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Er stand mit gelangweiltem Blick im Innenhof und wartete auf seine Befehle. Schwarzfaust ritt zu den Toren der Zitadelle, wo sie ihn gut sehen konnten. Es war windig, die Banner der verschiedenen Clans flattern.

„Wir haben einen langen Marsch vor uns!“, rief Schwarzfaust. „Euch wurde gesagt, Verpflegung einzupacken, ich hoffe, ihr habt das auch gemacht. Krieger, eure Waffen müssen bereit sein und eure Rüstung einwandfrei. Heiler, haltet eure Salben, Tränke und Verbände bereit. Aber bevor wir in den Krieg ziehen, ziehen wir in den Ruhm.“

Er hob eine Hand und zeigte in die Ferne, wo der düstere Berg, der sich in den Himmel erhob, schwarzen Rauch ausstieß.

„Das ist unser erstes Ziel. Wir werden den Berg hochwandern –und was dort geschieht, wird für tausend Jahre in Erinnerung bleiben. Ein neues Zeitalter beginnt, und die Orcs werden eine Kraft kennenlernen, wie sie sie nie zuvor erlebt haben.“

Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Dann nickte er, sichtbar zufrieden mit dem Gemurmel, das durch die Menge lief.

Durotan spannte sich. So, heute also...

Wie es seine Art war als jemand, der nicht mehr sagte, als er musste, beendete Schwarzfaust seine aufpeitschende Rede mit einem gebrüllten „Vorwärts!“

Die Horde drängte vor, neugierig und erregt durch Schwarzfausts Worte. Durotan sah schnell zu Draka, die bloß nickte, um noch einmal zu zeigen, dass sie seinen Plan unterstützte. Dann befahl er seinen schweren Füßen, sich in Bewegung zu setzen, und er folgte den anderen.

Es war ein schmaler, tiefer Pfad, der den rauchenden Berg hinauf zu einem großen Plateau führte. Auf Durotan wirkte es fast, als wäre ein Stück der Bergflanke mit einem sauberen Schwertstreich abgeschnitten worden, so unnatürlich eben war das Plateau. Seine Haut kribbelte bei diesem Gedanken. Nur sehr wenig, was in letzter Zeit in seinem Leben geschah, schien natürlich. Drei große Felsplatten aus poliertem Stein lagen in einer Reihe, teilweise in der Erde vergraben. Sie waren schön, aber zur selben Zeit düster. Die Orcs waren müde nach dem langen Aufstieg in der glühenden Sonne mit voller Rüstung, Waffen und Verpflegung. Durotan fragte sich, was die Absicht dahinter war. Es gab keinen Grund, die Krieger vor der Schlacht zu erschöpfen. Vielleicht würden sie ja später angreifen, vielleicht am Morgen, wenn alle wieder erholt waren.

Zu Durotans Überraschung sprach Gul’dan statt Schwarzfaust zu ihnen, nachdem sie sich versammelt hatten und Ruhe eingekehrt war.

„Es ist noch nicht so lange her“, begann Gul’dan, „dass wir ein verstreut lebendes Volk waren. Wir kamen nur zwei Mal im Jahr zusammen, und dann auch nur, um zu singen, zu tanzen, zu trommeln und zu jagen.“

Er sprach die Worte mit einer Stimme, die vor Geringschätzung triefte. Durotan senkte den Blick. Seit Jahrhunderten waren die Clans zum Kosh’harg-Fest zusammengekommen. Das war nichts Dummes, wie Gul’dans Tonfall unterstellte, sondern etwas Heiliges und Machtvolles. Es hatte verhindert, dass die Clans einander angriffen. Aber es schien, als wäre das schon ein ganzes Leben her, betrachtete man die Reaktionen der Orcs um ihn herum. Auch sie grunzten abfällig, schwangen ihre Waffen und schauten beschämt. Selbst die, die einst Schamanen gewesen waren.

„Seht uns jetzt an! Wir stehen Schulter an Schulter, Clan neben Clan – der Clan des Lachenden Schädels neben dem Drachenmal-Clan, Schattenhammer-Clan neben Kriegshymnen-Clan. Alle unter der starken, einfühlsamen Leitung von Schwarzfaust, den ihr erwählt habt, dass er euch vereint. Für Schwarzfaust!“

Jubel brandete auf. Durotan und Draka fielen nicht mit ein.

„Unter seiner weitsichtigen Führung und mit dem Segen der Wesen, die uns als ihre Verbündete auserkoren haben, sind wir stark geworden. Und wir sind stolz geworden. Wir haben in zwei Jahren mehr Fertigkeiten und Techniken erlernt als vorher in zwei Jahrhunderten.

Die Bedrohung, die einst über uns schwebte, ist zerschlagen. Und wir brauchen nur noch einen kleinen Anstoß, um sie für immer zu beseitigen. Aber zuerst... zuerst, werden wir uns selbst der Sache verschreiben und dafür im Gegenzug einen Segen erhalten.“

Er bückte sich und hob dann ein seltsames Gefäß hoch. Es sah aus, als wäre es aus dem Horn einer Kreatur geschnitzt. Aber Duro-tan hatte nie eine Spaltfußart mit so einem großen Horn gesehen. Es war gebogen und vergilbt. Merkwürdige Zeichen standen darauf geschrieben, und während die Nacht immer mehr hereinbrach, schienen sie leicht zu leuchten. Und was auch immer dieses Gefäß enthielt, es leuchtete ebenfalls. Als Gul’dan es vor sich hielt, strahlte ein fürchterlich gelb-grünes Licht sein Gesicht von unten an und warf wilde Schatten.

„Dies ist der Kelch der Einheit“, rief Gul’dan mit ehrwürdiger Stimme. „Dies ist der Kelch der Wiedergeburt. Ich biete ihn jedem Anführer jedes Clans, und er kann ihn jedermann in seinem Clan anbieten. Wer will als Erster vortreten, um seine Loyalität zu beweisen und seinen Segen zu erhalten?“

Gul’dan drehte sich ein wenig nach rechts, um Schwarzfaust sehen zu können. Der grinste und öffnete den Mund, um zu antworten, als eine wilde, vertraute Stimme durch die Nacht drang.

Nein, dachte Durotan, nein... nicht er...

Drakas Hand umklammerte fest seinen Arm. „Wirst du ihn warnen?“

Durotans Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte nicht sprechen, schüttelte nur den Kopf. Nein, der schlanke, aber dennoch imposante Orc, der nach vorn trat, war zwar sein Freund, aber niemand durfte erkennen, dass er wusste, was vor sich ging.

Nicht einmal für Grom Hellschrei.

Der Häuptling des Kriegshymnen-Clans schritt durch die Menge, bis er vor Gul’dan stand. Schwarzfaust schaute ihn ein wenig verstimmt an. Sicher hatten Gul’dan und Schwarzfaust abgesprochen, dass der Kriegshäuptling zuerst trinken würde.

Gul’dans Mund verzog sich zu einem Lachen. „Immer bereit, den Augenblick zu nutzen, werter Grom“, sagte er, verbeugte sich leicht und gab den Kelch mit der wirbelnden grünen Flüssigkeit an Grom. Wellen der Hitze und des Lichts stiegen daraus auf, und Groms Gesicht – bereits bemalt, um Angst bei seinen Gegnern und Respekt bei seinen Verbündeten hervorzurufen – sah noch furchteinflößender aus.

Er zögerte nicht, hob den Kelch an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Durotan beobachtete ihn und wartete angespannt auf das, was geschehen würde. Vielleicht stammte der Brief ja nicht von jemand Wohlwollendem, sondern jemand mit üblen Absichten, und es würde nicht...

Gul’dan hatte kaum den Kelch von Grom zurückerhalten, als sich der andere Orc versteifte und sich dann schüttelte. Er taumelte einen Moment, und die Menge raunte vor Sorge. Durotan starrte mit Schrecken, als Groms Körper auf einmal pulsierte und zuckte. Vor seinen Augen verbreiterten sich Groms für einen Orc schmale Schultern. Seine Rüstung knackte, als sie sich über den neuen, kraftvolleren Körper spannte. Dann war es vorbei, und Grom straffte seine Haltung. So groß, wie er immer gewesen war, und doch neu gebildet von der grünen Flüssigkeit, die ihn noch kräftiger gemacht und ihm stärkere Muskeln gegeben hatte, ließ er den Blick über die Menge schweifen.

Was Durotan von seinem Gesicht sehen konnte, war glatt und wirkte gesund, war aber vollständig grün.

Grom warf den Kopf zurück und schrie. Der Schrei war lauter, als Durotan ihn jemals hatte schreien hören. Es war, als würde ihm ein Messer durch den Körper schneiden. Durotan hielt sich die Ohren zu, so wie fast jeder andere. Aber er konnte den Blick nicht von Groms Gesicht wenden.

Groms Augen glühten rot.

„Wie fühlst du dich, Grom Hellschrei vom Kriegshymnen-Clan?“, fragte Gul’dan mit eigenartiger Milde.

In Groms Gesicht lag ein Ausdruck der Verzückung, und er schien nach Worten zu suchen. „Ich fühle mich... großartig. Ich fühle mich...“ Er brach ab und brüllte erneut, als wenn nur dieser urgewaltige Schrei ausdrücken könnte, wie er sich fühlte. „Gebt mir Draeneifleisch zum zerreißen! Gebt mir Draeneiblut – ich saufe es, bis ich nicht mehr kann. Gebt mir ihr Blut!“