Nun, da ich eine gewisse Vorstellung darüber besaß, wie es weitergehen sollte, war es höchste Zeit, mich bei der Zentrale zu melden. Ich konnte mir vorstellen, dass dort gewaltige Aufregung herrschte. Ich holte das Sendekästchen aus dem vorgesehenen Fach und schaltete ein … doch das grüne Licht, das normalerweise die Betriebsbereitschaft signalisiert, ließ auf sich warten. Ich schaltete noch einmal aus und ein, ich drückte wahllos auf verschiedene Knöpfe, ich klappte das Batteriefach auf – alles schien in Ordnung, der Akku war geladen, das Lämpchen war in Ordnung, und auch die Kontakte waren blank. Das Ding war nicht zum Leben zu erwecken, es hatte möglicherweise bei der Landung Schaden genommen. Meine gute Laune sackte ein wenig ab. Eine ärgerliche Situation! Was macht ein Globetrotter, wenn er keinen Kontakt mit seiner Leitstelle aufnehmen kann?
Erst nach und nach wurde mir klar, wie sehr sich durch dieses Missgeschick die Situation geändert hatte. Auf einmal war ich bedingungslos auf mich selbst gestellt. Konnte keinen Rat einholen, keine Wettervorhersagen, keinen ärztlichen Ratschlag, keine Hilfe bei den immer wieder auftretenden technischen Problemen. Und selbst das Plauderstündchen an den Abenden vor dem Einschlafen gab es nicht mehr. Mara würde sich Sorgen machen … Nein, nicht Mara, von der hatte ich mich ja getrennt. Lynette? Das lag noch länger zurück … Was für ein Unsinn, mich damit aufzuhalten, es gab Wichtigeres zu bedenken.
Wenigstens bewährte sich die neuartige Isolation meines Anzugs – mir war noch immer angenehm warm. Ich schnallte den am Rucksack befestigten Eispickel ab und zog den Teleskopstiel auseinander; die Länge reichte nun aus, um mich beim Gehen darauf zu stützen. Einige Hiebe in die glatten weißen Flächen des Bodens – wie glitzernde Diamanten stoben die Eisteilchen davon. Irgendwie tat das gut. Und so begann ich meinen Marsch in die weiße Wildnis.
Ich hatte mich schon mehrmals in den Kältewüsten dieser Erde herumgetrieben. Spitzbergen, Patagonien, die Gletscher auf den Hochregionen dieser Erde, das alles war mir vertraut. Ich hatte dort gelebt, Wochen und Monate, weitab von der Zivilisation, einige Male zu zweit oder zu dritt, manchmal auch allein – doch immer war ich entschlossen gewesen, mich durch nichts aufhalten zu lassen und das gesetzte Ziel zu erreichen. Nur eines war diesmal anders: Bei all den einsamen Expeditionen hatte ich immer Funkverbindung mit einer Leitzentrale gehabt … Doch ich musste es nehmen, wie es war, und ich würde auch mit dieser Situation fertig werden.
Die Landschaft bot wenig Abwechslung, eine ausgedehnte Ebene, die mich an eine Buckelpiste erinnerte. Ich war schon längere Zeit nicht mehr über das Eis gewandert und brauchte eine Weile, um mich wieder daran zu gewöhnen. Um nicht auszugleiten, musste ich bei jedem Schritt darauf achten, den Fuß richtig zu setzen. Doch die mit Metallzacken besetzten Sohlen bewährten sich und gaben mir auch auf schräg liegenden Flächen guten Halt.
Zuerst konzentrierte ich mich noch aufs Gelände, doch bis auf die störenden Unebenheiten gab es keine Hindernisse, und bald war ich mit den Verhältnissen vertraut. So hatte ich Gelegenheit, über die Konsequenzen meiner Lage nachzudenken. Natürlich kam es zunächst darauf an, möglichst schnell wieder in zivilisierte Gegenden zu gelangen. Aber da befand ich mich ja auf dem besten Weg.
Aber was dann? Sollte ich mein Vorhaben, den Nordpol zu erreichen, als gescheitert ansehen, bevor es überhaupt begonnen hatte? Gewiss – ich konnte mich auf höhere Gewalt berufen und musste nicht mit Konventionalstrafen rechnen, aber von den vereinbarten Honoraren würde ich auch nichts sehen, und die erhofften Rekorde konnte ich in den Wind schreiben. Sollte ich nicht lieber versuchen, ein zweites Mal zu starten, um die Wanderung mit etwas Verspätung aufzunehmen? Wenn es mir gelingen würde, innerhalb der nächsten vierzehn Tage aufzubrechen, dann könnte die Zeit noch reichen. Derzeit war der Nordpol von einer Eisschicht bedeckt, eine grundsätzliche Voraussetzung für mein Vorhaben. Vielleicht hatte ich Glück, und die Wetterlage würde sich nicht allzu sehr ändern.
Vor mir löste sich ein silbergrauer Streifen aus dem Weiß des vor mir liegenden Geländes und erhob sich langsam zu einem Grat, der aus eng aneinander liegenden hochgepressten Eisplatten bestand. Das war keine besondere Überraschung, mit solchen Hindernissen war im Packeis immer zu rechnen.
Die höchsten Erhebungen ragten ungefähr 20 Meter hoch, dazwischen gab es Einschnitte von wenigen Metern Höhe, die sich ohne besondere Mühe übersteigen ließen.
Dann ging es wieder flach weiter. Trotzdem wurde ich allmählich müde. Ich blieb stehen und trank einige Schlucke mit Eisstückchen durchsetzter MinMix-Lösung, die angeblich erst bei minus 15 Grad gefrieren sollte. Ich hätte gern ein paar Minuten gerastet, doch schon kroch die Kälte erbarmungslos durch meine Kleider und trieb mich wieder an.
Also weiter durch die weiße Wüste! Mit der Zeit umwölkte sich meine Laune, und ich fragte mich, warum ich wegen einiger fragwürdiger Rekorde so viele Mühen und Entbehrungen auf mich nahm. Einen Ort zu erreichen, auf dem sich schon Hunderte Touristen getummelt hatten, die Umstände künstlich erschwert, nur um eine besondere Leistung zu demonstrieren, die doch nichts anderes war als Routine – was sollte das eigentlich für einen Sinn haben. Ja, wenn es noch möglich wäre, in unbekannte Gegenden einzudringen, in Landstriche, die nicht längst schon betreten, fotografiert und mit Verbotstafeln ausgestattet waren! Es müssten echte Ziele sein, echte Leistungen und echte Pioniertaten. Es müsste der Mond sein, oder irgendein Planet noch viel weiter draußen im Weltraum …
Unwillkürlich war ich ins Träumen gekommen, und die Zeit – hier ohnehin ein relativer Begriff – war unmerklich weitergelaufen. Die Sonne schickte sich an, unter den Horizont zu tauchen, das Zeichen für mich, diesen merkwürdigen Tag allmählich enden zu lassen.
Ich beschloss, mich nach einem Biwakplatz umzusehen. Zwar weiß ich gut, wie lange man gegen die Erschöpfung ankämpfen kann – viel länger, als man denkt –, aber es war ja nicht nötig, es so weit kommen zu lassen.
Dann fand ich inmitten knollenförmiger Eisfiguren eine Einebnung, auf der ich mein Biwak einrichten konnte. Windgeschützt, vorn ein Eiswall gegen die Kälte, hinten eine Stufe, wo ich meine Lampe und den Kocher aufbauen konnte, und darunter eine Mulde mit nur mäßig geneigter Oberfläche, auf der sich die Thermomatte und der Schlafsack ausbreiten ließen.
Kurze Zeit später war ich in den Schlafsack gekrochen, ich zog ihn so weit herauf, dass ich gerade noch die Arme frei hatte und sitzend meine Mahlzeit vorbereiten konnte. So saß ich an den Rucksack gelehnt in den weichen, wärmenden Hüllen und sah dem Ablauf der Uhr meines Mikrowellenkochers zu. Noch zwei Minuten, noch eine Minute – fertig. Es gab Gen-Fleisch-Kugeln mit Chili gewürzt, dazu Reis und gewürzten Quellsalat. Ich aß und war zufrieden. Es war mein Vorteil, dass ich auch solchen misslichen Umständen etwas Gutes abgewinnen konnte. Obwohl ich kein Jüngling mehr war, spürte ich noch den belebenden Reiz des Abenteuers …
Das war das Ende eines ereignisreichen Tages, den ich gut überstanden hatte. Ich verkroch mich so tief im Schlafsack, dass er mir über den Kopf reichte und nur eine schmale Atemöffnung frei blieb. Fünf Minuten später war ich eingeschlafen.
Als Robin am Morgen nach dem Verhör erwachte, kamen ihm die Ereignisse des vergangenen Tages wie ein böser Traum vor.