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Gul’dan starrte es begierig an. „Was hat Durotan dir gegeben, um deine Wut aufzuwiegeln?“

Ner’zhul sah ihn überheblich an. „Ich werde es zuerst untersuchen und dann mit Kil’jaeden darüber sprechen, Schüler“, sagte er kühl. Er wartete auf eine Reaktion und hatte zugleich Angst vor ihr.

Für einen sehr kurzen Moment war Ärger in Gul’dans Gesicht zu erkennen. Dann verbeugte sich der jüngere Orc und sagte zerknirscht: „Selbstverständlich, mein Herr. Es war anmaßend von mir zu erwarten... Ich bin nur neugierig, ob der Frostwolf-Häuptling irgendetwas von Wert überbracht hat.“

Ner’zhul entspannte sich ein wenig. Gul’dan hatte ihm viele Jahre lang gut gedient und war in dieser Zeit immer loyal gewesen. Wenn die Zeit kam, würde er Ner’zhuls Nachfolger sein. Offenbar sah er – Ner’zhul – Gespenster.

„Natürlich“, sagte er deshalb freundlicher. „Ich werde es dir berichten, wenn ich etwas herausfinde. Immerhin bist du mein Schüler.“

Gul’dan strahlte. „Ich diene dir in allen Dingen, mein Herr.“ Er verneigte sich erneut und ließ Ner’zhul dann allein.

Der Schamane saß auf den Fellen, die ihm als Schlafstatt dienten, betrachtete das Bündel in seiner Hand und dankte seinen Ahnen, dass Durotan, obwohl er versagt hatte, dennoch etwas von Wert erbeutet hatte.

Er atmete tief durch, schlug das Bündel auseinander und sog dann scharf die Luft ein. In weiches Fell gehüllt waren zwei glühende Edelsteine. Behutsam berührte Ner’zhul den roten und schnappte erneut nach Luft.

Energie, Erregung und ein Gefühl der Macht durchflossen ihn. Auf einmal wollte er eine Waffe ergreifen, wollte ein Schwert oder eine Axt führen, obwohl er das als Schamane schon lange nicht mehr nötig hatte. Doch dieser Kristall erfüllte ihn mit bloßer Kampfeslaune. Was für ein Geschenk für die Orcs. Er musste erfahren, wie er diesen Kampfeswillen, der im Innern des Steins wohnte, für seine Zwecke nutzen konnte.

Es bedurfte einer großen Willensanstrengung, den roten Kristall wieder loszulassen. Er atmete tief, beruhigte sich selbst, bis sich sein Geist klärte.

Ner’zhul umfasste den gelben Kristall. Dieses Mal war er vorbereitet, denn wieder fühlte er die Wärme und ein Gefühl der Macht. Aber diesmal war da keine Erregung, kein Drang. Als er den gelben Kristall hielt, klärte sich sein Geist, und er erkannte, dass er bislang die Dinge nur durch einen Nebel gesehen hatte. Er wäre nicht in der Lage gewesen, es mit Worten zu beschreiben, aber auf einmal sah er mit einer Reinheit, einer Klarheit, einer Präzision, so eindringlich, so klar, dass Ner’zhul diese Offenbarung beinahe als Qual empfand.

Er warf den Kristall zurück in den Beutel. Die strahlende Klarheit verschwand wieder.

Ner’zhul lächelte. Wenn er Kil’jaeden schon nicht Velen persönlich übergeben konnte, so doch wenigstens diese wertvollen Dinge.

Kil’jaeden war außer sich.

Ner’zhul zitterte, warf sich vor ihm zu Boden und murmelte: „Vergib mir...“ Er schloss die Augen, erwartete, dass jeden Moment Schmerzen durch seinen Körper rasen würden, wie er sie noch nie verspürt hatte.

Doch plötzlich hörte Kil’jaeden auf zu wüten.

Ner’zhul wagte einen vorsichtigen Blick auf seinen Wohltäter. Kil’jaeden sah wieder ruhig aus und badete in dem strahlenden Licht.

„Ich bin... enttäuscht“, sagte das schöne Wesen. Es verlagerte das Gewicht von einem Huf auf den anderen. „Aber ich weiß zwei Dinge. Der Anführer des Frostwolf-Clans ist für dieses Versagen verantwortlich. Und: Du wirst ihn niemals wieder mit einer wichtigen Aufgabe betrauen.“

Ner’zhul war so erleichtert, dass er fast ohnmächtig wurde. „Natürlich nicht, mein Herr. Niemals wieder. Und... wir haben diese Kristalle für dich gefunden.“

„Die sind mir nur von geringem Nutzen“, entgegnete Kil’jaeden, und Ner’zhul zuckte erneut zusammen. „Aber ich glaube, dein Volk wird sie in seinem Kampf gegen die Draenei gut brauchen können. Es ist euer Kampf, nicht wahr?“

Die Angst sorgte dafür, dass sich Ner’zhuls Herz zusammen-krampfte. „Natürlich, mein Herr! Es ist der Wille der Ahnen.“

Kil’jaeden schaute ihn einen Moment lang an, seine leuchtenden Augen versprühten Flammen. „Es ist mein Wille“, sagte er nur, und Ner’zhul nickte eifrig.

„Natürlich, natürlich, es ist dein Wille, und ich werde ihm stets gehorchen.“

Kil’jaeden schien zufrieden mit der Antwort und nickte. Dann war er verschwunden, und Ner’zhul sank zurück und wischte sich den Angstschweiß vom Gesicht.

Am Rande seines Blickfeldes sah er etwas Weißes blitzen. Gul’dan hatte alles beobachtet.

Wir hatten den Angriff schon seit einiger Zeit geplant, und letzte Nacht, als die bleiche Dame nicht schien, fielen wir über die schlafende kleine Stadt her. Niemanden ließen wir am Leben, nicht einmal die Kinder. Ihre Vorräte, Nahrung, Rüstungen, Waffen und einige merkwürdige Gegenstände, die wir nicht kennen, wurden als Beute zwischen den beiden verbündeten Clans aufgeteilt. Ihr Blut, blau und dick, trocknet auf unseren Gesichtern, und wir feiern den Sieg mit einem Tanz.

Es stand noch mehr in der Nachricht, aber Ner’zhul las es nicht. Obwohl sich die Details unterschieden, war der Inhalt der Briefe immer der gleiche. Ein erfolgreicher Angriff, Ehre beim Töten, die Ekstase beim Blutvergießen. Ner’zhul warf einen Blick auf einen Stapel Briefe, die er am Morgen erhalten hatte. Es waren insgesamt sieben.

Mit jedem Monat, der verging, selbst während des langen, harten Winters, wurden die Orcs immer geübter im Töten der Draenei. Mit jedem Sieg hatten sie mehr über ihren Feind erfahren. Die Steine, die Durotan dem Schamanen gegeben hatte, erwiesen sich als äußerst wertvoll. Ner’zhul arbeitete mit ihnen, zuerst alleine, dann zusammen mit anderen Schamanen. Den roten Stein nannten sie das Herz der Wut. Wenn der Anführer eines Überfalls ihn trug, kämpfte nicht nur er selbst besser und mit mehr Wut, sondern auch jeder einzelne Krieger, der unter seinem Befehl stand. Der Stein wurde bei jedem neuen Mond von Clan zu Clan weitergereicht und war sehr begehrt.

Trotzdem wusste Ner’zhul, das niemand es wagen würde, ihn zu behalten.

Den zweiten Stein nannte er Leuchtender Stern. Trug ein Schamane den Kristall, erhöhten sich seine geistigen Fähigkeiten. Während das Herz der Wut Emotionen aufwallen ließ und sie noch erhöhte, hatte der Leuchtende Stern eine beruhigende Wirkung. Die Gedanken liefen schneller ab und waren präziser, und man konnte sich länger konzentrieren. Das Ergebnis war machtvolle Magie, vollkommen kontrolliert ein weiterer Schlüssel zum Sieg der Orcs. Die köstliche Ironie, dass sie die Magie der Draenei gegen sie selbst einsetzten, hob die Moral unter den Orcs zusätzlich an.

Aber all diese Dinge ermutigten Ner’zhul nicht. Die plötzlichen Zweifel, die ihm während des Gesprächs mit Durotan gekommen waren, fraßen sich bis in seine Knochen. Er versuchte sie niederzuzwingen. Gleichzeitig hatte er Angst, dass Kil’jaeden vielleicht seine Gedanken lesen konnte. Aber die Zweifel waren wie Maden, die sich von seinem Körper nährten und im Schlaf und wachen Zustand an ihm nagten. Kil’jaeden sah den Draenei sehr, sehr ähnlich. Konnte es sein, dass sie von derselben Art waren? Und wurde er, Ner’zhul, nur benutzt für etwas wie einen Bürgerkrieg?

In einer Nacht konnte er es nicht länger aushalten. Leise zog er sich an und kletterte auf seinen Wolf Skychaser, der sich streckte und ihn schläfrig anblinzelte.

„Komm, mein Freund“, sagte Ner’zhul liebevoll, als er sich auf den Rücken des großen Tiers setzte. Er war vorher noch nie zum heiligen Berg geritten. Immer war er, wie es die Tradition gebot, gelaufen. Aber er musste zurück sein, bevor er vermisst wurde, und er war sicher, dass die Dringlichkeit seiner Mission diesen Verstoß rechtfertigte.

Es war beinahe schon Frühling, fast schon Zeit für das Kosh’harg-Fest. Aber der Frühling erschien ihm trotzdem weit weg, als der kalte Wind in Ner’zhuls Nase biss. Er hüllte sich in seinen Mantel, dankbar für die Wärme des massigen Wolfs, und schützte sich so gut es ging vor dem Wind und dem Schnee.