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Durotan ließ ihn los. Ghun trat zurück, verneigte sich und ging. Durotan haderte mit sich. Ghun spürte, dass sich die Dinge in die falsche Richtung entwickelten. Aber ein einziger Junge, der versuchte, die Elemente zu kontaktieren, konnte nichts dagegen tun.

Genauso wenig wie ein einzelner Häuptling, dachte Durotan bitter.

Eine heilige Stätte war das Nächste, was die Horde eroberte.

Nur kurz nach dem Verbot des Schamanentums kam der Befehl, zu einem Ort zu gehen, den die Draenei „Tempel von Karabor“ nannten. Obwohl er nah am Schattenmondtal lag, der Heimat von Ner’zhuls eigenem Clan, hatte kein Orc den Tempel zuvor gesehen. Es war ein heiliger Ort, und als solcher war er von den Orcs respektiert worden. Zumindest bis Schwarzfaust vor der versammelten Armee stand und über die sogenannte „Spiritualität“ der Draenei sprach.

„Die Städte, die wir bislang eingenommen haben, dienten nur der Übung“, verkündete Schwarzfaust. „Schon bald werden wir ihre Hauptstadt zerstören. Aber bevor wir ihre wichtigste Stadt zerschmettern, werden wir sie als Volk vernichten. Wir werden diesen verdammten Tempel stürmen! Ihre Statuen zerstören! Alles, was ihnen etwas bedeutet, vernichten! Ihre geistigen Führer töten! Sie werden ihr Herz verlieren, und dann... dann wird die Einnahme ihrer Hauptstadt so leicht sein wie einen blinden Wolfwelpe zu töten.“

Durotan, der bei den anderen bewaffneten Kriegern stand, schaute Orgrim an. Wie es fast immer der Fall war, stand sein alter Freund an Schwarzfausts Seite. Orgrim war ein Meister darin geworden, seine Gefühle zu verbergen. Aber er konnte sie vor Durotan nicht vollständig verstecken. Der Tempel war Velens Zuhause. Der Prophet hatte an dem Tag, als Orgrim und Durotan ihn getroffen hatten, Telmor nur besucht, sein Heim war der Tempel, wo er betete, meditierte und als Prophet und Führer seinem Volk diente. Sie würden ihn an diesem Tag töten, wenn er da war.

Durotan war es schwer genug gefallen, Restalaan umzubringen. Er hätte gern gebetet, dass er nicht gezwungen war, Velen ein Leid anzutun, aber da war niemand mehr, zu dem er hätte beten können.

Sechs Stunden später, als er auf der Obersten der Stufen zum großen Sitz des Tempels der Draenei stand, würgte er fast bei dem Gestank, der seine Nüstern erfüllte. Der inzwischen vertraute Geruch von Draenei-Blut, der Gestank nach Urin und Fäkalien und der schwere Geruch der Angst erfüllten die Luft. Hinzu kam der widerlich süßliche Geruch des Weihrauchs.

Durotan beugte sich vor und erbrach sich. Ein saurer Geschmack blieb im Mund zurück. Er schnaufte und würgte, bis sein Magen völlig leer war. Dann spülte er mit zitternden Händen seinen Mund mit Wasser aus und spuckte.

Harsches Gelächter erreichte seine Ohren, und er lief rot an. Er drehte sich um und sah Schwarzfausts Brut Rend und Maim, die ihn auslachten.

„So ist es richtig!“, rief Rend. „Das ist alles, was sie verdienen unsere Kotze und unsere Spucke!“

„Ja“, wiederholte Maim lahm. „Unsere Kotze und unsere Spucke.“ Dann trat er gegen den Körper eines nahe liegenden Priesters, der hellviolette Kleidung trug, und spuckte auf ihn.

Durotan wandte sich vor Ekel und Schrecken ab, aber wohin er auch schaute sah er Orcs, die das gleiche taten wie die Söhne Schwarzfausts: Sie schändeten die Toten. Sie zerhackten sie, plünderten sie aus, zogen ihre blutigen Roben an und trieben ihren Spott damit. Andere stopften schön geschnitzte Schüsseln, Teller und Kerzenhalter in Säcke, während sie die süßen Früchte aßen, die für Gottheiten gedacht waren, die die Orcs nicht verstanden und auch nicht verstehen wollten. Schwarzfaust, der einen weiteren Sieg errungen hatte, hatte eine Art alkoholisches Getränk gefunden und kippte es so schnell in sich hinein, dass ein Teil der grünen Flüssigkeit verschüttet wurde und über seine Rüstung lief.

Was ist aus uns geworden? Mörder von unbewaffneten Priestern, Diebe von Dingen, die ihnen heilig sind, und Leichenschänder! Mutter Kashur, ich bin froh, dass du uns verboten bist. Ich würde nicht wollen, dass du das hier siehst.

„Sie haben den Tempel genommen“, sagte Kil’jaeden. „Aber sie haben meinen Preis noch nicht gefunden.“

Kil’jaedens Stimme klang so honigsüß wie immer, aber sein Schweif schlug erregt.

Gul’dans Magen zog sich vor Furcht zusammen. „Velen, der Verräter, muss es irgendwie gewusst haben“, sagte er. „Er wird immerhin Prophet genannt.“

Kil’jaedens massiger Schädel wippte, und Gul’dan war nahe dran zu verzagen. Dann nickt Kil’jaeden langsam.

„Du hast recht“, sagte er. „Wenn er ein leichter und dummer Feind wäre, hätte ich ihn hier gefunden.“

Gul’dan wagte es aufzuatmen. Ein Teil von ihm brannte darauf zu fragen, was Velen einem seiner eigenen Rasse angetan hatte, davon war er nämlich mittlerweile überzeugt, um solchen Hass zu verdienen. Aber Gul’dan war schlau genug, den Mund zu halten. Er konnte mit der unbefriedigten Neugierde leben.

„Nachdem wir den Tempel besetzt haben, großes Wesen, sind alle Überlebenden garantiert in die Stadt geflüchtet. Dort werden sie sich sicher fühlen, ohne zu ahnen, dass sie in der Falle sitzen.“

Kil’jaeden spreizte seine Finger und lächelte. „Ja“, sagte er. „Ja, der Tempel soll dir gehören. Schwarzfaust ist recht gut in der Zitadelle untergekommen. Aber bevor du deine kleine Marionette die Draenei-Festung angreifen lässt, habe ich für sie ein kleines... Geschenk.“

Ner’zhul wartete darauf, dass Gul’dan fertig war. Er beobachtete durch halb geschlossene Augen, wie Gul’dan Brief um Brief schrieb. Er bekam Tintenflecken an seinen dicken Fingern, was ihn aber nicht davon abhielt, dieselben Finger zu benutzen, um ein Fruchtstück aufzunehmen oder sich ein Stück Fleisch in den Mund zu stecken. Offenbar waren das wichtige Briefe, denn sonst hätte Gul’dan einen seiner Schreiber damit beauftragt.

Der Tempel war gesäubert worden, wie Gul’dan es genannt hatte. Die Priester hatten sich tapfer und dumm der Flut von Orcs entgegengestellt, die sie schnell und grausam getötet hatten. Ner’zhul hatte gehört, dass ihre Körper geschändet worden waren, und stellte fest, dass ein Teil von ihm noch zu so viel Mitleid fähig war, dass ihn der Gedanke krank machte. Diese geschändeten Körper waren längst entfernt worden, so wie die heiligen Gegenstände geraubt worden waren. Große Bereiche des Tempels waren verschlossen worden, denn der Rat und seine Diener brauchten nicht allen Platz. Einige der Möbel wurden von den Mitgliedern des Rats benutzt, den Rest hatte man zerstört oder entfernt und sie durch die finsteren, mit Stacheln versehenen merkwürdigen Dekorationen ersetzt, die mittlerweile die Horde kennzeichneten. Das Gebäude hieß nun der Schwarze Tempel, und statt Priestern und Propheten war er das Heim von Lügnern und Verrätern. Und er, das gestand sich Ner’zhul ein, gehörte dazu.

Endlich war Gul’dan fertig. Er trocknete die Tinte mit Sand, lehnte sich zurück und sah seinen früheren Meister mit kaum verhohlener Abscheu an. „Adressiere sie und bring sie zu den Kurieren. Und beeil dich.“

Ner’zhul neigte den Kopf. Er konnte es immer noch nicht über sich bringen, sich vor seinem ehemaligen Schüler zu verbeugen. Und Gul’dan, der genau wusste, dass Ner’zhul keine Bedrohung mehr darstellte, bestand nicht darauf. Ner’zhul setzte sich in den Stuhl, den Gul’dan verlassen hatte, und als dessen schwere Schritte verklangen, begann er sofort zu lesen.

Gul’dan hatte gewusst, dass er die Briefe lesen würde. Und tatsächlich enthielten sie nichts, was Ner’zhul nicht ohnehin schon wusste. Er war eingeweiht in alle Treffen des Schattenrats, obwohl er gezwungen wurde, auf dem kalten Steinfußboden zu sitzen. Er war sich nicht sicher, warum ihm das erlaubt wurde, nur, dass Kil’jaeden es aus irgendeinem Grund so wollte. Wäre das nicht so, da war er sich sicher, hätte Gul’dan ihn sofort beseitigt.