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Während der Fahrt brach die Dunkelheit herein. Das monströse Bauwerk zeichnete sich nun schwarz gegen den etwas helleren Himmel ab, man konnte die Fenster gerade noch als rechteckige Umrisse erkennen, nur wenige waren erhellt. Wenn das die Flucht der Gastzimmer sein sollte, dann stand das Hotel so gut wie leer.

Endlich hatte ich mein Ziel erreicht und befand mich unterhalb eines dachartigen Vorbaus. Vor mir ein großer Schwimmkörper, einer der Pontons, die die Bohrinsel über Wasser hielten, und daran saß eine Plattform, die zum Andocken vorgesehen war. Ich fuhr geradewegs darauf zu und vertäute das Boot. Von dort aus führte eine steil ansteigende Leiter zu einem schmalen, durch ein Geländer geschützten Deck. Ich schulterte meinen Rucksack und stieg hinauf.

An der Seite regte sich etwas, eine Gestalt löste sich aus dem Schatten und trat auf mich zu.

»Da bist du ja endlich. Ich hatte dich schon vor zwei Tagen erwartet.«

Es war eine Frau, so viel konnte ich in der Dämmerung erkennen, und in ihrer Stimme war Tadel zu spüren. »Ich bin Ellen Warwick. Komm, ich bringe dich zum Eingang.«

Ich wollte etwas fragen, doch Ellen ging schon voraus. Sie beleuchtete den Weg mit einer Taschenlampe, und nun konnte ich etwas mehr von ihr sehen – sie trug einen Overall und Stiefel, auf dem Kopf hatte sie eine tief in die Stirn gezogene Fellmütze.

Sie führte mich zu einem Zwischengeschoss, ein stützender Unterbau für die große Plattform, auf der der Bohrturm wie auch der Kugelbau des Hotels ruhten. Es bestand aus einem Fachwerk von Stahlstreben, in seiner Mitte führte eine Wendeltreppe weiter hinauf. Wir befanden uns auf einem schmalen und stark vereisten Weg, der offenbar selten benutzt wurde. Er endete an einer windgeschützten Stelle, die von einer Mauer begrenzt war. Ich erkannte eine schmale Gittertür, dahinter eine weitere Treppe, und wollte darauf zugehen, doch Ellen hielt mich am Ärmel zurück und zog mich in eine Nische an der Wand.

»Dort oben liegt der offizielle Eingang, alle anderen sind derzeit gesperrt. Dort musst du durch eine Kontrolle. Die Sicherheitsvorschriften sind streng. Deine Ankunft wird etwas Aufsehen erregen, aber du brauchst ja nur deine Geschichte zu erzählen.«

Ich wusste nicht, wovon sie sprach. »Was für eine Kontrolle? Was ist denn hier los?«

Ellen blickte mich einen Augenblick lang verdutzt an. Dann sagte sie: »Ach, ich verstehe – du musst vorsichtig sein.« Sie überlegte kurz. »Ich habe jetzt keine Zeit, meine Identität nachzuweisen. Tu einfach, was ich dir sage. Also: Hier wartest du fünf Minuten. So habe ich genug Zeit, um hineinzugehen, denn sicher wird man mich rufen …«

»Ich dachte, alle anderen Zugänge sind versperrt«, wandte ich unwillkürlich ein.

»Ich bin die Geschäftsführerin und habe einen Universalschlüssel. Hast du verstanden, was zu tun ist?«

Ich nickte.

»Wir sehen uns gleich wieder. Aber kein Wort darüber, dass wir uns bereits getroffen haben. Ist das klar?«

»Verstanden.«

Ellen nickte mir flüchtig zu und ging den Weg zurück, den wir gekommen waren. Das Geräusch ihrer Schritte ging im Sturmwind unter, der hier, zwischen den Streben, freie Bahn hatte.

Ich blickte auf das Display meiner Uhr. Jetzt hatte ich erst einmal Zeit, um diesen seltsamen Empfang zu verarbeiten. Ich verstand nichts, dennoch zweifelte ich keinen Moment daran, dass ich Ellens Anweisungen folgen musste.

Fünf Minuten waren vergangen. Ich zögerte noch … war es die Unsicherheit, das Irritierende dieser Situation, was mich störte? Dann gab ich mir einen Ruck, warf den Rucksack über und ging los.

Eine breit ausladende Terrasse, ein paar flache Stufen, links und rechts ein Geländer, das aussah wie aus Kupfer geschmiedet. Ich hatte es von der Seite her, durch eine schmale, unauffällige Pforte, betreten. Der Boden geriffelt, aus einer Masse wie Beton, sauber, völlig frei von Schnee oder Eis. Wurde er beheizt? Mir kam es so vor, als fühlte ich Wärme aufsteigen.

Eine ganz leicht ansteigende Ebene, vor mir das Portal, eine zweigeteilte Glaswand. Als ich mich ihr näherte, glitten die beiden Flügel lautlos auseinander.

Ich trat in ein Foyer, das sich über mehrere Stockwerke erstreckte, die Etagen von hier unten durch Kränze kupferfarbenen Geländers zu erkennen. Ansonsten eine Hotelhalle wie viele andere auch, wenn auch weitaus feudaler. Teppiche, Blumentröge, Aquarien, im Hintergrund offene Durchgänge zu Seitenräumen, darin altertümliche Möbel großzügig verteilt. Wo waren die Kontrollen?

Ich hörte einen leisen Glockenton, und hinter einem Pult an der Rezeption erhob sich ein Mann in brauner Livree, der sich verstohlen die Jacke zuknöpfte und mir entgegenschaute. Plötzlich stand ein Page mit Käppi neben mir und nahm mir den Rucksack ab.

»Willkommen in unserem Haus. Ich bin der Concierge. Haben Sie reserviert?«

Ich kam nicht zum Antworten, denn ein Mann in schwarzem Anzug war aufgetaucht und schob den anderen beiseite.

»Entschuldigen Sie diese dumme Frage«, sagte er. »Ich bin der Gästebetreuer. Offenbar kommen Sie von außen, es ist nicht zu verkennen. Das ist höchst merkwürdig. Wie sind Sie denn hierher gelangt? Aber lassen wir das jetzt – es hat Zeit. Sie wirken mitgenommen. Legen Sie doch die Jacke ab. Und setzen Sie sich – am besten dort drüben.«

Ich wollte seiner Aufforderung folgen … und zuckte zusammen: zwei Maschinenpistolen waren auf mich gerichtet, eine von links, eine von rechts.

»Oh«, rief der Gästebetreuer, »keine Sorge, das ist nur eine Formalität. Leider unumgänglich. Wir haben eine Menge berühmter Politiker im Haus. Doch um die Sache abzumildern, haben wir nette Damen mit dieser Dienstleistung betraut.«

Tatsächlich: Es waren junge Frauen in grauen Uniformen; die Mündungen ihrer Waffen blieben präzise auf mich gerichtet, und ihre Gesichter ließen keine Milde erkennen. Inzwischen hatte ich meine Fassung wiedergefunden und versuchte diese Episode von der heiteren Seite zu betrachten. Ich setzte mich.

»Ihre Ankunft war nicht vorgesehen«, erklärte der Gästebetreuer. »Sie müssen wissen, dass in diesen Tagen hier die Konferenz beginnt.«

»Ich war mit einem Flugzeug unterwegs, doch dann musste ich abspringen – ein Notfall.«

Jetzt erst ging mir ein Licht auf: Ja, ich hatte davon gehört, in diesen Tagen sollten ja die internationalen Gespräche beginnen. An einem abgeschiedenen Ort, so hatte es geheißen. Könnte das der Tagungsort sein? Und genau da war ich hineingeraten! Was für ein merkwürdiger Zufall.

Jetzt fand ich das, was mir Ellen mitgeteilt hatte, schon ein wenig verständlicher, und ich wartete keine Aufforderung ab, sondern erzählte meine Geschichte.

Der Mann hörte interessiert zu, und dann sagte er: »Da haben Sie ja einiges mitgemacht. Ich will sehen, dass Sie möglichst rasch versorgt werden und zur Ruhe kommen. Aber Sie werden sicher verstehen: Ich muss zumindest Ihren Ausweis prüfen. Haben Sie Ihre I-Card dabei?«

Ich holte den Chip heraus. »Ist das das Richtige?«

»Oh, sehr gut. Einen Moment bitte …« Er nahm die Marke und ging damit zur Rezeption – wahrscheinlich kopierte er sie, denn es dauerte nur ein paar Sekunden.

Damit war aber die Prozedur noch nicht beendet.

»Bitte, nehmen Sie noch einmal kurz Platz«, bat mich der Angestellte. »Noch eine kleine Kontrollaktion. Ich habe das Personal schon gerufen. Es tut mir leid«, fügte er hinzu, »es dauert alles etwas länger, aber Ihre Ankunftszeit ist ungewöhnlich. Soll ich die Musik einschalten?«