»Eben habe ich einen Freund besucht«, sagte Robin. »Er ist aus Versehen festgenommen worden. Der Betrag, um den es da geht, ist lächerlich gering, er hat ein paar Mal beim Wettkegeln gewonnen. Ich bin sicher, dass ich ihm helfen kann. Vielleicht kann ich auch etwas für dich tun. Um welche Beträge handelt es sich? Wofür hast du Geld bekommen?«
Fay zögerte etwas mit der Antwort. »Ich habe Material gesammelt. Für einen Journalisten, er wollte einen Artikel über den Gerichtshof schreiben. Dafür hat er mir ein Beschaffungshonorar gegeben – ohne Quittung, es sollte unter uns bleiben.«
Robin wiegte abschätzend den Kopf, »– wenn das alles ist! Ich werde dafür sorgen, dass man dich entlässt.«
»Das wäre fein«, antwortete Fay, doch ihrem Gesichtsausdruck ließ sich entnehmen, dass sie in Robins Versprechen nicht allzu viel Vertrauen setzte. Robin nickte ihr zu: »Es kommt schon alles in Ordnung«, versprach er. Er drehte sich um und winkte der Polizistin, die so tat, als hätte sie die beiden nicht die ganze Zeit beobachtet. »Ich bin fertig.« Sie versperrte die Tür und führte Robin zur Pforte zurück.
Die Konferenz
Für den Ablauf der Konferenz gab es nun einen genauen Plan. Die Zeittafel war auf einem großen Display im Foyer des Hotels zu sehen, sie war auch schon vorher über das interne Netz bekannt gegeben worden. So war auch ich bestens auf all das vorbereitet, was für die nächsten Tage geplant war. Der Beginn der entscheidenden Sitzungen – und damit die produktive Arbeit – war auf morgen verschoben worden, für den heutigen Tag waren nur drei offizielle Programmpunkte vorgesehen: die Begrüßung durch den Moderator im Festsaal, eine gemeinsame feierliche Mahlzeit im Restaurant und ein Roboter-Ballett im Theaterraum.
In den langen Pausen konnten sich die Diplomaten in kleinen Gruppen zu Vorgesprächen treffen. Meine Geräte kamen dabei noch nicht zum Einsatz, denn bei der Installation hatte ich mich in erster Linie auf den Sitzungssaal beschränkt. Vielleicht erwies es sich später als nötig, auch noch anderswo Mikrophone oder Minikameras anzubringen, aber dabei wollte ich zurückhaltend sein, denn jede Erweiterung des Abhörsystems erhöhte auch die Gefahr einer Entdeckung.
Trotzdem blieb ich nicht untätig. Durch meine mir von Ellen überlassene Plakette war ich ja als Angehöriger des Hotels ausgewiesen und konnte – mich unauffällig im Hintergrund haltend – einiges vom Geschehen persönlich beobachten. Vor allem erschien es mir wichtig, mir ein Bild von den Teilnehmern zu machen. Sooft sich Gelegenheit dazu bot, beobachtete ich sie und versuchte mir die typischen Eigenschaften einzuprägen.
Die offizielle Begrüßung wurde über den internen Fernsehkanal übertragen. Es waren fast nur Floskeln, die da ausgetauscht wurden, Begrüßungen, Danksagungen und, wenn jemand seine Überlegenheit besonders herausstellen wollte, auch ein paar harmlose Scherze. Es war aber auch ganz aufschlussreich, die Leute im privaten Bereich zu beobachten, bei Gesprächen mit Kollegen und im Umgang mit dem Personal, wo manche ihrer Charaktereigenschaften deutlicher wurden als bei öffentlichen Anlässen.
Außerdem bot mir diese Übertragung Gelegenheit zu einer Stimmanalyse – eine Routine, die die Effektivität der Abhöraktivitäten erheblich erweiterte: Durch ein semantisches Filter war das System in der Lage, aus einer scheinbar unentwirrbaren Überlagerung aufgenommener Gespräche einzelne herauszulösen und dabei auch die Namen der beteiligten Personen zu vermerken.
Gegen acht Uhr abends meldete sich Ellen und fragte mich, ob ich mir mit ihr das Roboter-Ballett ansehen wollte, das über das hausinterne Netz übertragen wurde; als Gastgeberin hatte man sie eingeladen. Ich stimmte gern zu, auf diesem Gebiet gab es immer wieder interessante neue Attraktionen.
In der Tat: Es waren keine Industrieroboter, die da auftraten, sondern Spezialanfertigungen: die Körper mit silbernen Schuppen bedeckt, die Bewegungen geschmeidig, die Gesten lasziv – eine bemerkenswerte Vorführung, aber trotzdem konnte ich mich nicht völlig entspannen. Seit die Konferenzteilnehmer hier angekommen waren, stand ich unter Hochspannung: Es gab nur noch meine Aufgabe, alles andere war nebensächlich. Am Abend entschuldigte ich mich bei Ellen: Ich hätte noch einiges zu tun. Eigentlich hatte ich das gar nicht vorgehabt – irgendetwas in mir hatte gegen meinen Willen gehandelt.
Als ich später allein in meinem Zimmer war, versuchte ich, meine Eindrücke von den Politikern zu verarbeiten.
Von den Leuten, die über das Schicksal der Welt zu bestimmen hatten, war ich schwer enttäuscht. Ich hatte mir die Vertreter der Spitzendiplomatie ganz anders vorgestellt – Persönlichkeiten von Rang, deren Kompetenz schon aus der Art ihres Auftretens und aus dem Umgang untereinander zu erkennen war, aber davon war keine Rede. Von der Eleganz, mit der sie sich angeblich auf dem diplomatischen Parkett bewegten, war nicht viel zu bemerken. Einige wirkten arrogant, andere unsicher. Vielleicht lag es daran, dass hier das Begleitpersonal fehlte: die persönlichen Berater, die den Diplomaten die Informationen über ihre Fachgebiete zuflüsterten; die Hüter der Etikette, die ihren Dienstherren jeden Schritt vorschrieben; die Psychologen, die mit Pillen und Spritzen für die erwünschten Gemütsverfassungen zuständig waren. Ohne diese Unterstützung wirkten sie nicht viel anders als eine zusammengewürfelte Schar betuchter Touristen, die der Zufall in einem vornehmen Ferienort zusammengebracht hatte. Besonders überraschte mich, welch seltsame Marotten diese Leute hatten. Der vornehme Owen Downfield zum Beispiel, dessen Entscheidungen die Geldmärkte und Aktienkurse massiv beeinflussten, fiel von Zeit zu Zeit in eine geistesabwesende Starre, während der er nicht ansprechbar war – er erwähnte einmal, dass er dabei neue Ideen entwickelte.
Der Vorsitzende der Kooperative Schwerindustrie zog bei jeder Gelegenheit Holographien seiner Familienangehörigen aus der Jackentasche und erwartete Interesse und Bewunderung, und ähnlich verhielt sich die Repräsentantin der Wirtschaftszweige Industrie und Verkehr, eine ehemalige Spitzensportlerin aus Russland, die stets mit umgehängten Medaillen herumlief und von ihren Erfolgen im Fünfkampf erzählte.
Eine auffällige Erscheinung war besonders der nicht mehr ganz junge Vertreter der Internationalen Gewerkschaft, der angeblich vor langer Zeit irgendeine sozial motivierte Revolution in Südamerika angezettelt hatte. Nach den umlaufenden Gerüchten war er aber ein schauspielerisch begabter Manager, der von den Arbeitervertretern mit der Führung des Internationalen Gewerkschaftsbunds betraut worden war, als sich dieser in ein Wirtschaftsunternehmen umwandelte. Er trug eine Art Tarnanzug, in dessen Taschen er ständig nach zwei altmodischen Brillen suchte, die er abwechselnd aufsetzte.
Das waren die besonders auffälligen Gestalten in dieser Runde, von denen alle stimmberechtigt waren. Alle außer einem: Jerome Mangali, der schwarze Afrikaner, erfüllte die Funktion eines Konferenzleiters und Koordinators und durfte sich als neutrale Instanz an den Abstimmungen nicht beteiligen. Er hatte für jeden seiner Kollegen ein Exemplar seines in Esperanto geschriebenen Buchs ›Der Januskopf der Wirtschaft mitgebracht.
Einen Teil meiner Informationen bekam ich, indem ich die Damen und Herren bei ihren Gesprächen belauschte; ich hatte mich nun doch entschlossen, in den Sitzecken einige meiner winzigen Abhörautomaten zu verstreuen. Sie übertrugen zwar höchstens mit einer Reichweite von 15 Metern, in den meisten Fällen konnte ich mich aber unauffällig hinter der nächsten Ecke verbergen. Wenn es nötig war, konnte ich die Übertragung aber auch über ein in der Nähe verstecktes Relais leiten.
Gelegentlich kam ich auch selbst mit den Gästen in Kontakt, die mich für einen Angestellten hielten. Der Chinese Jafei fragte mich mit Unterstützung seines Translators, warum im Fitnessraum kein Tischtennistisch aufgestellt sei, und ich musste ihm versprechen, einen zu besorgen. Ellen war solche Extrawünsche ihrer Gäste gewohnt. Am Abend stand der Tisch bereit, doch dann fand der Chinese keinen Spielpartner, der es mit ihm aufnehmen wollte.