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Ich war ausgeruht und hatte mich in den letzten Tagen vernünftig ernährt, und so kam ich gut voran. Es war zwar etwas dunstig, aber immerhin schien der Nebel nicht dichter zu werden, und die Sichtverhältnisse waren akzeptabel.

Jeweils nach ein bis zwei Kilometern packte ich mein Sendeaggregat aus und versuchte, Verbindung aufzunehmen. Das gelang zwar noch nicht, aber die Störgeräusche traten mehr und mehr in den Hintergrund. Ich rechnete mir aus, den Tag über weiterzuwandern, um dann ein Nachtlager aufzuschlagen. Wenn ich so vorwärts kam wie bisher, sollte dann der erhoffte Funkkontakt zustande kommen. So konnte ich am Abend des nächsten Tages wieder im Globe-Hotel sein. Und bei Ellen.

Wenn man versucht, einen festen Zeitplan für Expeditionen festzulegen, kann man sich gründlich verrechnen, doch in diesem Fall ging meine Kalkulation auf. Ich fand sogar den geschützten Platz unterhalb eines weit geschwungenen Überhangs, an dem ich auf dem Hinweg übernachtet hatte, und konnte es mir innerhalb einiger Minuten bequem einrichten.

Natürlich hatte ich Hunger und Durst, doch fürs Erste begnügte ich mich mit einigen großen Schlucken rasch zubereiteten warmen Tees – ich war zu neugierig darauf, ob sich meine Hoffnung auf einen Funkkontakt erfüllen würde.

Die Stelle in der Mulde hatte den Nachteil, dass ich meine Kontaktversuche nicht vom Schlafsack aus machen konnte, sondern ein Stück zu einer höher gelegenen Verebnung aufsteigen musste. Doch diese kleine Unbequemlichkeit sollte mich auch nicht mehr stören, und ich machte mich auf den Weg.

Der Sender war rasch ausgepackt, die Segment-Antenne ausgefächert, ein Druck auf den Schalter … da war zwar noch das Rauschen, aber es war nun endgültig in den Hintergrund gerückt, und je nach der eingestellten Frequenz waren Pfeif töne digitaler Übertragungen, aber auch Worte in verschiedenen Sprachen sowie Musik zu hören.

Jetzt kam es darauf an, ob mein Sender stark genug war, sich gegen diesen Geräuschteppich durchzusetzen. Ich stellte die vereinbarte Frequenz ein und drückte die Taste für die Aktivierung des codierten Erkennungssignals, mit dem nach einem der weltweit postierten Empfänger gesucht wurde.

Und dann blinkte das grüne Signallämpchen: Das Signal war an einer der Empfangsstationen aufgenommen worden. Jetzt endlich, nach so langer Zeit, war ich wieder mit der Welt verbunden.

Ich stellte auf verschlüsselte Sprachübertragung und meldete mich mit meiner Dienstnummer. Dann nannte ich das Schlüsselwort »Schneemann« für den Betreff und bat um Verbindung bei höchster Dringlichkeitsstufe.

Prompt kam die Antwort: »Sie sprechen mit dem Suchsystem. Wir rufen in Kürze zurück.«

»Halt, das geht nicht, ein Notfall!«

»Geben Sie Ihre Nachricht durch. Wir leiten sie weiter.«

Ich begann mit einer kurzen Schilderung der Ereignisse, doch ich wurde unterbrochen. »Die Übertragung ist nicht einwandfrei. Einige Passagen sind fehlerbehaftet. Erhöhen Sie die Sendeleistung.«

»Ich befinde mich in einer Notsituation und verfüge nur über ein Handaggregat. Ich arbeite bereits mit höchstmöglicher Leistung.«

Es krachte im Lautsprecher des Ohrclips, dann konnte ich wieder etwas verstehen: »… wir sind auf der Suche nach einem mit dieser Angelegenheit betrauten Empfänger. Ihre Nachricht wird dann schnellstmöglich weitergeleitet.«

»Ich bleibe zunächst auf Empfang. Ich muss unbedingt mit jemandem von meiner Dienststelle sprechen. Es ist dringend. Ich warte.«

Ich saß auf einem Eisblock, und trotz meiner Kleidung aus Thermofaser war es ungemütlich kalt geworden. Auch meine Hände waren steif und gefühllos – ich hatte die Handschuhe ausgezogen, um den Sender zu bedienen. Ich schwankte zwischen Hoffnung und Zweifel; je länger ich wartete, umso größer wurde meine Unruhe, und die Zeit dehnte sich unerträglich.

Und dann plötzlich wieder ein paar verständliche Worte: »… bitte melden. Ich rufe Sylvan Caretti. Sylvan, bitte melden …« Der Empfang war vielfach von kurzen Aussetzern unterbrochen, aber die Empfangsqualität war doch merklich besser geworden.

»Hier Sylvan Caretti. Es liegt ein Notfall vor.«

»Hier Robin Landt. Wo bist du? Noch im Globe-Hotel?«

»Ein paar Kilometer davon entfernt, im Eis. Wegen eines Störsenders … Hör zu: die Situation habe ich kurz skizziert, hör dir die Aufzeichnung an. Ich glaube, alle Personen im Hotel befinden sich in großer Gefahr. Könnt ihr uns helfen?«

»Die Gegend um die Insel herum ist Sperrgebiet. Von der Security abgeriegelt. Wir wollen euch herausholen und werden alle sich bietenden Möglichkeiten ergreifen. Vielleicht müssen wir Gewalt anwenden. Wir setzen alles daran, rechtzeitig da zu sein.«

Seine Mitteilung ließ mich aufhorchen: Was meinte er mit »rechtzeitig«? Ich fragte ihn danach.

Es schien mir, dass er einen Moment lang mit der Antwort zögerte. Dann sagte er: »Es liegt uns eine abgefangene Meldung vor. Sie ist noch nicht vollständig entschlüsselt. Sie enthält eine Zeitangabe für irgendeine geplante … Aktion« – ich glaubte ein kurzes Stocken in seiner Stimme wahrzunehmen. »Aber wir haben noch nicht herausbekommen, um was es da geht. Es scheint die Bohrinsel zu betreffen.«

»Wann soll diese ›Aktion‹ stattfinden?«

»Am Morgen. Um 9 Uhr am Vormittag … Ich gebe dir einen guten Rat: Kehr nicht zum Hotel zurück. Wie lange kannst du es im Freien aushalten?«

Sein Vorschlag irritierte mich. Wusste Robin mehr, als er zugab? Hier im Eis ausharren und die Personen im Hotel ihrem Schicksal überlassen? Ellen im Stich lassen? Das kam nicht infrage. Wenn Gefahr im Verzug war – und so schien es –, musste ich bei ihr sein. Ich blickte auf das im Ärmel eingelassene Display: Es war kurz vor neun Uhr abends. Ich hatte noch zwölf Stunden Zeit, aber es war nötig, sofort aufzubrechen. Der Weg zurück … Noch war es nicht ganz dunkel, aber ich musste mich auf ein paar Stunden Finsternis einstellen.

Ich ließ Robin auf meine Antwort warten. Ich entschloss mich, ihm nichts von meinen Überlegungen zu sagen. So antwortete ich ausweichend, es sei schwer zu schätzen, ich müsse erst meine Vorräte prüfen und so weiter. Aber dann merkte ich, dass die Verbindung unterbrochen war, und wusste nicht, ob er meine letzten Worte noch verstanden hatte.

Zwei Minuten später war ich zum Lagerplatz zurückgekehrt und dachte kurz darüber nach, was ich für den Rückweg mitnehmen sollte. Schließlich packte ich den Heizkocher in das Täschchen, das eigentlich für die Toilettensachen bestimmt war, und steckte noch mein Universal-Werkzeug ein; es enthielt einen Eisbohrer, mit dem ich Löcher für Stifte und Drahtseilschlingen bohren konnte. Von meinem Tornister zog ich einen Tragriemen ab und befestigte das Täschchen daran. Selbst auf das Ortungssystem verzichtete ich – die Hilfe der Galileo-Satelliten brauchte ich nicht mehr. Nach kurzem Überlegen packte ich noch den Sender ein – auf dieses geringe Gewicht kam es auch nicht mehr an. Das übrige Gepäck, das noch einige Päckchen mit Nahrungsmitteln enthielt, ließ ich in der Mulde stehen und beschwerte es mit Eisblöcken.

Ich mischte mir noch einen MinMix-Drink und aß einen Schokoladenriegel dazu, dann brach ich auf. Das Wetter war nach wie vor trüb, windstill und mäßig kalt; nur einige bizarre, vielfach gefranste Wolken mit gelben Rändern störten mich ein wenig. Hoffentlich hielt es. Nach meiner Berechnung sollte ich noch rechtzeitig vor neun Uhr ins Hotel zurückkommen. Aber ich musste ein hohes Tempo einhalten. Doch es gab keine Alternative. Ich schob alle Bedenken beiseite und ging los.