Josz wies auf einen roten Punkt auf einem der Bildschirme. »Das ist Gorosch. Er ist jetzt in seiner Wohnung. Als er das letzte Mal beim Zahnarzt war, haben wir ihm einen Miniatursender einbauen lassen. So sind wir über jeden seiner Schritte informiert.«
»Und warum teilst du mir das mit?«, fragte Robin.
Josz lächelte zufrieden – die Überraschung war ihm gelungen. »Ich habe mich bei deinen Vorgesetzten erkundigt«, sagte er. »Man hat mich an Direktor van der Steegen verwiesen, und dann habe ich mich eine Weile mit Frau Bajer unterhalten. Sie hat mir ein wenig über die speziellen Ermittlungen angedeutet, mit denen du beschäftigt bist, und sie hat angeregt, dass wir in einer Angelegenheit, in der wir selbst ermitteln, mit dir zusammenarbeiten sollen. Es ist also alles in Ordnung. Bist du einverstanden?«
Damit hatte sich für Robin wieder einmal eine überraschende Wendung ergeben – wie schon so oft in diesen Tagen. Offenbar steckte Michèle dahinter. Merklich erleichtert stimmte er zu.
Josz forderte Robin auf, sich zu setzen, und dieser rückte einen Stuhl so zurecht, dass sowohl er wie auch Josz die Bildschirmwand im Blickfeld hatten. Der rote Punkt, der die Position Goroschs markierte, war einige Zeit still geblieben, doch jetzt zeigte er wieder Bewegungen an.
»Ich will dir zuerst berichten, was unsere Mitarbeiter über Gorosch erzählt haben – alle seine Aktionen werden schon seit Längerem beobachtet. Das Ergebnis ist enttäuschend, die Untersuchung hat nicht viel Erwähnenswertes ergeben. Ich beschränke mich also auf die Dinge, die etwas vom Üblichen abweichen.«
Der rote Punkt auf dem Bildschirm wechselte ein wenig die Position, dann trat wieder Ruhe ein.
Josz blickte auf das Display mit der Uhrzeit. »Wir haben noch etwas Zeit«, sagte er, ohne weiter zu erläutern, was er damit meinte. »Zu den etwas ungewöhnlichen Dingen gehört das Domizil, das sich Gorosch ausgesucht hat. Es liegt ein wenig abseits, ein Altbau, noch aus der Zeit, als der Ort nicht viel mehr war als ein schwer erreichbares Dorf. Es sieht übrigens sehr hübsch aus, die Mauern aus Felsstücken zusammengesetzt, das Dach mit Ziegeln gedeckt.«
»Und was ist daran so ungewöhnlich?«, frage Robin.
»Nun, es passt nicht zu Gorosch. Er hat nicht das Geringste für so etwas übrig – für Romantik und für altmodische Dinge. Das geht aus seinem Psychogramm eindeutig hervor. Der Platz, den er sich ausgesucht hat, ist nicht leicht zu erreichen – nur über eine in den Fels gehauene enge Sackgasse. Warum nimmt er einen so umständlichen Anfahrtsweg in Kauf?«
»Andererseits ist das ein guter Ort für geheime Zusammenkünfte«, wandte Robin ein.
Josz schüttelte den Kopf. »Er hat selten Besuch bekommen, und es waren meist nur Leute aus seiner Abteilung. Das wissen wir von Kynski. Er war längere Zeit auf Gorosch angesetzt.« Er sah wieder auf die Uhr. »Jetzt ist es so weit. Komm!«
Josz erhob sich. Er trat auf den Gang hinaus und führte Robin zum Lift. Er rief die Kabine und drückte, als sie eingestiegen waren, einige Tasten auf dem Ziffernblatt. Es ging aufwärts.
Als sie hielten und ausstiegen, stellte Robin erstaunt fest, dass sie sich auf dem flachen Dach des Mittelbaus befanden. Er kannte diesen Platz … seine erste Unterhaltung mit Michèle … dieser Ort hatte eine besondere Bedeutung für ihn. Und gerade jetzt, in diesem unpassenden Augenblick, wurde ihm klar, wie sehr sie schon in dieser ersten gemeinsamen Stunde seine Gefühle in Verwirrung gebracht hatte.
Unwillkürlich blieb Robin stehen. Es war ziemlich kühl, die Sonne verbarg sich noch hinter den Bergen, eine dünne Nebelschicht hing hoch oben über dem Tal, doch sie ließ genügend Licht durch, um eine gute Sicht über den Ort zu gestatten …
»Hier, diese Richtung!« Josz schien ungeduldig. Er eilte voran, geradewegs zu einem Aufbau, der sich noch ein Stück über die Ebene des Daches erhob: ein von einem hohen Geländer gesäumtes Podest. In der Betonumkleidung waren schießschartenähnliche Öffnungen zu erkennen. Mit einem Chip löste Josz den Sperrriegel des Drehkreuzes. Danach ging es über einige Stufen hinauf, und wieder blieb Robin nichts anderes übrig, als dem anderen zu folgen.
Auf der Plattform standen einige Scherenfernrohre herum, und zwar so, dass man mit ihnen in Richtung Talausgang blicken konnte. Josz trat an eines heran und löste die durchsichtige Schutzhülle.
Er deutete auf das daneben stehende Gerät. »Nimm dieses!« Es hörte sich wie ein Befehl an. Er schwenkte das seine in eine bestimmte Richtung, dann blickte er hindurch und schien etwas zu suchen.
»Ah – da ist es. Dort draußen steht das Haus von Gorosch. Oben, über dem Hang, das rote Ziegeldach … hast du es?«
Es war nicht schwer zu finden. Es war in den Hang hineingebaut, gleich dahinter erhob sich eine Felsgruppe. In Richtung Westen begann ein Wald. Als Robin das Fernrohr auf das Haus richtete, war er über den hohen Vergrößerungsgrad erstaunt. Er vermochte sogar die altmodische Bemalung der hölzernen Fensterflügel zu erkennen. An der rechten Seite war eine Plattform aufgeschüttet, die Basis für einen Dachgarten. Dort standen einige Palmen in großen Blumentöpfen, an der Wand reihten sich ein paar mit Gittern verschlossene Verschlage, davor ragten drei Stangen auf, nach oben hin mit Querstreben abgeschlossen.
»Was hat das …« Robin wollte etwas fragen, doch Josz mahnte mit einem Zischlaut zur Ruhe – als fürchtete er, dass sie vom optisch so nahe herangerückten Gebäude aus zu hören wären. »Da, er kommt. Du brauchst nur zu beobachten. Das ist die zweite Merkwürdigkeit in Goroschs Leben.«
Der Chef des Sicherheitsdienstes, in einer dicken Lederjacke und mit Handschuhen ausgestattet, trat an die Verschläge heran – Käfige, wie sich nun herausstellte. Denn er griff in den ersten hinein und holte einen stattlichen schwarzen Vogel mit einem gekrümmten Schnabel heraus, den er auf eine der Stangen setzte. Dasselbe wiederholte sich bei den zwei weiteren Käfigen.
»Falken«, sagte Josz. »Gorosch züchtet Falken.«
Der Security-Chef war mit den Vögeln beschäftigt, es war nicht im Detail zu erkennen, was er tat. Er trat an die Käfige heran, kam wieder zu den Sitzstangen zurück. Die Tiere waren unruhig, manchmal hoben sie die Flügel, und Robin wunderte sich darüber, wie groß sie dann wirkten – die Flügelspannweite maß sicher einen halben Meter oder mehr.
Robin erinnerte sich dunkel. »Hat man solche Vögel nicht früher bei der Jagd verwendet? Beschäftigt sich Gorosch mit der Jagd?«
»Nein«, beschied Josz kurz.
Gorosch stand wieder bei den Vögeln, er machte sich an einer der Sitzstangen zu schaffen, und dann sah es aus, als wolle er das Tier in die Luft werfen. Da breitete der schwarze Vogel die Schwingen aus und schraubte sich mit kraftvollen Bewegungen in die Höhe. Er wurde kleiner und kleiner und war bald nicht mehr zu erkennen. Inzwischen hatte Gorosch auch die anderen Falken von den Fesseln befreit und sie in die Luft entlassen.
»Fliegen sie ihm nicht davon?«, fragte Robin.
»Sie kommen von selbst zurück. Ich habe es schon einige Male beobachtet.«
Als wollte Gorosch den Beweis dafür antreten, griff er nach einem Gegenstand, der wie ein an einem Stab befestigter Federnbusch aussah, und schwenkte ihn in Kopfhöhe hin und her. Das schien zunächst keine Wirkung zu haben, doch dann erschien am Himmel ein schwarzer Punkt, der rasch größer wurde, dann folgten noch zwei weitere: Die Vögel kamen im Sturzflug zurück. Kurz vor der Landung stemmten sich ihre Flügel gegen den Fall. Gorosch streckte den Arm aus, und der erste der Falken ließ sich auf seiner mit einem Lederhandschuh geschützten Hand nieder. Ersetzte ihn auf die Stange, und die beiden Beobachter konnten zusehen, wie der Falke mit dem Schnabel nach etwas hackte, das Gorosch an einem Stab befestigt hatte – vermutlich Fleischstücke, Leckerbissen, die für die Tiere begehrenswert genug waren, um dafür die Gefangenschaft in Kauf zu nehmen.