Ich verzichtete darauf – allmählich begann ich die Geduld zu verlieren.
»Darf ich Sie bitten, mitzukommen?« Mein Betreuer wies auf einen Gang hinter der Rezeption und öffnete eine Tür. »Hier sind wir schon.«
Die Frau, die mich in Empfang nahm, war ihrem grünen Kittel nach zu urteilen eine Ärztin, der junge Mann neben ihr konnte ein Assistenzarzt sein. Im Hintergrund stand noch jemand, den ich fast übersehen hätte – ein bulliger Mann in einem blauen Trainingsanzug.
Die Ärztin bat mich, in einem Behandlungsstuhl Platz zu nehmen. Daraufhin entnahm sie mir eine Speichelprobe und steckte dann das Wattebäuschchen in ein LogiSet. Fast unverzüglich erschien mein Bild auf dem Schirm, das mich zu meiner Verwunderung nackt zeigte, dazu einige Datenreihen. Die Ärztin und ihr Gehilfe nickten einander zu, sie schienen mit dem Ergebnis zufrieden.
»Alles in Ordnung«, beschied mir die Ärztin und fügte dann hinzu: »– fürs Erste.«
Sie drückte einen Knopf, und der Betreuer erschien an der Tür.
»Sehen Sie, und schon ist die Sache erledigt. Es war doch nicht so schlimm, nicht wahr? Alles andere können wir morgen erledigen. Sie müssen nur noch zur Gepäckkontrolle, dann werden wir sehen, wo wir Sie unterbringen. Sicher haben Sie Verständnis dafür, dass Sie Ihr Zimmer zunächst nicht verlassen dürfen, bevor wir morgen die letzten Formalitäten erledigt haben.«
Er brachte mich in einen Raum, der sich kaum von den Gepäckschleusen auf Bahnhöfen und Flugplätzen unterschied. Der Page schleppte mit sichtlicher Mühe meinen Rucksack.
»Ich werde inzwischen die Geschäftsführerin rufen«, kündigte der Concierge an und verließ den Raum.
Zwei uniformierte Männer hatten mich bereits erwartet, und dann begann die übliche Suche nach Metall, Chemikalien, biotischem Material – mit Röntgen, Ultraschall, Molekularresonatoren und so weiter –, und das alles erheblich sorgfältiger, als es anderswo üblich war. Eigentlich hatte ich kein schlechtes Gewissen, aber eine gewisse Unruhe konnte ich dennoch nicht unterdrücken. Bald lagen sämtliche Teile meiner Ausrüstung über dem Tisch ausgebreitet, und die Beamten sahen sich alle etwas ratlos an.
Schließlich hielt mir einer der Männer mein nach wie vor defektes Funkgerät entgegen: »Ihren Sender müssen wir leider sicherstellen. Während der Konferenz besteht hier eine Nachrichtensperre, und diese Art von Gerät fällt unter die Sicherheitsbestimmungen.«
Was blieb mir anderes übrig, als mich zu fügen? Sonst aber gab es nichts zu beanstanden, ich wurde ins Foyer zurückgebracht – und dort stand Ellen und erwartete mich. Der Concierge trat vor und machte uns bekannt, dann wandte sich Ellen an mich. Zum ersten Mal sah ich sie ohne Vermummung – ein erfreulicher Anblick.
Sie blickte mich forschend an. »Ich kenne Sie vom Fernsehen und aus der Presse: Sie sind doch Sylvan Caretti. Es ist uns eine Ehre, Sie hier zu begrüßen. Die Umstände sind allerdings recht ungewöhnlich – Sie haben ja gehört: die Konferenz … Leider sind schon alle Suiten für die Diplomaten vorbereitet, und ich muss Sie in der Personaletage unterbringen. Aber ich habe dort noch ein hübsches Zimmer für Sie. Können wir gehen?«
Mit dieser Frage hatte sie sich an den Concierge gewandt, und dieser hatte unterwürfig genickt. »Die Eskorte wird Sie begleiten«, sagte er mit einer bedauernden Handbewegung.
Ellen warf mir einen kurzen verschwörerischen Blick zu. Dann führte sie mich zum Lift, und so wie angekündigt blieb eine der beiden Damen mit ihrer Waffe im Arm an unserer Seite. Auch der Page mit meinem Rucksack schloss sich uns an.
Wir fuhren ein halbes Dutzend Stockwerke hinauf und gelangten in ein Geschoss, das zwar nicht besonders luxuriös war, aber hell und sauber wirkte – stahlblau eloxierte Wände, Lampen mit Glasschirmen, nummerierte Türen …
Vor einer davon blieb Ellen stehen und öffnete sie mit einer Magnetkarte, die sie mir dann in die Hand drückte.
»Hier werden Sie nun die nächsten Tage verbringen. Richten Sie sich ein – viel Gepäck haben Sie ja nicht. Einige Kleidungsstücke finden Sie im Schrank.«
Das Zimmer war ganz nett und zweckmäßig eingerichtet: eine Sitzgarnitur mit zwei Stühlen und einer Couch, ein schmales Bett, an der Wand ein rechteckiger Tisch, auf dem ein Vidiphon und eine DigiBox bereit lagen, ein Fernsehgerät mit FlatScreen. Statt der Fenster gab es zwei runde Luken wie auf einem Schiff, in einem Nebenraum ein winziges Bad. Sicher sahen die Suiten der vornehmen Gäste ein bisschen anders aus, doch im Vergleich mit meinen Nachtlagern im Eis war es immer noch eine Stätte des Überflusses.
Während ich mich im Zimmer umblickte, musterte ich meine Begleiterin unauffällig von der Seite. Sie war nicht groß, doch sie hielt sich betont aufrecht, so dass ihre sportliche Figur gut zur Geltung kam. Für eine Geschäftsführerin eines so großen Hotels kam sie mir sehr jung vor; auf den ersten Blick schätzte ich sie auf dreißig, vielleicht auch etwas darüber.
»Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte sie. »Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie die Rezeption an. Und morgen werde ich mich bei Ihnen melden, wir werden dann sehen, wie wir Ihnen helfen können.«
Sie wünschte mir eine gute Nacht, ging hinaus und verschloss die Tür. Ich hörte, wie sich die Sperre schloss.
Ich bin Anstrengungen und Entbehrungen gewöhnt und lasse mich nicht leicht von der Erschöpfung überwältigen, aber jetzt, da die Spannung von mir abfiel, fühlte ich mich todmüde. Ich verzichtete darauf, ein Bad zu nehmen oder den Kühlschrank nach etwas Essbarem zu durchsuchen, sondern trank nur ein Glas Wasser. Ich war zu müde, um mich auszuziehen, und so ließ ich mich samt den Kleidern auf der Couch nieder und schloss die Augen – nur ein paar Minuten, nahm ich mir vor …
Ich erwachte, weil mich jemand am Arm rüttelte. Mir war, als wären nur ein paar Minuten vergangen. Ich richtete mich auf und brauchte ein paar tiefe Atemzüge, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen – sekundenlang wusste ich nicht, wo ich mich befand.
»Hast du die ganze Nacht über hier gelegen?« Neben mir stand Ellen und blickte auf mich hinunter. »Ich habe schon einige Male angerufen. Es ist spät.«
Ich murmelte etwas Unverständliches … Erst nach und nach fielen mir die seltsamen Umstände ein, die hier herrschten.
»Es wäre gut, wenn du rasch wieder zu Besinnung kämst. Dir steht etwas Unangenehmes bevor: Der Sicherheitsoffizier will dich sprechen – heute Vormittag noch.«
Das war keine besonders verlockende Aussicht, aber angeblich hatte ich ja nichts zu befürchten.
»Setz dich doch!«, sagte sie. Sie wies auf die Sitzgarnitur und trat dann an den Kühlschrank. »Sicher hast du noch nichts gegessen?« Sie holte ein Käsebrot heraus und legte es in den Kasten der Mikrowelle. Dann goss sie Wasser in ein Glas. »Da ist etwas gegen den Durst. Aus hauseigenem Eis, mit Mineralien versetzt.« Sie lachte. Dieses Lachen wirkte auf seltsame Weise beruhigend, und ich entspannte mich.
Die Käseschnitte begann verlockend zu duften – Ellen legte sie auf einen Teller und stellte ihn zusammen mit dem Glas vor mich auf den Tisch. Dann ließ sie sich mir gegenüber nieder.
»Ich kann ja verstehen, dass du vorsichtig bist«, fuhr sie fort, »aber mir gegenüber brauchst du wirklich nicht Verstecken zu spielen.«
»Warum sollte ich Verstecken spielen? Es ist so, wie ich sage: wir gerieten auf dem Flug zu unserem Ziel in ein Unwetter. Die Maschine drohte abzustürzen. Wir machten uns zum Absprung bereit, ich war als Erster an der Reihe. Ich bin gut gelandet, die Ausrüstung hatte ich dabei, und so habe ich mich auf den Weg zum Hotel gemacht. Was aus den anderen geworden ist, weiß ich nicht.«
»Das erklärt aber nicht, warum du dich verspätet hast«, warf Ellen ein.