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„Ner’zhul war ein ehrenwerter Anführer“, sagte Gul’dan, während er auf einer getrockneten Frucht kaute. Dabei popelte er mit einer Kralle ein Stück zwischen seinen Zähnen hervor, das sich dort festgesetzt hatte. „Aber... es wurde entschieden, dass von nun an ich die Orcs führe. Und ein weiser Anführer umgibt sich mit denen, denen er vertraut. Die stark sind und folgsam. Die ihre Verpflichtungen erfüllen. Und die für ihre Treue geehrt und reich belohnt werden.“

Schwarzfaust hatte bei dem Begriff „folgsam“ leise geknurrt. Aber als er die Worte „geehrt“ und „reich belohnt“ hörte, war er sofort wieder besänftigt. Er schaute zu den acht Schamanen, die er auf Gul’dans Geheiß mitgebracht hatte. Sie saßen an einem zweiten Feuer, etwas entfernt, und wurden von Gul’dans Dienern versorgt. Sie befanden sich außer Hörweite und wirkten unglücklich.

Schwarzfaust sagte: „Du wolltest, dass ich die Schamanen mitbringe. Ich nehme an, du weißt, was passiert ist.“

Gul’dan seufzte und griff nach einem Talbukbein. Er biss tief hinein, dass ihm der Saft übers Gesicht lief. Er wischte ihn weg, kaute, schluckte und antwortete: „Ja, ich habe davon gehört. Die Elemente gehorchen ihnen nicht länger.“

Schwarzfaust beobachtete ihn genau. „Einige sagen, es wäre eine Strafe, weil wir Falsches tun.“

„Glaubst du das?“

Schwarzfaust zuckte mit den massigen Schultern. „Ich weiß nicht, was ich denken soll. Das ist alles völlig neu. Die Ahnen sagen das eine, aber die Elemente kommen nicht.“ Auch sein Vertrauen in die Ahnen schwand bereits. Aber er hielt seine Zunge im Zaum. Schwarzfaust wusste, dass viele ihn für einen Narren hielten. Er liebte es, andere glauben zu lassen, er wäre nur ein Kraftprotz, nicht mehr. Dadurch verschaffte er sich klare Vorteile.

Offenbar wollte Gul’dan ihn prüfen, und Schwarzfaust fragte sich, ob der neue geistige Führer der Orcs gespürt hatte, dass in ihm, dem Häuptling der Schwarzfels-Orks, mehr steckte, als es den Anschein hatte.

„Wir sind eine stolze Rasse“, sagte Gul’dan. „Es fällt uns manchmal schwer zuzugeben, dass wir nicht alles wissen. Kil’jaeden und die Wesen, die er führt, hüten Geheimnisse, die ihnen große Macht verleihen. Macht, die sie gewillt sind, mit uns zu teilen!“

Gul’dans Augen leuchteten vor Erregung, und Schwarzfausts Herz begann zu rasen.

Gul’dan beugte sich vor und flüsterte: „Im Vergleich zu ihnen sind wir so dumm wie Kinder, auch du oder ich. Aber sie sind bereit, uns zu lehren. Mit einigen von uns ihre Kräfte zu teilen. Kräfte, mit denen wir nicht mehr abhängig sind von den Launen der Geister von Luft, Erde, Feuer und Wasser.“ Gul’dan machte eine geringschätzige Geste. „Kräfte wie diese sind schwach. Sie sind nicht verlässlich. Sie können einen mitten in der Schlacht verlassen und hilflos zurücklassen.“

Schwarzfausts Gesicht verhärtete sich. Genau das hatte er erlebt, und es hatte seine Krieger all ihre Kraft gekostet, dennoch den Sieg zu erringen. Die Schamanen hatten entsetzt aufgeschrien, als die Elemente ihnen nicht länger dienlich waren.

„Ich höre“, knurrte er leise.

„Stell dir vor, du würdest eine Gruppe von Schamanen führen, die die Quelle ihrer Kräfte kontrollieren könnte, statt um sie zu betteln“, sagte Gul’dan. „Stell dir vor, diese Schamanen hätten Diener, die auf deiner Seite kämpften. Diener, die sagen wir mal deine Feinde in Angst und Schrecken versetzen. Die ihnen die Magie aussaugen wie Insekten das Blut. Sie ablenken, sodass ihre Aufmerksamkeit nicht der Schlacht gilt.“

Schwarzfaust hob eine buschige Augenbraue. „Ich kann mir vorstellen, dass ich dann einen Sieg nach dem anderen erringen würde, immer wieder.“

Gul’dan nickte grinsend. „Genau.“

„Aber woher weißt du, dass das alles wahr ist und nicht ein paar falsche Versprechungen, die dir eingeflüstert wurden?“

Gul’dans Lächeln wurde breiter. „Weil ich es bereits erlebt habe, mein Freund. Ich werde deinen Schamanen alles beibringen, was ich kann.“

„Beeindruckend“, brummte Schwarzfaust.

„Aber das ist noch nicht alles, was ich dir anbieten kann. Ich kenne einen Weg, wie ich dich und jeden, der an deiner Seite kämpft, kraftvoller und wilder machen kann. All das kann unser sein, wenn wir es uns nur nehmen.“

„Unser?“

„Ich kann nicht meine Zeit damit verschwenden, mit jedem verdammten Clanführer unter vier Augen zu reden, sobald sie eine Beschwerde haben.“ Gul’dan wedelte herrisch mit der Hand. „Da gibt es die, die mit uns kooperieren, und die, die es nicht tun.“

„Sprich weiter“, sagte Schwarzfaust.

Aber Gul’dan schwieg und sammelte seine Gedanken. Schwarzfaust nahm einen Stock und warf ihn ins Feuer. Er wusste gut, dass ihn die meisten Orcs, sogar die aus seinem eigenen Clan, für hitzköpfig und ungestüm hielten. Aber er wusste auch, dass Geduld manchmal viel wert war.

„Ich stelle mir zwei Gruppen von Anführern für die Orcs vor“, sprach Gul’dan endlich weiter. „Die eine ist ein ganz normal regierender Rat, der Entscheidungen fällt. Dessen Anführer wird gewählt, und was er tut, ist für jeden offensichtlich. Die zweite Gruppe wird... mh, ein Schatten davon sein. Geheim. Machtvoll. Dieser... Schattenrat wird sich aus Orcs zusammensetzen, die unsere Ansichten teilen und die willens sind, die notwendigen Opfer zu bringen.“

Schwarzfaust nickte. „Ja... ja, ich verstehe. Eine offizielle Führung und eine geheime.“

Gul’dan lächelte.

Schwarzfaust betrachtete ihn einen Moment lang, dann wollte er wissen: „Und zu welcher soll ich gehören?“

„Zu beiden, mein Freund“, antwortete Gul’dan sanft. „Du bist der geborene Führer. Du hast Ausstrahlung, Stärke, und selbst deine Feinde wissen, dass du ein Meisterstratege bist. Es wird leicht sein, dafür zu sorgen, dass du zum Anführer der Orcs gewählt wirst.“

Schwarzfausts Augen blitzten. „Ich bin keine Marionette“, knurrte er.

„Natürlich nicht“, entgegnete Gul’dan. „Deshalb sagte ich ja, du gehörst zu beiden Gruppen. Du wärst der Anführer der neuen Art von Orcs, dieser... Horde, wenn du willst. Und du wirst ebenso im Schattenrat sein. Wir können nicht zusammenarbeiten, solange wir uns nicht gegenseitig trauen, oder?“

Schwarzfaust schaute in Gul’dans funkelnde, schlaue Augen und lächelte. Er traute dem Schamanen nicht ein bisschen, und er vermutete, dass Gul’dan das umgekehrt auch nicht tat. Aber das zählte nicht. Sie wollten beide Macht. Schwarzfaust wusste, dass er nicht über die notwendigen Talente und Fähigkeiten verfügte, die vonnöten waren, um die Art von Macht zu bekommen, nach der Gul’dan lüstete. Und Gul’dan wollte nicht die Sorte Macht, nach der Schwarzfaust strebte. Sie waren keine Gegner, sondern Verbündete. Was dem einen nützte, würde auch dem anderen nützen und ihm nichts wegnehmen.

Schwarzfaust dachte an seine Familie: seine Frau Urukal, an seine beiden Söhne Rend und Maime und an seine Tochter Griselda. Er kümmerte sich nicht um sie, wie sich dieser schwache Durotan um seine Gefährtin Draka kümmerte, aber er sorgte für sie. Er wollte seine Gefährtin mit Juwelen behängt sehen, seine Söhne und seine Tochter geehrt, wie es sich für seine Kinder gehörte.

Aus dem Augenwinkel heraus sah er eine Bewegung. Er wandte sich um und erblickte Ner’zhul, einst ein mächtiger Schamane, jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst, der das Zelt verließ.

„Was ist mit ihm?“, fragte Schwarzfaust.

Gul’dan zuckte mit den Schultern. „Was soll mit ihm sein? Er hat nichts mehr zu sagen. Das schöne Wesen wünscht, dass er noch am Leben bleibt. Er scheint etwas Besonderes mit Ner’zhul vorzuhaben. Die Liebe zu Ner’zhul ist bei den Orcs noch zu tief verwurzelt, um ihn einfach beiseite zu schieben. Aber mach dir keine Sorgen. Er stellt für uns keine Bedrohung dar.“