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Sie hatte ihm über die Schulter geschaut und den Inhalt der Botschaft gelesen.

Er lächelte sie traurig an. „Du warst früher doch nicht so zynisch, Geliebte.“

„Da lebte ich auch noch nicht in solchen Zeiten.“ Das war alles, was sie sagte. In seinem Herzen wusste er, dass sie recht hatte. Es gab nur einen Orc, der bekannt und charismatisch genug war, um diese Wahl zu gewinnen. Grom Hellschrei mochte Schwarzfaust ein wenig Paroli bieten, aber Hellschrei war zu impulsiv, als dass man ihn zum Kriegshäuptling wählen konnte. Schwarzfaust hatte von Anfang an im Zentrum der Geschehnisse gestanden, zuerst als Gegner und dann als Ner’zhuls Unterstützer. Seine Schamanen waren es gewesen, die zuerst Hexenmeister wurden, und er hatte mehr Siege gegen die Draenei errungen als jeder andere.

Draka hatte wie so oft recht. Und zwei Tage später beobachtete Durotan gelangweilt, wie die Stimmen der Häuptlinge ausgezählt wurden und wie Schwarzfaust vom Schwarzfels-Clan zum Kriegshäuptling ernannt wurde. Er spürte mehrere Blicke auf sich gerichtet, als Gul’dan Schwarzfausts Namen verkündete. Er sah, wie der große Orc aufstand und mit falscher Bescheidenheit die Wahl annahm. Durotan dachte gar nicht daran, seinen Protest kundzutun. Was hätte er auch vorbringen können? Er stand bereits unter Beobachtung, weil man ihn verdächtigte, seinem Volk gegenüber nicht ausreichend loyal zu sein. Sein Wort würde kaum etwas ändern.

Er schaute zu Orgrim hinüber. Auf alle anderen musste es so wirken, als würde der Stellvertreter des Schwarzfels-Clans Schwarzfaust unterstützen. Aber Durotan kannte Orgrim besser. Seine aufeinander-gepressten Lippen zeugten davon, dass Orgrim genauso wie Durotan nicht mit der Entscheidung einverstanden war. Aber auch er konnte nichts gegen Schwarzfaust vorbringen. Durotan hoffte, dass vielleicht Orgrims Nähe zu Schwarzfaust helfen würde, den Schaden, den der Häuptling der Schwarzfels-Orcs anrichten konnte, zu begrenzen.

Schwarzfaust stand vor der Versammlung und lächelte der jubelnden Menge zu. Durotan konnte nichts gegen ihn unternehmen, aber genauso wenig konnte er sich überwinden, einem Orc zuzujubeln, der all das darstellte, was er verachtete.

Orgrim stand links hinter seinem Anführer. Gul’dan, der, da war sich Durotan sicher, die Dinge irgendwie manipulierte, trat zurück und blickte Schwarzfaust respektvoll an.

„Meine orcischen Brüder und Schwestern!“, rief Schwarzfaust. „Ihr ehrt mich mit eurer Wahl. Ich werde mich als würdiger Kriegshäuptling erweisen. Tag für Tag verbessern wir unsere Waffen und unsere Rüstungen. Und jetzt weisen wir die unverlässlichen Elemente zurück und heißen die wahre Macht willkommen Macht, die unsere Hexenmeister kontrollieren und ohne Bitten oder Betteln einsetzen können. Das ist wahre Befreiung! Das ist Stärke! Wir haben ein klares Ziel. Wir werden die Draenei vernichten. Sie werden sich den Kriegern und Hexenmeistern nicht widersetzen können, der alles mit sich reißenden Horde. Wir sind ihr schlimmster Albtraum. Auf in den Kampf!“ Er hob die Arme und brüllte: „Für die Horde!“

Und tausende Stimmen riefen: „Für die Horde! Für die Horde! Für die Horde!“

Durotan und Draka kehrten kurz nach Schwarzfausts Wahl nach Hause zurück. Die Schamanen blieben, um die Ausbildung zu absolvieren. Als sie einige Tage später nachkamen, sah Durotan ihren Stolz; diese neue Magie hatte ihnen ihr Selbstvertrauen zurückgegeben. Dafür war Durotan dankbar. Er liebte seinen Clan und wusste, dass es alles gute Orcs waren. Er wollte nicht, dass sie verzweifelten.

Sie übten ihr Können zuerst an Tieren, begleiteten die Jagdgruppen und hetzten ihre merkwürdigen Kreaturen auf Spalthufe und Talbuks. Durotan war immer noch betrübt wegen der Qualen, welche die angegriffenen Tiere erlitten. Mit der Zeit litten die Tiere weniger, nicht weil die Qualen erträglicher wurden, sondern weil die Hexenmeister lernten, schneller und effektiver zu töten. Die seltsamen „Helfer“ oder „Haustiere“, wie einige Hexenmeister ihre Wesen liebevoll nannten, schienen sich zu bewähren.

Schwarzfaust genoss seine neue Position. Beinahe täglich brachten Kuriere neue Schriftrollen ins Lager. Als sich erneut ein Reiter auf einem Wolf näherte, erkannte ihn Durotan schon von Weitem an der Kleidung: Der strahlende schwarze Umhang war so etwas wie ein Kennzeichen von Kur’kul, einem von Schwarzfausts persönlichen Hexenmeistern. Er hielt seinen Wolf an, stieg ab und verneigte sich vor Durotan.

„Häuptling, eine Nachricht für dich vom Kriegshäuptling“, sagte er mit überraschend angenehmer Stimme.

Durotan nickte und bedeutete dem Hexer, ihm zu folgen. Sie gingen ein Stück, bis er sicher war, dass niemand sie hören konnte.

„Was ist passiert, dass Schwarzfaust mir einen seiner wichtigsten Hexenmeister schickt?“, fragte er.

Kur’kul lächelte eisig. „Ich reite zu allen Clans.“ Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er Durotan auf seinen Platz verweisen wollte, denn was er sagte, war keine besondere Ehre für die Frostwölfe.

Durotan grunzte und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

„Am wichtigsten für einen Sieg über die Draenei ist unsere Anzahl“, fuhr Kur’kul fort. „Sie sind wenige, wir sind viele. Aber wir müssen noch mehr werden.“

„Was wünscht Schwarzfaust denn?“, knurrte Durotan. „Sollen wir das Kämpfen zugunsten der Paarung aufgeben?“

Kur’kul lächelte nicht. „Nicht weniger kämpfen, aber... ja, ermutige deine Krieger, sich fortzupflanzen. Für jedes Kind, das in deinem Clan geboren wird, erhältst du eine Belobigung. Aber unglücklicherweise brauchen wir jetzt mehr Krieger und nicht in sechs Jahren.“

Durotans Blick gefror. Er hatte seine Bemerkung als Witz gemeint. Was geschah hier?

„Die Kinder beginnen ihr Training mit sechs Jahren“, sagte Kur’kul. „Sie sind mit zwölf stark genug zum Kämpfen. Ruf all deine Jünglinge zusammen.“

„Ich verstehe nicht“, sagte Durotan. „Für was soll ich sie zusammenrufen?“

Kur’kul seufzte. „Ich habe die Fähigkeit, ihr Wachstum zu fördern“, erklärte er dann. „Wir werden... sie ein wenig entwickeln. Wenn wir das mit allen Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren so machen, werden wir die Zahl der Krieger im Feld um fast fünfzig Prozent erhöhen.“

Durotan konnte nicht glauben, was er hörte. „Ganz sicher werdet ihr das nicht!“

„Es tut mir leid, aber das ist nicht deine Entscheidung. Es ist ein Befehl. Jeder Clan, der sich dem widersetzt, begeht Verrat an der Horde und wird ins Exil geschickt, und der Anführer und seine Gefährtin werden exekutiert.“

Durotan war fassungslos.

Kur’kul übergab ihm ein Schreiben. Durotan las es und schüttelte sich vor Wut, als er bestätigt bekam, dass der Hexer die Wahrheit sagte. Er und Draka würden getötet und der Frostwolf-Clan ins Exil geschickt werden, wenn er sich weigerte.

„Du stiehlst ihnen die Kindheit!“, warf er dem Hexer vor.

„Im Austausch für ihre Zukunft, ja. Ich ziehe etwas Leben aus ihnen heraus, nur sechs Jahre. Ihnen wird nichts geschehen. Den Schwarzfelskindern ist auch nichts geschehen. Schwarzfaust hat darauf bestanden, dass seine eigenen drei die Ersten sind, die derart geehrt werden. Und im Gegenzug können sie jetzt für den Ruhm der Horde kämpfen.“

Durotan war nicht im Mindesten überrascht darüber, dass Schwarzfaust seinen Kindern das angetan hatte. Zum ersten Mal war Durotan dankbar, dass es nur so wenige Kinder in seinem Clan gab. Es waren nur fünf, die älter als sechs Jahre waren und jünger als zwölf. Er las die Nachricht erneut, war zugleich wütend und angewidert. Diese Kinder sollten die Möglichkeit haben, einfach Kinder zu sein.

Der Hexenmeister wartete ruhig. Schließlich sagte Durotan mit einer Stimme, die absichtlich schroff klang, um seine Qual zu verbergen: „Tu, was du tun musst!“

„Für die Horde!“, sagte Kur’kul.

Durotan antwortete nicht.

Was als Nächstes geschah, war barbarisch.

Durotan zwang sich, ruhig zu bleiben, während Kur’kul den magischen Spruch über die fünf Frostwolfkinder sprach. Sie wanden sich vor Qual, schrien und wälzten sich auf dem Boden, während ihre Knochen gestreckt wurden, als Haut und Muskeln in unnatürlichem Wachstum gezerrt wurden. Ein schimmernder grüner Strahl verband den Hexer mit den Kindern, als würde er ihnen ihr Leben aussaugen. Der Ausdruck auf Kur’kuls Gesicht war ekstatisch. Die Kinder litten, doch er auf jeden Fall nicht. Einen schrecklichen Moment lang dachte Durotan, dass der Hexenmeister nicht beim Alter von zwölf aufhören würde, sondern weitermachte, bis sie alt und völlig ausgelaugt waren.