Orgrim stand schwitzend in der Sonne, das grelle Licht spiegelte sich auf seiner Rüstung und blendete ihn fast. Blutrausch stieg in ihm auf. Er vertraute Ner’zhul und dem Schamanen ihres Stammes. Außerdem hatte er mit Durotan gesprochen, und sie waren darin übereingekommen, dass, obwohl sie an diesem Tag vor langer Zeit von den Draenei zuvorkommend behandelt worden waren, es schon etwas merkwürdig gewesen war, als sie von den Blauhäuten gerettet worden waren. Die Ahnen hatten sie noch nie belogen. Warum sollten sie es also auf einmal tun?
Aber als er neben seinem Häuptling ritt, unterwegs zu dem Ort, wo eine kleine Jagdgruppe gesichtet worden war, kamen Orgrim Zweifel. Was, wenn die Draenei gar nicht merkwürdig gewesen waren? Sicherlich waren denen die Orcs auch seltsam vorgekommen, als sie diese das erste Mal getroffen hatten. War der Tod tatsächlich eine gerechte Strafe für das Anderssein? Wann hatte je ein Draenei einen Orc angegriffen? Eine einzige Beleidigung oder Anschuldigung ausgesprochen? Achtzehn Schwarzfelskrieger, bis an die Zähne bewaffnet, ihre Körper in schützendes Metall gehüllt, ritten aus, um eine Gruppe von Blauhäuten zu töten, die nichts Bedrohlicheres taten, nichts anderes machten, als Nahrung für ihr Volk zu sammeln. Unerwartet und ungewollt stieg das Bild des jungen Draenei-Mädchens vor seinem Auge auf, das ihm schüchtern zugelächelt hatte. Würde ihr Vater oder ihre Mutter an diesem herrlichen Tag sterben?
„Du siehst schwermütig aus, Orgrim“, sagte Schwarzfaust mit seiner rauen Stimme, und Orgrim schreckte augenblicklich auf. „Was beschäftigt meinen Stellvertreter?“
Das Gesicht einer Waise, dachte Orgrim, aber stattdessen sagte er fest: „Ich frage mich, welche Farbe das Blut der Draenei hat.“
Schwarzfaust warf seinen übergroßen Kopf zurück und lachte herzhaft. Orgrim hörte das harte Krächzen und den Klang wild schlagender Flügel, als die Krähen aufflogen, aufgescheucht vom Gelächter des Häuptlings.
„Ich werde dafür sorgen, dass dein Gesicht damit bemalt wird“, sagte Schwarzfaust lachend.
Orgrim biss die Zähne zusammen und erwiderte darauf nichts. Die Ahnen lügen nicht, dachte er grimmig. Ein Kind ist immer unschuldig, aber seine Eltern haben den Tod verdient, wenn sie gegen uns Pläne schmieden, wie es uns die Ahnen erzählten.
Sie kamen leicht voran und verbargen ihre Ankunft nicht. Der Kundschafter hatte gesagt, dass die Jagdgruppe aus elf Draenei bestand, sechs Männern und fünf Frauen, und sie jagten eine Herde Spalthufe. Obwohl die großen zottigen Tiere stark und schwierig zu jagen waren, waren sie anders als eine Herde Talbuks lammfromm. Die Draenei hatten schon einen jungen Bullen von der Herde getrennt. Er brüllte, scharrte auf der Erde und senkte seinen Kopf, zielte mit seinem einen Horn auf seine Angreifer, aber der Ausgang stand fest.
Oder hätte er, hätten die Orcs nicht eingegriffen.
Schwarzfaust ließ seinen Trupp auf einem Berggrat halten. Orgrim konnte die Erregung seiner Leute riechen. Ihre Körper zitterten vor Erwartung in ihren neuen Rüstungen, ihre Hände verkrampften und entkrampften sich, wollten sich um die Waffen legen, an die sie sich allmählich gewöhnten. Schwarzfaust reckte seine gepanzerte Faust empor, seine kleinen Augen konzentrierten sich auf die Ereignisse im Tal, und er wartete auf den richtigen Moment, sich auf die Draenei zu stürzen wie der Falke auf eine Ratte.
Der Häuptling der Schwarzfelsen schaute seine Schamanen weiter hinten an. Auch sie trugen Rüstungen, aber keine Waffen, weil sie keine brauchten. Sie würden ihre Brüder heilen, wenn sie verwundet wurden. Und die unglaubliche Macht der Elemente den Feinden entgegenwerfen.
„Seid ihr bereit?“, fragte er.
Der Älteste von ihnen nickte. Seine Augen glühten heftig, und ein Grinsen lag auf seinen Lippen. Auch er wollte, dass Draeneiblut vergossen wurde.
Schwarzfaust grunzte und riss die Faust nieder. Die Schwarzfelskrieger griffen an.
Sie riefen ihren Kriegsschrei, und die Blauhäute wirbelten herum. Zu Beginn war nur Überraschung in ihren Gesichtern zu sehen. Kein Wunder, sie fragten sich, warum so viele gerüstete Krieger sie bei ihrer Jagd unterstützten. Erst als Schwarzfaust auf seinem riesigen Wolf sein zweihändiges Schwert zog und den Führer der Draenei mit einem eleganten Hieb in zwei Hälften schlug, wurde ihnen klar, dass die Orcs nicht wegen der Spalthufe gekommen waren, sondern ihretwegen.
Zu ihrer Verteidigung sei gesagt, dass sie nicht vor Panik gebannt stehen blieben, sondern sich unverzüglich zur Wehr setzten. Stimmen, in denen kaum Angst mitschwang, formten Worte in einer fremden weichen Sprache. Obwohl Orgrim die Worte nicht erkannte – Durotan hatte die Gabe, sich an so etwas zu erinnern, er nicht – klangen sie vertraut. Er wusste, was sie erwartete, und hatte seine Gefolgsleute entsprechend instruiert. Als sich der Himmel in unnatürlichem Blau sprenkelte und silbrige Blitze daraus zuckten, waren die Schamanen vorbereitet. Sie vernichteten die merkwürdigen Lichtspeere mit ihren eigenen Blitzen. Das grelle Licht blendete Orgrim, und er senkte schnell den Blick und konzentrierte sich auf einen Draenei-Krieger, der vor ihm einen glühenden Stab schwang, der Funken sprühte. Orgrim brüllte, hob den Schicksalshammer über seinen Kopf und ließ ihn auf den Feind niedergehen. Die Rüstung, die der Draenei-Krieger trug, konnte dem Schlag nicht widerstehen und gab wie ein dünner Zinnbecher nach. Blut und Hirn spritzten hervor.
Orgrim schaute auf und suchte sein nächstes Ziel. Einige der Schwarzfelsen waren in einem magischen Netz gefangen, das von dem unnatürlichen Licht der Draenei erzeugt wurde. Sie waren stolze und starke Krieger, aber sie schrien vor Schmerz, als sich das Netz durch ihre Haut brannte. Der beißende Geruch von verkohltem Fleisch, gemischt mit dem Gestank von Blut und Angst, drang in Orgrims Nase. Es war ein berauschendes Aroma.
Er spürte Wind über sein Gesicht wehen, der die Gerüche des Kampfes vertrieb und seine Lungen mit frischer Luft versorgte. Orgrim suchte sich jemanden aus, den er als Nächstes töten würde, und lief zu dem Krieger, einer Frau, die keine Waffe hatte, aber in pulsierendes blaues Licht eingehüllt war.
Orgrim grunzte vor Überraschung, als der Schicksalshammer das Feld traf und abgeblockt wurde. Der Rückschlag zitterte durch die Waffe in seine Arme und schüttelte ihn bis ins Mark.
Einer der Schamanen trat vor, und mit knackenden Lauten kämpfte sein aus der Natur geborener Blitz gegen die merkwürdige Energie der Draenei, und Orgrim jubelte, als der Blitz des Schamanen das blaue Feld zurückdrängte.
Er schlug noch mal zu, und dieses Mal krachte der Schicksalshammer befriedigenderweise auf den Schädel der Blauhaut.
Der Kampf war fast vorbei. Nur zwei Gegner standen noch, und innerhalb eines Herzschlags fielen auch sie unter einer Masse gepanzerter brauner Körper. Noch ein paar Schreie und Grunzer und das unverwechselbare Geräusch, mit dem scharfe Klingen in Fleisch eindrangen, dann wurde es still.
Der von seiner Herde getrennte Spalthuf war entkommen.
Orgrim stockte der Atem, sein Blut sang in seinen Ohren, entflammt von der Erregung des Tötens. Er hatte die Jagd immer gemocht, aber dies hier... er hatte nie etwas wie dies hier erwartet. Manchmal wehrten sich die Tiere, die er angriff. Aber Beute wie die Draenei, intelligent, kraftvoll, die genauso kämpften wie er, nicht mit Klauen und Zähnen, war etwas Neues für ihn. Er warf den Kopf zurück und lachte und fragte sich, ob er durch diese Erfahrung trunken geworden war.
Der Jubel und das raue Gelächter der siegreichen Orcs waren die einzigen Laute auf der Lichtung. Schwarzfaust ging zu Orgrim und umarmte ihn, so gut er das in der Rüstung konnte.
„Ich habe den Schicksalshammer gesehen, aber er war so schnell, dass er meinem Auge nur verschwommen erschien“, rumpelte der Häuptling des Schwarzfels-Clans und grinste. „Du hast heute gut gekämpft, Orgrim. Ich war schlau, als ich dich zu meinem Stellvertreter machte.“
Er stieg über den Körper der Magierin hinweg, die Orgrims letztes Opfer gewesen war, und zog seine gepanzerten Handschuhe aus. Der Schädel der Frau war vollständig zerschmettert, und überall war blaues Blut. Schwarzfaust tauchte seine Finger in den Lebenssaft der Erschlagenen und bemalte damit sorgfältig Orgrims Gesicht. Tief im Innern änderte sich etwas in dem Orc. Er erinnerte sich daran, wie er sich das Blut seines ersten selbst erlegten Tiers ins Gesicht geschmiert hatte, und auch daran, wie er zum heiligen Berg gegangen war während des Om’riggor-Rituals, mit dem Blut seines Vaters im Gesicht. Sein Häuptling hatte ihn nun mit dem Blut eines Wesens, das sein Feind war, benetzt.