„Mutter Kashur hat gesagt, die Draenei sind unsere Feinde?“, fragte er und wollte seinen Ohren nicht trauen.
Drek’Thar nickte.
„Es ist an der Zeit für die Clanhäuptlinge, ihren eigenen Schamanen zuzuhören, wie Durotan es getan hat“, sagte Ner’zhul. „Wir werden uns in der Dämmerung wieder versammeln, und die Häuptlinge werden mir ihre Gedanken mitteilen. Es sind die Leute, die ihr kennt und denen ihr vertraut. Fragt sie, was sie gesehen haben.“
Die versammelte Menge begann sich aufzulösen. Der Frostwolf-Clan ging zu seinem eigenen Lager zurück. Zusammen saßen sie im Kreis und richteten ihre Aufmerksamkeit auf Drek’Thar, der langsam und bedacht zu reden begann.
„Die Draenei sind nicht unsere Freunde“, sagte er. „Mein Häuptling, ich weiß, dass du und der Schicksalshammer-Schwarzfels bei ihnen eine Nacht verbracht habt. Ich weiß, dass ihr gut von ihnen gesprochen habt. Ich weiß, dass es den Anschein hatte, als hätten sie euch das Leben gerettet. Aber lass mich dich fragen: Kam euch nichts seltsam vor?“
Durotan erinnerte sich an den Oger, der vor Wut gebrüllt und mit seinem Knüppel um sich gedroschen hatte. Und mit einem unangenehmen Gefühl erinnerte er sich daran, wie unglaublich schnell die Draenei zu ihrer Rettung aufgetaucht waren. Wie sie nicht nach Hause hatten gehen können, weil die Dämmerung hereingebrochen war.
Er fröstelte. Es war ein düsterer Gedanke, und trotzdem...
„Deine Stirn legt sich in Falten, mein Häuptling. Mir scheint, dass dein jugendliches Vertrauen in sie zu schwinden beginnt.“
Durotan antwortete nicht, noch schaute er den Oberschamanen seines Clans an. Er starrte auf den Boden und konnte nicht vermeiden, dass Zweifel in sein Herz krochen, kalt wie Finger an einem frostigen Morgen.
Im Geiste sprach er wieder mit Restalaan, und er hörte, wie er zu dem blauen Draenei sagte: „Wir waren damals anders, als wir jetzt sind.“
„Nein, wart ihr nicht“, hatte Restalaan geantwortet. „Wir haben die Orcs beobachtet, wie sie an Stärke, Können und Talent gewannen. Ihr habt uns beeindruckt.“
Er fühlte wieder einen scharfen Stich, als wenn das angebliche Kompliment eine sorgfältig verhüllte Beleidigung gewesen wäre. Als wenn die Draenei glaubten, sie wären den Orcs weit überlegen, selbst mit ihrer seltsamen unnatürlich blauen Haut, mit den langen Reptilienschwänzen, ihren Beinen, die wie die von gewöhnlichen Talbuks aussahen, und den blauen Hufen statt Füßen, wie die Orcs sie hatten.
„Sag, mein Häuptling, woran erinnerst du dich?“
Durotan erzählte ihm in seiner rauen und schweren Stimme von dem zufälligen Auftauchen der Draenei, von Restalaans beinahe arrogantem Verhalten. „Und... und Velen, ihr Prophet, stellte uns viele Fragen über uns Orcs, und das war nicht nur ein einfaches Gespräch, Er wollte wirklich etwas über die Orcs erfahren.“
„Natürlich wollte er das“, sagte Drek’Thar. „Was für eine Gelegenheit! Sie haben sich schon seit ihrer Ankunft gegen uns verschworen, und dann trafen sie auf zwei, vergib mir, Durotan, zwei junge und naive Kinder, die ihnen alles erzählten, was sie wissen wollten. Es muss für sie ein Fest gewesen sein.“
Die Ahnen logen nicht, ganz bestimmt nicht bei so etwas Wichtigem. Durotan wusste das. Und er sah die Ereignisse auf einmal in einem neuen Licht. Es stand ihm auf einmal deutlich vor Augen, wie verdächtig Velens Aktionen gewesen waren. Aber trotzdem, war Velen tatsächlich so ein Meister der Täuschung, dass alles nur eine Lüge gewesen war, obwohl er auf Orgrim und Durotan derart ehrlich und aufrichtig gewirkt hatte?
Durotan neigte den Kopf. „Ein Teil von mir hat immer noch Zweifel, meine Freunde“, sagte er ruhig. „Und dennoch kann ich nicht die Zukunft unseres Volkes riskieren. Ner’zhul will ja nicht schon morgen in den Krieg ziehen. Er sagte uns, dass wir üben sollten, uns vorbereiten, auf dass wir als ein Volk enger zusammenwachsen. So werden wir es tun – für den Clan der Frostwölfe und für alle Orcs.“
Er sah jedes der besorgten Gesichter der Reihe nach an, von denen einige lediglich Bekannten gehörten, andere, wie Draka und Drek’Thar, Freunden und Geliebten.
„Der Frostwolf-Clan wird sich auf den Krieg vorbereiten.“
8
Wie leicht doch der Geist zum Hass verführt werden kann aus einem Gefühl der Angst heraus. Ein instinktiver, natürlicher, beschützender Impuls.
Statt sich auf die Dinge zu konzentrieren, die uns verbinden, konzentrieren wir uns auf das, was uns trennt. Meine Haut ist grün, deine ist rosa. Ich habe Hauer, du hast lange Ohren. Meine Haut ist nackt, deine ist mit Fell bedeckt. Ich atme Luft, du nicht. Wenn wir immer so gedacht hätten, wir hätten die Brennende Legion niemals besiegt, weil ich mich niemals mit Jaina Prachtmeer verbündet hätte oder gemeinsam mit Elfen in die Schlacht gezogen wäre. Mein Volk hätte dann nicht überlebt, um sich mit den Tauren anzufreunden oder mit den Verlorenen.
So war es auch mit den Draenei. Unsere Haut war damals rötlich-braun, ihre war blau. Wir hatten Füße, sie hatten Hufe und einen Schweif. Wir lebten meist im Freien, sie lebten in geschlossenen Bereichen. Wir hatten eine relativ kurze Lebenserwartung, und niemand wusste, wie langlebig sie waren.
Ungeachtet dessen, dass sie uns nur Wohlwollen und Offenheit entgegengebracht hatten, dass sie mit uns Handel getrieben hatten, uns vieles gelehrt und mit uns geteilt hatten, worum wir sie baten, mochte niemand mehr Partei für sie ergreifen. Unseren Ahnen hatten es uns gesagt, und wir sahen mit unseren eigenen Augen, wie verschieden sie waren.
Ich bete jeden Tag um Weisheit für mein Volk. Und in diesen Gebeten enthalten ist eine Bitte: dass wir niemals wieder von solch unwichtigen Unterschieden geblendet werden.
Die Ausbildung begann. Es war immer unter fast jedem Clan üblich gewesen, dass man mit der Ausbildung der Kinder anfing, sobald sie ihren sechsten Geburtstag gefeiert hatten. Das Training war zwar ernsthaft, aber locker gewesen. Waffen dienten dazu, Tiere zu jagen, nicht um gegen vernunftbegabte Wesen zu kämpfen, die selbst bewaffnet waren und über technologische Fertigkeiten verfügten, und es gab genügend Jäger, die leicht Beute erlegen konnten. Ein junger Orc lernte in seinem oder ihrem eigenen Tempo, und es blieb viel Zeit übrig, um zu spielen und Spaß zu haben und einfach jung zu sein.
Das galt nicht mehr.
Die Bitte um Einigkeit unter den Orcs wurde beantwortet. Die Kuriere ritten ihre Tiere zu Schanden, während sie zwischen den Clans hin- und herpreschten, um Botschaften auszutauschen. An einem Punkt kam jemand Schlaues auf die Idee, Blutfalken abzurichten, um Nachrichten zu übermitteln. Es dauerte etwas und geschah nicht über Nacht, aber allmählich hatte man Erfolg. Durotan gewöhnte sich daran, die roten Vögel zu Drek’Thar und anderen seines Clans flattern zu sehen. Er billigte die Idee, jedes Wesen wurde gebraucht, wenn die Kriegspläne erfolgreich umgesetzt werden sollten.
Speere, Äxte, Pfeile und andere Waffen hatten sich gut gegen die Tiere des Feldes und des Waldes geeignet – doch sie brachten andere Waffen, wenn sie gegen die Draenei antreten wollten. Schutz war entscheidend, und während die Schmiede und Lederarbeiter zuvor Rüstungen hergestellt hatten, die vor Klauen und Zähnen schützten, mussten sie nun Rüstungen entwerfen, die einen Speer oder ein Schwert abwehrten. Nur wenige beherrschten die Kunst des Schmiedens, und so mussten die Schmiedemeister gleich Dutzende Schüler unterrichten. Die Schmieden klangen Tag und Nacht vom Schlagen der Hämmer und dem Zischen von heißem Metall, das in Fässer mit Wasser getaucht wurde. Viele verbrachten lange Tage damit, mit ihren Picken der Erde das Metall abzuringen, damit man Waffen und Rüstungen daraus machen konnte. Jagden, die stattgefunden hatten, wenn gerade Bedarf bestand, gab es nun täglich, weil Nahrung getrocknet und konserviert werden musste und die Häute für die Rüstungen benötigt wurden.
Die Kinder, die sich zum Training aufstellten, wirkten sehr jung auf Durotan, der einer von vielen Lehrern war. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater ihm den Umgang mit Axt und Speer beigebracht hatte. Was hätte der zu diesen Kindern gesagt, die unter den schimmernden Metallrüstungen steckten und Waffen trugen, die noch kein Orc zuvor getragen hatte?