Dass wir damit das Richtige getroffen hatten, ließ sich schon bald aus den vielen Meldungen ersehen, die in Fernsehen und Presse verbreitet wurden, ehe das Abenteuer überhaupt begonnen hatte. Zur Freude meiner Ausrüster erschienen so eine Menge Aufnahmen von mir, auf denen ich – dick in ihre grellfarbenen Kleidungsstücke verpackt – zu sehen war. Es gelang mir aber, auch ein paar Fotos aus dem Fitnessraum unterzubringen, wo man die Muskeln an meinem freien Oberkörper bewundern konnte.
Nun endlich saß ich im Flugzeug, das die Agentur bereitgestellt hatte. Wir ließen die bewohnten Gebiete hinter uns, eine lange Strecke über eine blaugrüne, scheinbar unbewegt daliegende Wasserfläche, dann schob sich ein weißer Fleck langsam ins Gesichtsfeld und nahm bald die gesamte Breite des Fensters ein.
Während wir bisher in ungetrübtem Sonnenschein geflogen waren, gab es hier harmlos aussehende Wölkchen, die sich, sobald man ihnen näher kam, als Nebelschwaden entpuppten – eine graue Masse, die an die Fenster zu drücken schien.
Zunächst brauchten wir nur kurze Zeit, um diese Stellen zu durchqueren, dann kam die Sonne wieder zu ihrem Recht. Da wir nicht besonders hoch flogen, konnte ich die Eisformationen gut erkennen. Es waren Ansammlungen von Eisblöcken, die sich da und dort zu Hügeln und Mauern fügten, dann wieder folgten flache, von dicht stehenden Stelen besetzte Täler. Dazwischen bemerkte ich größere und kleinere Wasserflächen, Folgen der Schmelzprozesse, die von Jahr zu Jahr früher einsetzten.
Als wir wieder einmal aus einer Nebelwolke auftauchten, bot sich uns ein überraschender Blick: Wir befanden uns über einem dunklen See, nahezu kreisförmig, rund einen Kilometer im Durchmesser. In der Mitte lag eine Insel mit einem silbrig glänzenden kugelförmigen Gebäude, daneben ein hoch aufragender Bohrturm.
Der Pilot hatte offenbar mein Erstaunen bemerkt, denn er drehte eine Kurve, die mir bessere Sicht ermöglichte. »Das ist das bekannte Globe-Hotel«, erklärte er. »Es steht auf einer Bohrinsel. Sie suchen Erdöl. Eine verrückte Idee, dort ein Hotel hinzusetzen – für Gäste, die den Zauber des ewigen Eises genießen wollen, ohne auf den gewohnten Luxus zu verzichten. Da ist es schon ein wenig bequemer als in deinem Eisbiwak. Sollen wir dich nicht lieber hier absetzen?« Er lachte noch eine Weile in sich hinein.
Wir schlugen wieder die ursprüngliche Richtung ein, der dunkle See verschwand hinter grauem Dunst.
Bald darauf gerieten wir in eine Wolkenschicht, die kein Ende nahm – Blindflug, bei dem man sich nicht von der Stelle zu bewegen schien.
Der Kopilot drehte sich um und sagte: »Das sieht nicht gut aus, alter Kumpel, aber da müssen wir durch. Es ist noch ziemlich weit bis zum Ziel – mindestens noch zwei Stunden. Dann lassen wir dich raus.«
Das Flugzeug war von der Agentur bereitgestellt worden, und die beiden Piloten benahmen sich so, als wären wir gute Bekannte. Obwohl ich mich an die beiden nicht erinnern konnte, ließ ich es mir nicht anmerken. Diese bei mir auftretenden Aussetzer waren mir äußerst peinlich, aber das ging die beiden nichts an. Noch zwei Stunden, dann war ich sie los.
Wieder einmal machte ich mir Gedanken über die Ursachen und die Konsequenzen meiner Gedächtnisschwäche. Sie erwies sich als schlimmer, als ich zunächst angenommen hatte. Schon einige Male hatten mich Personen angesprochen, die vertraut taten, mir aber fremd waren. Irgendwie war ich mir langsam selbst fremd geworden. Natürlich sprach ich nicht darüber, sonst hätte man mir womöglich die Tour vermasselt.
Diese Psychologen können unangenehm werden. Ein paar dumme Bemerkungen, und die Versicherung spielte nicht mehr mit.
Diesen Zustand habe ich einem Unternehmen im Massiv des Taurus in der Türkei zu verdanken. Dort, auf einer Karsthochfläche, gibt es einen der tiefsten Schächte der Welt, und ich hatte mich zu einem Gleitschirmflug überreden lassen, der bis zum tiefsten Punkt des Schachtes führen sollte. Mit einem Raketenstuhl ließ ich mich 300 Meter hoch tragen, dort koppelte ich mich ab. Ich öffnete den Gleitschirm – eine Spezialkonstruktion, die sich auf die Funktion eines lenkbaren Fallschirms umstellen ließ –, visierte die Schachtöffnung an und flog dann in eleganten Kurven darauf zu. Mit Genugtuung sah ich eine Menge Zuschauer, die von einer provisorisch errichteten Seilbahn hierher gebracht worden waren, außerdem hatten sich rund um die Schachtmündung herum mehrere Fernsehteams niedergelassen, die ihre Kameras auf mich gerichtet hatten.
Exakt in der Mitte tauchte ich in die Mündung ein. Nun waren es noch genau 14 Meter, bis ich aktiv werden musste. Genau im richtigen Augenblick betätigte ich den Hebel, der vom passiven Sinkflug zur Gleitschirmfunktion wechselte, und legte mich unverzüglich steil in die Kurve. In einer engen Schraubenlinie sollte es weitergehen, und das forderte meine volle Konzentration.
Ich sank rasch abwärts, ich näherte mich einer Verengung im Schachtverlauf, die ich sehr präzise ansteuern musste. Ich glaubte schon, das Schwierigste sei überstanden … Mit einem Mal Dunkelheit um mich, meine Augen noch voll an das sonnendurchflutete Tageslicht angepasst, doch jetzt war ich von einer grauen Masse umgeben, und eine Sekunde lang fühlte ich mich wehrlos und hatte beschämende Angst. Doch der Spuk war rasch vorbei, noch befand ich mich im oberen Drittel des ungewöhnlich geräumigen – und daher für unsere Unternehmen gut geeigneten – Schachtes, schon 120 Meter unter der Mündung. Das Licht kam nun von einem Scheinwerfer, den wir vorher auf einer Stufe in mittlerer Höhe des Höhlenraums montiert hatten. Es reichte aus, um die Felspartien plastisch hervorzuheben. Zwar kam ich bedenklich nahe an eine Wand heran, aber nun konnte ich gezielt reagieren und über die Lenkschnüre die Richtung bestimmen, wie ich es gewohnt war.
Jetzt fühlte ich mich wieder sicher, im Überschwang der Gefühle vielleicht sogar ein wenig mehr, als empfehlenswert war. Das Ziehen der engen Kurven, die mich in der Mitte des Schachtes hielten, war ein Vergnügen, das ich genoss. Gelegentlich verengte sich der Schachtraum, und deshalb geriet ich mehrmals unversehens in dunkle Bereiche, die ich notdürftig mit der Helmlampe ausleuchtete, aber das waren immer nur kurze Strecken.
»Männer, ich komme!«, rief ich meinen unten postierten Helfern von der Agentur zu. »Stellt den Champagner warm!«
Rasch näherte ich mich meinem Ziel – dem Grund des Schachtes. In dieser Tiefe traten zum ersten Mal Tropfsteinformationen auf, ganze Reihen von Stalaktiten schimmerten als weiße Vorhänge im Dunkel. Es war eine Freude, diese seltsamen Gebilde aus der Nähe zu sehen. Manche waren mit Kristallen besetzt, die im Licht meiner Lampe wie Diamanten glitzerten.
Zur Markierung hatten wir an sorgfältig ausgesuchten Stellen der Felswände mit Leuchtfarbe ein paar Richtungspfeile aufgemalt, an die ich mich bei meinen Steuermanövern halten konnte, und seitlich in der Tiefe war schon das blinkende Lichtsignal des Landungsplatzes zu erkennen: ein Dutzend Lampen, in einem Kreis aufgestellt, innerhalb dessen ich aufkommen sollte. Also noch ein paar Lenkimpulse in seitliche Richtung knapp unter der Decke entlang … und da geschah es. Eine Felsnase, vielleicht ein Tropfstein … Ein dröhnender Schlag auf den Kopf, zum Glück durch den Helm gedämpft, aber doch stark genug, um mir die Besinnung zu rauben.
Was dann geschah, erlebte ich in einem seltsamen Dämmerzustand. Wie man mir berichtet hatte, landete ich zwar nicht im Zielkreis, aber doch weich und ungefährdet in einer lehmgefüllten Mulde. Ein Arzt, den meine Agentur vorsorglich am Schachtgrund postiert hatte, verabreichte mir eine Injektion, und so gelang es ihm, mich wieder einigermaßen in den Wachzustand zurückzubringen – es war wichtig, vor den Journalisten, die oben warteten, in die übliche Begeisterung auszubrechen. Niemand durfte von meinem Missgeschick erfahren – das hätte die Werbewirkung beeinträchtigt. Der Pressesprecher der Agentur hatte sich zuerst aufseilen lassen und verkündet, dass sich der Held etwas mitgenommen fühle und nur kurz zur Verfügung stehen könne.