Ein dunkler Schatten erschien außerhalb des Feuerkreises. Durotan stand auf und erhob sich zu seiner vollen imposanten Größe. Nur für den Fall, dass der Besucher zu viel getrunken hatte und streitlustig war. Der Wind drehte, und er lachte, als er Orgrims Geruch wahrnahm.
„Willkommen, mein alter Freund“, rief er und umarmte den anderen Orc herzlich. Obwohl Durotan groß war, überragte ihn Orgrim wie schon in der Jugend. Als er den Stellvertreter des Schwarzfelshäuptlings sah, fragte sich Durotan, wie er Orgrim überhaupt in irgendetwas hatte schlagen können.
Orgrim grunzte und klatschte Durotan auf die Schulter. „Dein Lager ist klein, aber es riecht am besten“, sagte er, während er einen Blick zu dem Fleisch warf, das über dem Feuer briet, und dann schnüffelte.
„Dann reiß dir ein dickes Stück vom Talbuk heraus und lass deine Aufgaben für eine Weile ruhen“, sagte Draka.
„Würde ich gern, wenn ich könnte“, erwiderte Orgrim und seufzte. „Aber ich habe nicht viel Zeit. Wenn der Häuptling des Frostwolf-Clans so nett wäre, mich ein Stück zu begleiten, würde ich mich sehr geehrt fühlen.“
„Dann lass uns gehen“, antwortete Durotan.
Sie verließen das Lager und gingen eine Weile wortlos, bis die Lagerfeuer kleine blinkende Lichter in der Ferne waren und sie sicher sein konnten, dass niemand sie sehen oder hören konnte. Beide Orcs schnüffelten im Wind. Orgrim schwieg eine Weile, und Durotan wartete mit der Geduld des wahren Jägers.
Schließlich ergriff Orgrim das Wort. „Schwarzfaust wollte nicht, dass wir kommen“, sagte er. „Er fand es erniedrigend, dass Ner’zhul uns rief, als wären wir Haustiere.“
„Draka und ich haben zunächst genauso gedacht, aber ich bin froh, dass wir dann doch gekommen sind. Du hast Ner’zhuls Gesicht gesehen. Ein Blick genügte, und ich wusste, dass es richtig war herzukommen.“
Orgrim schnaubte. „Ich sehe das genauso, aber als ich das Lager verlassen habe, hat Schwarzfaust immer noch gegen den Schamanen gewettert. Er sieht nicht das, was du und ich sehen.“
Es stand Durotan nicht zu, schlecht über einen anderen Clanführer zu sprechen. Aber es war kein Geheimnis, was die meisten Orcs über Schwarzfaust dachten. Er war sicherlich ein machtvoller Orc in seinen besten Jahren, größer und stärker als jeder andere Orc, den Durotan kannte. Und er war auch nicht dumm. Aber etwas war an ihm, das dafür sorgte, dass sich Durotans Nackenhaare sträubten. Dennoch entschied er sich, den Mund zu halten.
„Ich sehe selbst im Dunkeln, dass du mit dir kämpfst, alter Freund“, sagte Orgrim leise. „Du musst nichts sagen, ich weiß es auch so. Er ist mein Häuptling. Ich habe ihm die Treue geschworen, und ich werde diesen Schwur nicht brechen. Aber auch ich habe meine Bedenken.“
Dieses Eingeständnis erschreckte Durotan. „Hast du?“
Orgrim nickte. „Ich bin hin- und hergerissen, Durotan. Auf der einen Seite meine Treue, auf der anderen das, was Herz und Verstand mir sagen. Mögest du niemals in so eine Lage geraten. Als Stellvertreter kann ich vermitteln, aber nur ein wenig. Er ist der Anführer des Clans, und er hat das Sagen. Ich kann nur hoffen, dass er den anderen morgen zuhört und nicht stur auf seinem verletzten Stolz, beharrt.“
Durotan teilte diese Hoffnung. Wenn die Dinge tatsächlich so schlimm waren, wie Ner’zhuls Gesichtsausdruck erahnen ließ, dann war ein Anführer eines der mächtigsten Clans, der sich wie ein trotziges Kind benahm, das Letzte, was sie brauchen konnten.
Sein Blick fiel auf einen dunklen Umriss auf Orgrims Rücken. Stolz und Trauer durchfluteten ihn, als er sagte: „Du trägst jetzt den Schicksalshammer. Ich wusste nicht, dass dein Vater gestorben ist.“
„Er starb tapfer und ehrenvoll“, sagte Orgrim. Er zögerte, dann ergänzte er: „Erinnerst du dich an den Tag vor langer Zeit, als wir vor dem Oger flohen und die Draenei uns gerettet haben?“
„Wie könnte ich das jemals vergessen?“, antwortete Durotan.
„Ihr Prophet sprach von einer Zeit, in der ich den Schicksalshammer erhalten würde“, sagte Orgrim. „Ich war so aufgeregt bei dem Gedanken, ihn auf der Jagd zu führen. Damals habe ich zum ersten Mal verstanden, richtig verstanden, dass der Tag, an dem ich die Waffe erhalten würde, derselbe Tag wäre, an dem ich meinen Vater verlieren würde.“
Er löste die Waffe von seinem Rücken und hob sie. Es war, als beobachte man einen Tänzer, denn seine Bewegung war voller Macht und Anmut. Der Mond beschien Orgrims starken Körper, als er den Hammer führte. Schwer atmend und schwitzend steckte er die Waffe schließlich zurück.
„Es ist ein herrliches Ding“, sagte Orgrim leise. „Eine Waffe der Macht. Eine Waffe der Prophezeiung. Der Stolz meiner Familie. Und dennoch würde ich sie eigenhändig in tausend Teile schlagen, würde das mir meinen Vater zurückbringen.“
Ohne ein weiteres Wort ging Orgrim zu der kleinen Ansammlung von Feuern zurück. Durotan jedoch folgte ihm nicht. Er blieb noch eine Weile, schaute zu den Sternen, und tief in seiner Seele spürte er, dass die Welt, die er beim Aufwachen sehen würde, sich radikal von der unterscheiden würde, die er bisher sein ganzes Leben lang gekannt hatte.
7
Ich weiß genau, dass wir Orcs mehr verloren als gewonnen haben. Zu diesem Zeitpunkt war unsere Kultur unverdorben, unschuldig, rein. Wir waren wie Kinder, die immer sicher, geliebt und beschützt gelebt hatten. Aber Kinder müssen erwachsen werden, und wir waren als Volk zu leicht manipulierbar.
Niemand kann mir vorwerfen, dass ich übermäßig misstrauisch wäre. Aber wir müssen vorsichtiger sein. Hinter edlen Gesichtern verbirgt sich allzu oft Verrat und Täuschung, und selbst die, an die wir mit ganzem Herzen glauben, können korrumpiert werden.
Es ist dieser Verlust unserer Unschuld, den ich bedaure, wenn ich an diese Tage denke. Und es war unsere Unschuld, die zu unserem Niedergang führte.
Es war eine lange Reihe feierlicher Gesichter, die auf die versammelten Anführer der Orc-Clans gerichtet waren. Durotan stand neben Draka, sein Arm lag beschützend um ihre Hüfte, obwohl er nicht wusste, wovor er sie an diesem Ort beschützen sollte. Seine Augen weiteten sich, als er Drek’Thar sah und er im Gesicht seines Freundes und Beraters etwas erkannte, das ihn bis ins Mark erschütterte.
Er wünschte, er hätte neben Orgrim stehen können. Sie waren von verschiedenen Clans und unterschiedlichen Traditionen, aber es gab niemanden, dem er mehr vertraute. Doch Orgrim stand natürlich bei Schwarzfaust, seinem Häuptling, der die versammelten Schamanen mit kaum verhohlener Verärgerung anschaute.
„Der war schon zu lange nicht mehr auf der Jagd“, murmelte Draka und nickte in Schwarzfausts Richtung. „Er sucht Streit.“
Durotan seufzte. „Er könnte ihn sogar bekommen. Schau in ihre Gesichter.“
„Ich habe Drek’Thar noch nie so gesehen. Selbst als er vor Mutter Kashurs zerschundenem und zertrampeltem Körper stand nicht“, sagte Draka.
Durotan entgegnete nichts, nickte nur und beobachtete weiter.
Ner’zhul ging in die Mitte der versammelten Menge. Jeder trat zurück, um ihm Platz zu machen. Er begann im Kreis zu gehen und murmelte, dann blieb er stehen und hob die Arme. Feuer stieg himmelwärts vor ihm auf. Viele der Versammelten zeigten sich beeindruckt, auch jene, die solche Dinge schon oft zuvor gesehen hatten. Die Flammen richteten sich hoch auf, dann fielen sie in sich zusammen und wurden wieder zu einem normalen Lagerfeuer.