Orgrim drehte sich gerade rechtzeitig um, um mitzubekommen, wie ein orcischer Krieger durch die Luft wirbelte. Er wurde von einem einzigen Treffer des massiven Knüppels eines Ogers getötet. Knurrend wollte sich Orgrim auf die mörderische Bestie stürzen, als ein Ruf erschallte: „Aufhören, aufhören!“
Es zeugte von Schwarzfausts Macht, dass seine Orcs, völlig im Blutrausch, den Kampf tatsächlich abbrachen. Die Oger taten es nicht, zumindest nicht sofort, und Orgrim stellte fest, dass er Abstand von ihnen suchte, bis die langsamen Ogergehirne verstanden, was los war. Es ist zu unser aller Nutzen, sagte er zu sich selbst. Er sah, wie jene Oger, welche die Schwarzfels-Orcs gezähmt hatten, mit ihren Artgenossen sprachen. Oder besser: wie sie diese anbrüllten und – wie es unter ihnen üblich war – sie schlugen. Und die Oger stoppten tatsächlich ihre Angriffe und schienen zuzuhören.
Einer von ihnen, ein Größerer, der so etwas wie eine offizielle Schärpe trug, musste über ein gewisses Maß an Intelligenz verfügen. Orgrim konnte ihre Sprache nicht verstehen und nutzte die Pause, um zu Atem zu kommen und etwas Wasser zu trinken.
„Ich kann’s kaum erwarten, dass wir sie wieder töten können“, sagte Rend.
Orgrim sah den ältesten Sohn seines Häuptlings an. „Wenn wir erfolgreich sind, werden sie gemeinsam mit uns kämpfen. Dir wird es nicht erlaubt sein, sie zu töten.“
Maim spuckte aus. „Dann töten wir sie eben ohne Erlaubnis!“
Orgrim musste grinsen. Er selbst hätte nichts lieber getan, aber... „Einige sind tot, das muss reichen. Euer Vater würde es nicht mögen, würdet ihr seinen Plan gefährden.“
Rend feixte. „Wer würde uns verraten?“
„Ich. Wenn das hier klappt und sie uns zuhören und dann doch noch irgendeiner von ihnen tot aufgefunden wird, nenne ich eure Namen.“
Rend schaute ihn finster an. Im Moment sah es aus, als ob es jugendliche Launenhaftigkeit wäre, die in ihm tobten, aber Orgrim hatte eine böse Vorahnung. Er hatte Schwarzfaust nie gemocht und mochte seine Kinder, mit Ausnahme von Griselda, noch weniger. Er wusste nicht, ob dafür ihre Abstammung oder ihr unnatürliches Wachstum verantwortlich war. Aber in ihnen lauerte eine Dunkelheit, der Orgrim misstraute. Eines Tages, wenn sie nicht nur ihre mächtigen Muskeln, sondern auch ihren Verstand gebrauchten, würden sie gefährlicher sein als ihr Vater.
„Ich hab dir doch gesagt, dass er nicht zuhört, Rend“, sagte Maim launenhaft. „Der alte Orc hat vergessen, wie es ist, wenn der Blutrausch dich durchströmt. Komm, gehen wir.“@
Mit einem letzten Feixen folgte Rend seinem Bruder. Orgrim seufzte. Doch er hatte größere Probleme als zwei schnöselige Burschen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Verhandlungen zu, obwohl er als Orc nicht ein Wort davon verstand. Es wurde nicht mehr gekämpft. Schwarzfaust, der das Schlachtfeld verlassen hatte, wie er es auch jedem anderen aus seinem Clan befohlen hatte, führte seinen Wolf dorthin, wo sich die Oger versammelt hatten. Orgrim ritt an die Seite seines Häuptlings und hörte, wie der Anführer der Oger verkündete: „Wir nicht mögen Gronn. Gronn tun uns weh.“
Er winkte einen der anderen Oger heran, der sich umdrehte, um Orgrim und Schwarzfaust seinen Rücken zu zeigen. Orgrim sah, dass Narben im Zickzack den Rücken des Ogers überzogen. Er fühlte kein Mitleid mit der Kreatur; sie hatten den Orcs in den letzten Jahrzehnten Schlimmeres angetan. Trotzdem war es gut, dies zu wissen. Die gefangen genommenen Oger hatten ebenfalls davon gesprochen, und nun nickten sie, als wären sie fürchterlich weise.
„Was ihr uns geben, wenn verbünden uns?“, verlangte der Anführer zu wissen.
Schwarzfaust grinste. „Nun, zum einen schlagen wir euch nicht.“ Orgrim dachte an Schwarzfausts Söhne, sagte aber nichts. „Wir kümmern uns darum, dass ihr Essen bekommt und die geeigneten Waffen.“ Daraufhin war Orgrim erleichtert, dass Schwarzfaust ihnen keine Rüstungen versprochen hatte. Mit dem Material, das nötig war, um einen Oger zu schützen, konnten drei Orcs gerüstet werden. Und glücklicherweise war der Anführer, obwohl offensichtlich einer der intelligenteren Oger, trotzdem noch nicht helle genug, selber an Rüstungen zu denken. „Ihr werdet Essen haben, Unterkünfte – und die Freude, Draenei erschlagen zu können.“
Die anderen Oger hatten genau zugehört, und einer von ihnen sprang tatsächlich vor Entzücken auf und ab. „Ich schlagen!“, brüllte er fröhlich, und einige andere nahmen den einfachen, offensichtlich amüsanten Satz auf.
Schwarzfaust wartete, bis sie sich beruhigten, bevor er wieder das Wort ergriff. „Dann sind wir uns einig?“
Der Anführer der Oger nickte. „Keine Jagd mehr auf Oger“, knurrte er. Seine kleinen Augen waren voller Tränen, und als er noch mal den Oger mit dem vernarbten Rücken anschaute, empfand Orgrim auf einmal doch ein wenig Mitleid mit ihm. Aber nur ein kleines bisschen.
„Wie heißt du?“, fragte er den Anführer des Oger-Trupps und sah ihn an.
„Krol“, lautete die Antwort.
„Also dann, Krol“, rief Schwarzfaust schnell, bevor sein Stellvertreter mehr sagen konnte. „Wann, glaubst du, sollten wir unseren gemeinsamen Angriff beginnen?“
„Jetzt!“, sagte Krol, und bevor Orgrim oder Schwarzfaust widersprechen konnten, brüllte er etwas in seiner eigenen Sprache.
Die Oger sprangen auf und ab, und die Erde bebte. Dann drehten sich alle um und strebten jener Höhle zu, aus der sie gekommen waren.
Schwarzfaust warf Orgrim einen Blick zu, der mit den Schultern zuckte. Seiner Meinung nach war es leichter, die Flut aufzuhalten als diese dummen, einfältigen Riesen.
„Ruf sie!“, sagte Schwarzfaust.
Orgrim holte ein Spalthufhorn aus der Tasche und blies hinein. Die Orcs schrien vor Freude und eilten herbei.
Es war nicht genug Zeit, um den Schwarzfels-Clan noch mal an den Plan zu erinnern. Orgrim hoffte, dass sie sich daran halten würden, speziell die übereifrigen Maim und Rend. Gut, sie sollten Oger töten, aber verdammt noch mal die richtigen.
Denn wenn sie den Ogern auch nur den geringsten Grund gaben, diese plötzliche und eigenartige Allianz zu hinterfragen, dann würden die Babys, die alten Männer und Frauen, die auf Nachricht im Lager warteten, die einzigen des Schwarzfels-Clans sein, die diesen Tag überlebten.
Orgrim war nicht optimistisch. Der Schwarzfels-Clan war schon immer sehr kämpferisch gewesen. Schwarzfaust war wenig mehr als ein durchtriebener Primitiver, und Orgrim hatte schon mehrmals erkennen müssen, dass sich eine nahezu manische Wut durch alle Clans zog. Als er seinen Wolf herumriss, um mit seinen Clan-Mitgliedern zur Höhle zu reiten, fragte er sich, ob ihn seine Augen täuschten.
Sicherlich war der grünliche Farbton auf der Haut des Orcs neben ihm nichts anderes als ein Lichteffekt.
17
Heimat.
Welchem Volk du auch angehörst, es ist ein Wort, ein Konzept, welches das Herz mit Sehnsucht erfüllt. Heimat kann das alte Land der Vorfahren sein oder ein neuer Ort, den man dazu gemacht hat. Heimat kann selbst in den Augen eines geliebten Wesens gefunden werden. Aber wir alle brauchen sie, verlangen danach, wissen, dass wir ohne ein Heim auf irgendeine Art unvollständig sind.
Viele Jahre lang hatte jeder Clan seine eigene Heimat, ein eigenes heiliges Land, seine eigenen Geister der Erde, der Luft, des Wassers, des Feuers und die Geister der Wildnis. Doch wir wurden entwurzelt, waren heimatlos, bis wir schließlich nach Kalimdor kamen. Hier fand ich eine neue Heimat für unser umherziehendes Volk. Einen Ort des Friedens und eine heilige Stätte, wo wir wieder zu uns finden und uns erholen können.
Meine Heimat ist jetzt nach meinem Vater benannt: das Land Durotar.
Durotan hob den Kopf und schnupperte in den Wind. Der Geruch, der seine Nüstern füllte, schmeckte nach Staub und Trockenheit, aber da war auch ein beißender Gestank – nicht der Geruch von etwas Verbranntem, aber es war nahe dran. Drek’Thar hätte diesen Geruch damals erkennen können, aber diese Tage waren vorbei. Er war kein Schamane mehr, sondern ein Hexenmeister. Die Luft würde ihn nicht kühlen, wenn er sie darum bat, oder Botschaften übermitteln, als wären sie auf Pergament geschrieben. Noch schlimmer aber war, dass Drek’Thar und die anderen Hexenmeister des Frostwolf-Clans dies nicht im Geringsten zu kümmern schien.