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Später versuchte ich es noch einmal – mit der Folge, dass ich mit Schneemassen zu kämpfen hatte, die von oben herunterglitten.

Allmählich verlor ich die Hoffnung, aus diesem Kerker jemals wieder herauszukommen.

Die wenigen Minuten außerhalb des Schlafsacks hatten mich ausgekühlt, und diese Kühle wurde ich nicht mehr los. Ich sollte etwas Warmes trinken, mir eine Mahlzeit zubereiten … aber ich konnte mich nicht überwinden, noch einmal aus dem Schlafsack herauszukriechen. Zuerst musste ich mich wieder erwärmen, später würde ich … ja, später …

Nein, ich durfte jetzt nicht resignieren. Ich musste etwas tun, und zwar sofort. Wieder richtete ich mich auf, zog meine Arme aus dem Schlafsack und griff nach dem Kocher. Er war noch an die Katalyt-Batterie angeschlossen. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, mit ihr sparsam umzugehen, ich schaltete den Kocher ein – die Platte begann zu glühen. Sie würde ein wenig Wärme in dieses Eisloch bringen …

Diese kleine Aktion hatte mich viel Kraft gekostet. Jetzt konnte ich nichts mehr tun. Ich durfte mich wieder im Schlafsack verkriechen und die Augen schließen.

Ich schwamm in einem See von Schwarz.

Ich sank tiefer und tiefer, bis ich den Grund erreichte. Unter den Füßen nachgiebige Massen, ich durfte nicht stehen bleiben, um nicht zu versinken.

Ich bemühte mich, aus dieser Zone herauszukommen, mit rudernden Bewegungen der Arme kämpfte ich gegen einen zähen Widerstand an, gefangen in einem konturlosen Raum, Lichtreflexe erschienen in der Luft und lösten sich wieder auf.

Meine Glieder wurden schwer, das Atmen kostete Mühe. Ich nahm alle meine Kräfte zusammen … Die Lampe hatte ich gelöscht, rund um mich dichtes Schwarz.

Dann begann die Umgebung heller zu werden, erst kaum merklich, dann deutlicher. Eine Welt aus Grau in Grau, der Horizont hinter einer Nebelwand verborgen, nein, es war Eis. Ich trat hindurch, vor mir eine Stadt, eine Festung, Mauern aus Eis, Türme, Barrikaden, Brücken, Zinnen aus durchsichtigem Eis, ich ging über eine der Brücken, über mir Decken aus Eiszapfen.

Alles war Täuschung, es war kein Eis, sondern Glas und Stahl, endlose Gänge, ich befand mich weit oben, mir gegenüber ein weiterer Turm, unten Abgründe, Schatten.

Merkwürdig, bisher war alles ohne emotionale Anteilnahme abgegangen, aber plötzlich spürte ich Angst, Verzweiflung – aber auch einen Funken Hoffnung …

Da waren Menschen, Menschen mit Taschen, Menschen in grauen Anzügen, Menschen mit verschlossenen Gesichtern.

Ich war selbst ein Mensch in einem grauen Anzug. Ich war auf dem Weg … ich weiß nicht wohin. Aber ich hatte etwas zu tun, musste mich verteidigen, mich rechtfertigen oder, richtiger, eine Prüfung ablegen. Ich war jung und unerfahren. Da waren Leute, die mich beobachteten. Strenge Gesichter, die mich anstarrten. Ich musste meinen Rang verteidigen … Aber das war doch lang vorbei! Nein, ich hatte geträumt, merkwürdige Träume, merkwürdige Empfindungen, nicht deutbar, scheinbar ohne Sinn …

Es waren Gefühle, die ich im Wachzustand noch nie empfunden hatte, jedenfalls nicht so intensiv. Ich hatte zu mir selbst zurückgefunden. Ich war nicht bereit, mich meinen Gefühlen zu überlassen, ich war nüchtern und kühl, mein Handeln durchdacht und folgerichtig, meine Ziele real, meine Gedanken logisch, meine Aufgabe vorgegeben …

Ja, ich war untergegangen, es war eine mir fremde Welt gewesen, die mich in ihren Bann geschlagen hatte … Traumwelten? Halluzinationen?

Nun war ich wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt. Ich war noch verschlafen, aber nicht mehr müde. Mein Mund war trocken, meine Augen waren verklebt. Aber mein Körper war nicht mehr so kalt wie zuvor.

Es machte mir auch nichts mehr aus, aus dem warmen Schlafsack zu schlüpfen. Der Kocher strahlte immer noch etwas Wärme aus.

Auch die Taschenlampe brannte noch. Aber wie sah es draußen aus? Ich wühlte im herabrieselnden Schnee, der den Raum unter dem Eisblock nahezu zugeweht hatte. Und dann glaubte ich Licht zu sehen. Ich schob den Schnee beiseite: Es war wirklich Licht, das da hereindrang, zuerst nur ein Anflug von Dämmerung, dann, als hätte jemand einen Vorhang weggezogen, ein dünner Streifen Sonnenschein, und jetzt überflutete mich blendendes Licht, und ich musste die Augen schließen.

Als ich etwas später aus der Nische herauskroch, befand ich mich in einer mir unbekannten Umgebung, einer neu entstandenen Landschaft aus angewehtem Schnee. Vor mir lag die endlose Weite eines Schneefelds, nahezu eben, nur einige dünenförmige Erhebungen standen heraus. Hinter mir eine Ansammlung von wirr durcheinander liegenden Eisblöcken; gestern – oder war es vorgestern gewesen? – hatte ich nicht erkannt, wie hoch sie sich auftürmten. War das die Wirklichkeit? Oder immer noch der Traum?

Es dauerte Minuten, bis ich wieder klar denken konnte. Dann aber machte ich mich sofort an die Arbeit, es galt, meine Ausrüstung aus dem nun verschütteten Schneeloch zu buddeln. Als die Sachen endlich vor mir lagen, mit Eiskrusten überzogen, hätte ich am liebsten alles in den Rucksack geworfen und wäre losgerannt, aber im Gegeneinander der Gefühle siegte die Vernunft.

Bevor ich aufbrach, musste ich etwas zu mir nehmen, vor allem brauchte ich etwas Flüssiges, aber auch ein paar feste Nahrungsmittel.

Ich schmolz eine Hand voll Schnee – das ergab fade schmeckendes, aber frisches Süßwasser – und sichtete die Reste meines Proviants. Um mich nicht unnötig zu belasten, begnügte ich mich mit ein paar Quellkügelchen und trank einen Viertelliter warmes Wasser nach. Da ich danach ein flaues Gefühl im Magen hatte, nahm ich abschließend zwei Antacid-Tabletten.

Jetzt wollte ich aber keine Minute mehr vergeuden. Trotz der Eile musste ich mich noch mit den defekten Schuhen beschäftigen; ich machte es kurz und schlang einfach ein Klebeband um die Knöchelschützer herum. Den Rucksack zusammengepackt und geschultert, das Sonnenschutzglas des Helms vor das Gesicht geklappt und den Pickel in der Hand – so begann ich die letzte Etappe meines einsamen Weges.

Mittwoch, 16. April

Für Robin war es völlig überraschend gekommen: Der neue Leiter des altehrwürdigen Werkschutzes, Josz, hatte ihn zu einem Gespräch in sein Büro gebeten. Es lag in einer der oberen Etagen. Die Zeit war ein wenig ungewöhnlich: sechs Uhr dreißig in der Früh.

Josz war für seine Position außergewöhnlich jung – nicht älter als vierzig. Die leicht gelockten Haare fielen ihm ein wenig in die Stirn. Er hatte auch nichts Soldatisches an sich, sondern bewegte sich locker und ungezwungen. Doch wenn man ihn genauer ansah, dann deutete einiges in seinem Gesicht auf Intelligenz und Tatkraft hin.

Sein Zimmer ähnelte eher einer Sende- und Empfangsstation als einem Büro. Eine Wand war völlig mit Bildschirmen bedeckt. Auf den meisten waren Diagramme zu sehen – gezackte farbige Linien wechselten ruckartig ihre Formen und Positionen, andere zeigten Blockdarstellungen und Raster mit laufenden Zahlen, und auf wieder anderen waren Netze wiedergegeben, über die sich rote Marken bewegten.

»Wir sind ganz gut darüber informiert, was innerhalb des Hauses und auch außerhalb geschieht«, erklärte Josz. »Oder hast du uns wirklich nur als eine Art Feuerwehr angesehen?«

Robin war nicht ganz klar, was diese Frage zu bedeuten hatte. Er zog die Augenbrauen zusammen.

Josz fuhr unbeirrt fort: »So wissen wir zum Beispiel, dass du dich an einen unserer Mitarbeiter herangemacht hast, um ihn auszufragen. Ist dir Kynski, mein persönlicher Assistent, nicht aufgefallen? Sein Erscheinen im Lokal hat genügt, um Timos Geschwätzigkeit zu stoppen.«

In dieser Feststellung war zwar kein Vorwurf zu spüren, dennoch war Robin darüber verwundert, dass selbst die Mitarbeiter der Behörde so massiv überwacht wurden.

»Wir lassen uns von der Security nicht überfahren. Schau!«