm zusammen war. Als es zu Ende war, hat er die Räume behalten, und ich bin ausgezogen. Aber ich erinnerte mich noch an den Code, ich nahm an, dass er ihn nicht geändert hat.«
»Hast du ihn dort oft besucht?«, fragte Robin, dem erst, als er sie ausgesprochen hatte, auffiel, dass das eine sehr persönliche Frage war – die ihm eigentlich nicht zustand.