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Meine Füße schmerzten; ohne die Impfung mit dem Kältemittel, die ich zur Vorbereitung meiner Reise bekommen hatte, hätte ich mir sicher Erfrierungen zugezogen. Jetzt fehlte mir nur noch eine heiße Dusche. Ich streifte die Kleider vom Leib, drehte die Brause auf und genoss es, als sich das Wasser über mich ergoss.

*

Meine Bekanntschaft mit Ellen und das, was sich daraus entwickelt hatte, stand in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem, was ich immer noch als unabdingbare Pflicht ansah. Für einen in jeder Hinsicht unabhängigen Einzelgänger wie mich war damit ein völlig neues Element in mein Leben getreten – die Ahnung von etwas Schönem und Wertvollem. Unter anderen Umständen hätte es mich voll und ganz erfüllen können. Jetzt allerdings …

Erst später drängte mich diese verwirrende und beunruhigende Situation zum Vergleich mit früheren Erfahrungen, und wieder einmal stieß ich bei meinen Versuchen, mich zu erinnern, auf eine düstere Leere. Manchmal gelang es mir, für kurze Momente etwas Vergangenes wachzurufen; es waren keine konkreten Ereignisse oder Bilder, sondern eher Gefühle, deren Ursachen und Zusammenhänge ich nicht zu fassen bekam – sobald ich es versuchte und schon glaubte, etwas davon festhalten zu können, verflüchtigte es sich auch schon wieder. So vage diese Eindrücke auch waren, so brachten sie doch eine gewisse Ahnung mit sich, dass ich früher einmal zu Gefühlen fähig gewesen war, die dem nahe kamen, was ich jetzt empfand. Es war, als hätte es sich vor langer Zeit zugetragen, und der Verdacht lag nahe, dass auch der Verlust dieses Stücks meiner Vergangenheit an dem Eingriff lag, den man an mir vorgenommen hatte.

Diese Maßnahme war mir bisher erklärlich und akzeptabel erschienen, es war ja die übliche und wahrscheinlich auch die einzig wirksame Art, Agenten davor zu bewahren, ihre Geheimnisse preiszugeben. Doch zum ersten Mal nahm ich es meinen Auftraggebern übel, dass sie mir etwas weggenommen hatten, das Teil meiner Persönlichkeit war. Trotzdem glaubte ich zu wissen, dass alles, was früher geschehen war, nicht an das herankam, was ich in diesen Tagen erlebte.

Ich hatte nicht viel Zeit, mich diesen Gedanken hinzugeben, denn einerseits gab es genug zu tun, und während der kurzen Stunden, in denen ich mit Ellen zusammen war, erschien diese Art von Seelenforschung gegenüber der Realität ohne größere Bedeutung.

So fühlte ich mich geradezu glücklich, als ich am Morgen des nächsten Tages mit Ellen in der Kantine beim Frühstück saß. Jetzt erst kam ich dazu, ihr von meinem Erlebnis während des Erkundungsgangs auf der Bohrinsel zu erzählen. Über die Tatsache, dass dort Techniker am Werk waren, die sich an den Einrichtungen zu schaffen machten, war sie erstaunt und beunruhigt – sie konnte sich nicht vorstellen, was da vor sich ging. Denn von einer bevorstehenden Probebohrung war ihr nichts bekannt. Es war durchaus möglich, dass diese Leute mit simplen technischen Wartungen beschäftigt waren, aber ebenso gut konnten ihre Aktivitäten im Auftrag unserer Gegner erfolgen. Für alle Fälle nahm ich mir vor, ein Auge darauf zu haben.

Ellen verabschiedete sich bald, und ich holte mir noch einen Teller mit eingelegten Früchten, bevor ich mich in das Zimmer zurückzog. Ich schaltete den Nachrichtenkanal des Fernsehens ein.

Ein weiteres Mal beschwor der Kommentator die Ruhe dieser Zufluchtsstätte, die die Delegierten vor der Zudringlichkeit der Neugierigen bewahren sollte. Hier konnten sie sich frei bewegen, ohne die Bodyguards, die ihnen ständig auf den Fersen waren, um sie vor Anschlägen zu schützen; ohne die Medienberater, die ihnen ununterbrochen zuflüsterten, wie sie sich geben und was sie sagen sollten; ohne die Protokollbeamten, die ihnen vorschrieben, wen sie mit einer Verbeugung, mit einem Händedruck, mit einer Umarmung oder auch mit herablassendem Zuwinken grüßen sollten.

Zwischendurch gab es ausführliche Informationen über die teilnehmenden Persönlichkeiten. Man sah sie bei früheren Veranstaltungen, bei Interviews, in ihren Privaträumen und im Privatleben – ganz offensichtlich ging es darum, ihre Wichtigkeit zu unterstreichen. Vielen von ihnen war ich in den letzten Tagen bereits im Hotel begegnet, die meisten waren mir aus den Medien bekannt, aber jetzt sah ich sie mir natürlich mit anderen Augen an. Aus den Szenen, die sie bei früheren Anlässen, bei öffentlichen Sitzungen oder bei Feierlichkeiten zeigten, konnte man schließen, dass sich die meisten gut kannten und ein herzliches Verhältnis zueinander hatten. Spielten sie alle nur Theater? Denn aus früheren Meldungen wusste ich, dass es auch erbitterte Gegner unter ihnen gab.

Ein »entscheidender Schritt zur Gemeinschaft aller Menschen auf der Erde« sollte es werden, das verkündete der Reporter. Doch für wen von diesen mächtigen und stolzen Personen war das wirklich das vorherrschende Ziel, und wer gab es nur vor? Wer hatte gute Absichten, und gegen wen musste man sich wehren? Wer war ehrlich oder falsch, wer war wohlwollend oder missgünstig, wer war stark oder schwach, wer war intelligent, und wer ließ sich übertölpeln? In den nächsten Tagen würde es sich erweisen.

Was ich da zu sehen bekam, begann mich bald zu langweilen. Jetzt, da ich mit meinen Vorbereitungen fertig war und es nur noch darum ging, auf die Ereignisse, die da kommen sollten, zu warten, wurde ich plötzlich ungeduldig. Aber diese paar Stunden würden auch noch vorübergehen, und dann war die Zeit der Vorbereitungen und des Wartens vorbei.

Mittwoch, 30. April

Regenwolken hingen reglos über den Häusern. Sie hatten sich im Tal gefangen.

Es nieselte. Und so trüb wie der Tag war auch Robins Stimmung. Er begriff nicht, wie Michèle ihn so abrupt verlassen konnte. Noch als er vor dem Hochbau des Gerichtshofs ankam, gingen ihm die Erlebnisse des letzten Abends durch den Kopf.

Schon am Eingang merkte er, dass sich etwas Ungewöhnliches ereignet hatte, und das lenkte ihn ein bisschen von seinen Grübeleien ab. Und dann las er auf der großen Tafel im Foyer: »40 Angehörige des Internationalen Gerichtshofs verhaftet.«

Im Eingangsbereich hatten sich Gruppen gebildet, die über diese Meldung diskutierten und sich nicht erklären konnten, was da geschehen war. Zum allgemeinen Erstaunen gehörten die meisten Festgenommenen dem Sicherheitsdienst an. … »wegen Steuerhinterziehung«, hieß es, was die Sache für die Uneingeweihten noch merkwürdiger machte. Donnerwetter, dachte Robin, es ist tatsächlich so verlaufen, wie Josz es geplant hatte.

Diese Neuigkeit vermochte Robins trübe Stimmung für kurze Zeit zu vertreiben. Eilig suchte er sein Büro auf – er war gespannt darauf, Einzelheiten des Coups zu erfahren. Es merkte, dass das Alarmlämpchen seines Vidiphons blinkte … Als er die Verbindung zum Anrufer herstellte, hörte er die aufgeregte Stimme von Masterson. Er sagte nur: »Josz ist bis jetzt nicht eingetroffen, und ich kann ihn nicht erreichen. Es gibt eine Menge zu tun, ich komme allein nicht zurecht. Bitte, komm in mein Büro.«

Robin versprach es. Vorher versuchte er noch rasch, Michèle zu erreichen, doch er erfuhr, dass sie in einer Besprechung sei und nicht gestört werden dürfte.

Zu dem Direktionsassistenten hatte Robin kein gutes Verhältnis. Den störte es offenbar, dass Robin in den letzten Wochen an Prestige gewonnen hatte, und er sah ihn als Konkurrenten. Doch an diesem Morgen war alles anders: Es war deutlich zu bemerken, dass Masterson ein Stein vom Herzen fiel, als Robin im Büro auftauchte, wo er den Assistenten bleich und aufgelöst vorfand. Josz war an diesem Morgen nicht ins Büro gekommen, wo sie sich schon um sechs Uhr früh hatten treffen wollen, und bisher waren alle Nachforschungen nach ihm vergeblich geblieben.

»Ich weiß nicht, was ich noch tun könnte«, jammerte Masterson, und Robin empfand fast Mitleid mit ihm und versuchte, ihn zu beruhigen. »Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Es müssen ja Spuren zurückgeblieben sein, die man finden kann. Es sei denn, Josz hat sich in Luft aufgelöst?« Er konnte sich diesen kleinen Spott nicht verkneifen, doch er fuhr gleich wieder ernst fort: »Ich melde mich, sobald ich etwas herausgefunden habe.«