»Vielleicht haben wir Glück?«, flüsterte ich.
Ich zog mir den Ohrenclip über, schaltete auf höchste Sendeleistung und gab durch einen Knopfdruck den Adresscode ein. Als automatisch auf Empfang umgeschaltet wurde, fuhr ich erschrocken zusammen, denn aus dem Lautsprecher kam ein ohrenbetäubendes, schmerzverursachendes Rauschen. Der Ursprung des Geräusches musste ganz nahe liegen. Ich verminderte die Lautstärke, das Rauschen wurde leiser.
»Was ist da los?«, fragte Ellen.
»Zu früh gefreut«, antwortete ich und rieb mir mein Ohr, das immer noch taub war. »Hör mal!« Ich hielt ihr den Lautsprecher in angemessener Entfernung ans Ohr. »Die haben einen Störsender in Betrieb genommen.«
»Was kann man dagegen tun?«
»Er muss ganz in der Nähe sein. Vielleicht finde ich ihn und kann ihn ausschalten.«
Wir kehrten ins Foyer zurück. Als wir es betraten, erwartete uns eine neue Überraschung: Die Halle sah wie ein Heerlager aus, da gab es herumliegende Waffen, Tornister, Blechbehälter und anderes Gerät, dessen Zweck nicht zu erkennen war. Und darum herum standen die uniformierten Angehörigen des Sicherheitsdienstes, die ungeduldig auf etwas zu warten schienen. Als sie uns bemerkten, jagten sie uns mit erhobenen Waffen davon.
Wir zogen uns ins Treppenhaus zurück, und Ellen war neugierig genug, um in das Restaurant in der ersten Etage zu fahren, und ich kam mit ihr. Dort oben gab es ein großes Panoramafenster.
Schon als wir ins Restaurant kamen, war das Geräusch eines landenden Helikopters zu hören. Es war eine schwere Transportmaschine, und wir beobachteten, dass sich alle Soldaten samt ihrem Gerät darin unterbringen ließen. Solche Manöver schienen nichts Neues für sie zu sein, denn im Nu waren alle im Rumpf des Transporters verschwunden. Gleich darauf erhob er sich schwerfällig, aber zugleich mit sichtlicher Kraft in die Luft.
Ellen kam zu mir und lehnte sich an mich. »Jetzt wird es ernst«, flüsterte sie. »Ich glaube, die lassen uns hier einfach zurück. Es wäre gut, wenn du Funkkontakt aufnehmen könntest.«
»Ich werde alles versuchen«, antwortete ich und bemühte mich, dabei überzeugend zu wirken. Ich hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt und hielt sie einige Sekunden lang fest. »So schnell geben wir nicht auf.«
Es gab keine Zeit zu verlieren. Wir trennten uns, Ellen wollte sich um die Diplomaten kümmern und sie aus ihren verschlossenen Zimmern befreien, und ich wollte versuchen, etwas über die Position des Störsenders herauszufinden. Ich stellte fest, dass seine Sendestärke nach oben hin zunahm. Das brachte mich auf eine Vermutung, die ich vom höchsten Stockwerk aus bestätigen konnte: Offenbar hatte man den Sender weit oben am Bohrturm angebracht.
Vielleicht konnte ich ihn ausschalten? Dazu musste ich den Hotelkomplex verlassen. Glücklicherweise war das Wetter ganz gut, nur wenige Wolken, sonst blauer Himmel, doch eisig kalt. Und so holte ich mir zunächst warme Kleidung aus meinem Zimmer und dann noch einen Hammer und ein Stemmeisen aus der Gerätekammer. Ich verstaute alles in einer Umhängetasche und zog los.
Diesmal war es nun nicht mehr schwierig, hinaus ins Freie zu kommen: Ich benutzte den Weg über die Hubschrauberplattform, die jetzt nicht mehr bewacht war, und erreichte über ein paar Stufen den zentralen Platz am Fuß des Bohrturms. Oben konnte ich Eisenleitern erkennen, die am Gerüst hinaufführten, der Zugang dürfte hier unten liegen. Ich machte mich im unübersichtlichen Gelände zwischen den begehbaren Containern auf die Suche, die offenbar als Werkstätten oder Wohnräume dienten. Doch das Gelände sah völlig verlassen aus.
Als ich um einen Stapel aus Kunststoffplatten bog, stand plötzlich eine Person vor mir, ein junger Mann in Uniform, der eine Schockpistole auf mich richtete.
»Keine Bewegung, Hände hoch!«
Der Soldat trat auf mich zu. Die Pistole immer noch auf mich gerichtet, nahm er mir die Tasche weg und tastete mich nach Waffen ab.
»Was hast du hier zu suchen?«, fragte er. Er machte einen unsicheren und gehetzten Eindruck, und ich erholte mich rasch von meinem Schrecken. Trotz seiner Waffe sah er nicht gefährlich aus.
»Das könnte ich dich auch fragen«, antwortete ich. »Warum bist du zurückgeblieben? Alle anderen deiner Truppe sind heute Mittag abgeholt worden.«
Ich sah das ungläubige Staunen in seinem Gesicht, ein wechselndes Mienenspiel, das Ratlosigkeit und Angst verriet. »Das ist nicht wahr – man kann mich doch nicht vergessen haben«, stammelte er.
Er stand so nahe vor mir, dass ich ihm die Pistole leicht hätte entreißen können, aber Gewalt war gar nicht notwendig. Ich hob meine Hand, legte sie an den Lauf und schob die Waffe etwas beiseite.
»Darüber können wir uns später unterhalten«, schlug ich vor. »Im Moment gibt es Wichtigeres zu tun. Wir alle, die zurückgeblieben sind, befinden uns in großer Gefahr. Ich muss Hilfe herbeirufen. Siehst du, dort oben …«, ich deutete zur Spitze des Mastes hinauf, »dort ist ein Störsender. Ich muss ihn ausschalten, sonst bekomme ich keine Funkverbindung.«
Der Mann starrte mich entgeistert an. »Den haben wir doch erst heute Mittag montiert.«
Ich ließ mich auf keine Erklärungen ein. »Das ist es ja eben«, sagte ich. »Wie kommt man da hinauf? Wo ist der Zugang?«
Jetzt endlich schien er zu verstehen. »Komm mit!«
Er führte mich um einen weiteren Container herum. Von dort ging es über eine schmale Treppe auf eine enge Plattform. Wir standen direkt unterhalb des turmartigen Gerüsts, in dessen Mitte eine dicke, senkrecht stehende Röhre für das Bohrgestänge eingebaut war. Durch ein Loch im Boden setzte sie sich in die Tiefe fort.
Der Soldat zog an einer Stange und klappte eine oben eingehakte Eisenleiter herunter. »Sei vorsichtig«, riet er mir. »Oben weht ein eisiger Wind.«
Ich legte mir den Riemen meiner Tasche über die Schulter und quer über die Brust und zog ihn etwas enger an. Ein Blick auf meinen Begleiter – von ihm hatte ich wohl nichts mehr zu befürchten. Er beobachtete mich mit großen Augen.
Ich warf noch einen Blick nach oben – es war kein einladender Weg, der da vor mir lag, und es kostete mich einige Überwindung, auf der schmalen Leiter hochzuklettern. Zuerst war es nicht schwierig, doch dann wurde der Wind immer stärker, und ich musste mich mit aller Kraft an den Sprossen festhalten, um nicht fortgerissen zu werden.
Es waren einzelne Leitern von etwa fünf Metern Länge, die zu kleinen, umgitterten Terrassen führten. Keine war größer als einen Meter im Durchmesser, aber sie gaben immerhin Gelegenheit, kurz auszuruhen. Bald befand ich mich so weit oben, dass ich das ganze Hotel überblicken konnte, und der Rundblick über den See bis zu den weiß blinkenden Ufern war schwindelerregend, aber prächtig. Leider war das nicht der richtige Zeitpunkt, um die Schönheit der Natur zu genießen. Ich musste schnell vorankommen.
Nun hatte ich schon jene Höhe erreicht, wo der Flaschenzug für das Bohrgestänge hing, als ich wieder einmal nach oben blickte: Wie weit war es noch bis zur Spitze? Doch dann schlug meine Zuversicht jäh um. Sollte ich mich täuschen? Noch einige Sprossen höher, und dann die traurige Gewissheit: Etwa zehn Meter weiter oben war die Strecke unterbrochen – es fehlten die Leitern zwischen den Plattformen. Drei oder vier von ihnen hatte man entfernt.
Ich kletterte noch ein Stück aufwärts, kam bis zur nächsten Plattform und sah mir die Situation genau an, aber schließlich musste ich mir eingestehen, dass da nichts zu machen war … Dabei war ich meinem Ziel so nahe gekommen! Wenn ich hinaufblickte, konnte ich an der Spitze des Turms ein Kästchen erkennen; ich war sicher, dass es den Störsender und wohl auch eine Katalyt-Batterie enthielt. Wie enttäuschend, so kurz vor dem Ziel umkehren zu müssen! Das hätte mir der Soldat eigentlich sagen können.
Fluchend kletterte ich wieder hinunter.
Unten angekommen, stellte ich fest, dass der Soldat nicht mehr da war. Er hatte die Gelegenheit genutzt, sich davonzumachen.